Anlässlich des 70. Jubiläums des Grundgesetzes hat die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) heute einen Debattenbeitrag mit dem Titel „Grundgesetz, Religionsfreiheit und Islam“ veröffentlicht. Der Aufsatz wurde im Rahmen der Publikationsreihe AIWG in puncto herausgegeben und von Prof. Dr. iur. Çefli Ademi, Lehrstuhlinhaber der Professur für islamische Normenlehre und ihre Methodologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, verfasst. Prof. Ademi beleuchtet darin das Verhältnis des säkularen Rechtsstaats zu Religion im Allgemeinen und Islam im Speziellen und skizziert Ansätze eines verfassungsethischen Gemeinsinns im Islam.
Çefli Ademi betont, dass – entgegen der weitverbreiteten Meinung – die religiöse Neutralität des Staates nicht darin besteht, öffentliche Zeichen und Manifestationen religiöser Gemeinschaften ins Private abzudrängen, sondern dass das Gegenteil der Fall ist: Der Staat muss – aus einer neutralen Haltung heraus – auch die Entfaltung eines öffentlich religiösen Lebens gewährleisten.
Dass demgegenüber religiöse Minderheiten, u. a. Muslim_innen, die deutsche Verfassung anerkennen müssen, steht für ihn außer Frage. Ademi verweist darauf, dass Muslim_innen durch ihre Religion verpflichtet werden, die jeweils lokal geltenden Gesetze zu respektieren.
Darüber hinausgehend stellt sich Ademi in seinem Aufsatz der in öffentlichen Debatten wiederkehrenden Frage, ob Muslim_innen über eine faktische Anerkennung der Verfassungsordnung hinaus der Werteordnung des Grundgesetzes aus ihrer Religion heraus zustimmen können. Er legt dar, dass die islamische Rechtswissenschaft durchaus zahlreiche mögliche Grundhaltungen gegenüber der deutschen Verfassungsordnung liefert. Diese reichten von einer rein faktischen Anerkennung über eine religiös begründete Würdigung von Verfassungswerten bis hin zu einer ‚religionsneutralen‘ Grundhaltung gegenüber der Verfassungsordnung, die auf die Bedürfnisse einer pluralistischen Gesellschaft zugeschnitten ist.
Unter Bezugnahme auf Beiträge klassischer Rechtsgelehrter zeigt er exemplarisch auf, dass sich darin durchaus Säkularitäts- und Gleichheitsmomente finden lassen – und dies bereits in den Schriften des 11. Jahrhunderts. Zu wenig erforscht seien darin enthaltene Begründungsmomente für die moderne Menschenrechtsidee im Islam: In der islamischen Rechtstradition bestünde ein Konsens darüber, dass der Zweck islamischer Normen im Schutz der existenziellen Grundbedingungen des Menschen liege, konkret hieße das im Schutz der Religion, des Lebens, des Verstands, der Familie und des Eigentums. Der Schutz dieser Grundbedingungen solle dabei kultur- und religionsübergreifend gewährt werden. Somit enthalte die damalige Rechtsdiskussion nach Çefli Ademi „hochinterressante begründungstheoretische und ausbaufähige Ansätze für die gegenwärtige Menschenrechtsidee im Allgemeinen und für bundesdeutsche Verfassungswerte im Konkreten“.
Im Sinne des Erhalts der freiheitlichen Rahmenbedingungen könnten gerade Religionsgemeinschaften versuchen, ihre religiöse Praxis als Ausdruck einer mündigen Verantwortung zu verstehen. Eine solche Wahrnehmung gelte es zu allen Seiten hin zu stärken.
„Mit dem vorliegenden Debattenbeitrag gelingt Çefli Ademi, der die Expertise eines promovierten Rechtswissenschaftlers einerseits und die des Islamrechtlers als Professor der Islamisch-Theologischen Studien andererseits in sich vereint, erste Pfeiler für einen längst überfälligen diskursiven Brückenschlag zwischen der islamischen (Rechts-)Lehre und dem deutschen Verfassungsrecht zu schlagen“, sagt Dr. Raida Chbib, Geschäftsführerin der AIWG. „Wegweisend sind seine knappen Verweise auf einzelne Denkansätze aus der islamischen Rechtstradition, mit denen Muslime eine moralische Affinität zu geltenden Verfassungswerten aus ihrem Glauben heraus theologisch plausibilisieren könnten“, betont Chbib.
Die vollständige Publikation kann auf der Website der AIWG unter https://aiwg.de/publikationen/ kostenfrei heruntergeladen werden.
Mit ihrer Publikationsreihe „AIWG-Expertisen“ und „AIWG in puncto“ möchte die AIWG Wissensbedarfe zum Islam in Deutschland decken, Debatten versachlichen sowie Erkenntnislagen verbessern. Den von Expert_innen erarbeiteten Wissensstand, ihre Einschätzung und Diskussionspunkte stellt die AIWG in anschaulicher Form einer breiten Öffentlichkeit bereit. Die AIWG-Expertisen präsentieren eine vertiefte Erörterung des jeweiligen Themas. AIWG in puncto behandelt eine konkrete Fragestellung in Kurzform und stellt thesenartige Einschätzungen zur breiten Diskussion.
Über die AIWG
Die AIWG ist eine universitäre Plattform für Forschung und Transfer in islamisch-theologischen Fach- und Gesellschaftsfragen. Sie ermöglicht überregionale Kooperationen und Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der islamisch-theologischen Studien und benachbarter Fächer sowie Akteurinnen und Akteuren aus der muslimischen Zivilgesellschaft und weiteren gesellschaftlichen Bereichen. Die AIWG wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Stiftung Mercator.
Weitere Informationen: https://aiwg.de
Pressekontakt
Ariana Neves
Koordinatorin Wissenschaftskommunikation
und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 069-798 22459
E-Mail: neves@aiwg.de
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