Wenn Hirntumoren nach einer Therapie zurückkehren, geht dies auf das Konto von Krebsstammzellen, denen die Behandlung nichts anhaben konnte. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum suchten nun nach charakteristischen Proteinen, die die Hirntumor-Stammzellen auszeichnen. Dabei identifizierten sie ein Enzym, das für die gefährlichen Stammzelleigenschaften des Glioblastoms verantwortlich ist und gleichzeitig eine mögliche „Achillessehne“ darstellt, an der die Zellen verwundbar sind.
Bei vielen Krebsarten wirken die Behandlungen ausschließlich auf die sich schnell teilenden Krebszellen, die die große Masse des Tumors ausmachen. Die Stammzellen des Tumors dagegen teilen sich so gut wie nicht und sind resistent gegenüber Chemotherapie und Bestrahlung. Schlimmer noch: Durch die Behandlungen werden sie aktiviert und sind dann verantwortlich dafür, dass der Tumor zurückkehrt. Dies gilt insbesondere für das Glioblastom, den aggressivsten unter den Hirntumoren.
„Der einzige Weg, um beim Glioblastom einen Rückfall nach der Behandlung zu verhindern, wäre eine Therapie, die gegen die Hirntumor-Stammzellen wirksam ist“, sagt Haikun Liu vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). „Dazu müssten wir aber molekulare Zielstrukturen kennen, die spezifisch für diese Krebsstammzellen sind – damit die Therapie keine gesunden Zellen schädigt. Doch das Problem ist, dass Hirntumor-Stammzellen und die Stammzellen des gesunden Gehirns viele molekulare Merkmale und Eigenschaften teilen.“
Um spezifische Zielstrukturen der Hirntumor-Stammzellen zu identifizieren, verglichen Liu und seine Kollegen nun deren Protein-Ausstattung mit der normaler Hirnstammzellen. Für diese Untersuchung an Glioblastomen von Mäusen setzten die DKFZ-Forscher moderne Techniken der RNA-Sequenzierung ein. Damit konnten sie quantifizieren, in welchen Mengen die Zellen einzelne Proteine produzieren.
Unter den Proteinen, die in Krebsstammzellen, nicht aber in Gehirnstammzellen gebildet werden, erschien ihnen ein Enzym des Energiestoffwechsels als besonders interessant: Die Glycerol-3-Phosphat Dehydrogenase 1 (GPD1)-produzierenden Krebszellen teilten sich nicht und traten vor allem an der sogenannten Invasionsfront auf, wo der Tumor ins gesunde Gehirngewebe einwächst. Sehr früh, schon etwa zwei Wochen nach dem Beginn der Krebsentstehung, konnten die Forscher im wachsenden Tumor die GPD1-Produktion nachweisen.
Die Forscher behandelten Mäuse mit dem Standard-Chemotherapeutikum Temozolomid und analysierten die Tumoren zu verschiedenen Zeitpunkten nach Ende der Therapie: Während der Behandlung zeigten die GPD1-produzierenden Zellen keine Teilungsaktivität und verharrten in dem für Stammzellen charakteristischen Schlafzustand. Doch erwachten sie mit dem Beginn des Rückfalls aus ihrem Schlummer – ein starkes Indiz dafür, dass sie für die Wiederkehr des Tumors verantwortlich sind. Wurde die GPD1 mit genetischen Methoden in den Tumorstammzellen der Mäuse ausgeschaltet, so überlebten die Tiere länger.
Hohe GPD-1-Spiegel – ungünstige Prognose
Ist die GPD1 auch in Glioblastomen des Menschen für die gefährlichen Stammzell-Eigenschaften verantwortlich? Eine Datenbank-Analyse von Tumorgenomen ergab, dass bei Glioblastom-Patienten eine hohe GPD1-Produktion mit ungünstiger Prognose korreliert. Auch bei anderen Krebsarten, etwa beim Nierenzellkarzinom, sind hohe GPD1-Spiegel mit einem ungünstigen Verlauf verbunden.
Wie schon an den Mäusen beobachtet, fanden sich auch in Gewebeschnitten von Hirntumoren des Menschen die GPD1-produzierenden Zellen vorwiegend an der Invasionsfront. Aus Glioblastomen gezüchtete Zelllinien, deren GPD-1 die Forscher ausgeschaltet hatten, wuchsen in der Kulturschale nicht mehr zu „Minitumoren“ heran – und verloren damit eine typische Stammzell-Fähigkeit.
„Alle unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass GPD1 für die Stammzell-Eigenschaften der Hirntumor-Stammzellen verantwortlich ist. In normalen Hirnstammzellen spielt das Enzym offenbar keine besondere Rolle“, fasst Haikun Liu zusammen. Aus der wissenschaftlichen Literatur wissen Liu und Kollegen, dass Mäuse problemlos ohne GPD1 leben können. Auch Menschen, deren GPD1-Gen durch Mutationen geschädigt ist, haben keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme. Das ist ein wichtiger Hinweis dafür, dass man das Enzym mit Wirkstoffen blockieren könnte, ohne schwere Nebenwirkungen auszulösen.
„Diese Arbeit war ein erster Schritt, um Proteinmarker zu identifizieren, die schlafende Hirntumorstammzellen charakterisieren, und um deren Rolle für die Tumorbiologie zu untersuchen“, sagt Liu. „Dabei haben wir so viele interessante Eigenschaften der GPD1 entdeckt, dass wir das Enzym nun als Zielstruktur möglicher Therapien weitererforschen werden.“
Diese Arbeit entstand als gemeinsames Projekt des DKFZ und der Bayer-Onkologieforschung im Rahmen ihrer strategischen Allianz.
Patricia Rusu, Chunxuan Shao, Anna Neuerburg, Azer Aylin Acikgöz, Yonghe Wu, Peng Zou, Prasad Phapale, Tchirupura S Shankar, Kristina Döring, Steffen Dettling, Huiqin Körkel-Qu, Gözde Bekki, Barbara Costa, Te Guo, Olga Friesen, Magdalena Schlotter, Mathias Heikenwälder, Darjus F. Tschaharganeh, Bernd Bukau, Günter Kramer, Peter Angel, Christel Herold-Mende, Bernhard Radlwimmer, Hai-Kun Liu: GPD1 specifically marks dormant glioma stem cells with a distinct metabolic profile.
CELL Stem Cell 2019, DOI: https://doi.org/10.1016/j.stem.2019.06.004
Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
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CELL Stem Cell 2019, DOI: https://doi.org/10.1016/j.stem.2019.06.004
Criteria of this press release:
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Biology, Medicine
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Research results, Scientific Publications
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