Orientalist der Universität Jena ermöglicht neues Wissen über islamische Stadt
Jena (06.11.03) Die mittelalterliche Zitadelle der heutigen Metropole ar-Raqqa am Euphrat in Syrien ist jetzt wiederentdeckt worden. Alte Luft- und Reisefotografien sowie mittelalterliche Texte halfen bei der Suche. Wiederentdeckt hat sie der Islamwissenschaftler PD Dr. Stefan Heidemann von der Universität Jena. Seit Jahren arbeitet der Oberassistent am Lehrstuhl für Semitische Philologie und Islamwissenschaft über die Entwicklung mittelalterlicher Städte im Vorderen Orient. Dazu ist gerade das von Stefan Heidemann und Andrea Becker herausgegebene Buch "Raqqa II - Die islamische Stadt", im Verlag Philipp von Zabern (Mainz 2003) erschienen. Seine aktuellen Forschungsergebnisse hat Heidemann vor kurzem auch auf einer internationalen Konferenz über "Mittelalterliche muslimische Festungsbauten" in Aleppo/Syrien vorgetragen.
Französische Luftaufnahmen der 1920er und 30er Jahre und Fotos des deutschen Archäologen Max von Oppenheim vor dem Ersten Weltkrieg brachten Heidemann auf die Fährte. Die Abbildungen zeigen deutlich die Baustruktur der Zitadelle in ar-Raqqa. Mittelalterliche arabische Quellen aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts berichten über Bauaktivitäten, die exakt mit den Befunden aus den Luftbildern übereinstimmen. Doch ist die Zitadelle selbst auf jüngeren archäologischen Karten nicht verzeichnet. Nur noch ältere Leute in ar-Raqqa erinnern sich heute an die gewaltigen Reste eines der Türme.
Was war geschehen? War ar-Raqqa im 8. Jahrhundert noch die glanzvolle Residenzstadt des aus den Märchen bekannten Kalifen Harun ar-Raschid und erlebte die Stadt ihre zweite Blütephase als Residenzstadt der Ayyubiden im 13. Jahrhundert, so wurden diese Traditionen im 20. Jahrhundert vergessen oder ignoriert. Der weltweite wirtschaftliche Boom infolge des Koreakriegs während der fünfziger Jahre erreichte auch die syrische Provinzstadt. Sie stieg zu einem bedeutenden Zentrum der Baumwollproduktion auf. Bei der Modernisierung war Kulturgeschichte im Weg. Die Ruine der alten Zitadelle wurde mit Bulldozern weggeschoben, um Platz für einen wichtigen Verkehrsverteiler am Rande der Innenstadt zu schaffen. Anteil daran hatten allerdings auch die Urteile ausländischer Archäologen, die das Gebiet vor dem Zweiten Weltkrieg erkundet hatten. Sie hielten damals die Ruine für unbedeutend, da man sie für ein spätes osmanisches Gebäude, frühestens des 16. Jahrhunderts, wenn nicht noch jünger hielt.
Wie die Fotos und die neuen Entdeckungen zeigen, war die Zitadelle ein quadratischer etwa 200 x 200 m großer Komplex mit vier massiven Türmen von etwa 15 Meter Durchmesser. Sie hatte einen Innenhof und - soweit erkennbar - an den Seiten flankierende Hallenbauten. Eine Textstelle bei Ibn Nazif spricht von Bauarbeiten, die die "Palastanlagen" der "Neuen Zitadelle" mit der Stadt verbinden sollten. Ein anderer mittelalterlicher Chronist, Ibn Shaddad, erzählt von "Palästen" des Ayyubiden-Herrschers mit Gärten, in denen Palmen und Bananen wuchsen. "Die Zitadelle hatte mehr einen repräsentativen, als einen militärischen Charakter", ermittelte Heidemann. Dies hat sich auch in den Mongolenkriegen gezeigt, in denen sie keine Rolle spielte.
"Mit dem neuen Wissen um die Existenz der palastartigen Zitadelle im 13. Jahrhundert lassen sich nun viele Fragen der Organisation des Stadtraumes, der Lage der Gärten und der mittelalterlichen Architektur von ar-Raqqa beantworten", freut sich der Jenaer Orientalist. "So erklärt sich nun z. B. die Lage und der repräsentative Charakter des Bagdad-Tores daraus, dass es der Zitadelle gegenüber lag", sagt Heidemann.
Kontakt:
PD Dr. Stefan Heidemann
Institut für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients der Universität Jena
Löbdergraben 24a, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944864 oder 030 / 3244945
E-Mail: x7hest@uni-jena.de
Die mittelalterliche Zitadelle in ar-Raqqa. (Foto: Institut Francais du Proche-Orient)
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Criteria of this press release:
Construction / architecture, History / archaeology
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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