Die Formel „Grüne Städte, schwarzes Land, blauer Osten“ trifft für die Europawahl 2019 nicht uneingeschränkt zu. Vor allem im ländlichen Raum Westdeutschlands offenbaren sich räumliche Unterschiede im Wahlverhalten. Das zeigen Analysen des Leibniz-Instituts für Länderkunde (IfL), anhand derer sich das Wahlverhalten für jeden Kreis einem von sechs Typen zuordnen lässt. Die Ergebnisse sind in der Onlinezeitschrift „Nationalatlas aktuell“ des IfL nachzulesen. Eine Deutschlandkarte veranschaulicht die Fakten und zeigt klare regionale Muster beim Wahlverhalten. Sie ist zugleich ein Spiegelbild der zunehmenden räumlichen Fragmentierung der deutschen Parteienlandschaft in einem Fünfparteiensystem.
Die Europawahl 2019 war eine Zäsur für das deutsche Parteiensystem. Erstmals seit 1949 rutschten Union und SPD auf Bundesebene zusammengerechnet unter die 50-Prozent-Marke; die Grünen schafften den Sprung auf Platz zwei, in Ostdeutschland löste die AfD vielerorts die CDU als stärkste Kraft ab. Angesichts des Wahlergebnisses sprach die Frankfurter Rundschau von einer „neuen deutschen Teilung“ in einen „ergrünten“ Westen und einen von der AfD dominierten Osten. Der Tagesspiegel deutete die Resultate als Anzeichen, dass sich „das Land gefährlich auseinandergelebt“ habe: „Hier der Höhenflug der Liberalität, dort Hass und Abgrenzung“.
Um solche journalistisch zugespitzten Aussagen auf ihren Gehalt zu prüfen, ist der IfL-Wissenschaftler Dr. Tim Leibert den räumlichen Unterschieden im Wahlverhalten mittels statistischer Verfahren auf den Grund gegangen. Unter Zuhilfenahme der sogenannten Clusteranalyse konnte er aus den Ergebnissen der jüngsten Europawahl sechs Raumtypen mit ähnlichem Wählerverhalten ausfindig machen. Sie unterscheiden sich im Grad der Zuwächse oder Verluste der im Bundestag vertretenen Parteien. Als Messlatte für Abweichungen nach oben oder unten dient das Wahlergebnis jeder Partei im Bundesdurchschnitt.
Ein fast einheitliches Wahlverhalten zeigt sich in den Kreisen der neuen Länder mit deutlichen Zugewinnen der AfD und überdurchschnittlichen Stimmenanteilen der Linkspartei bei gleichzeitig schwachem Ergebnis der Grünen. In Bayern liegt die CSU abseits der größeren Städte und suburbanen Räume deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Kreise, in denen die SPD klar besser abgeschnitten hat als im Bundesdurchschnitt, verteilen sich auf das Ruhrgebiet und einen Streifen vom Saarland bis in den Harz.
Überdurchschnittliche Wahlergebnisse der Grünen konzentrieren sich auf die Groß- und Universitätsstädte sowie Landkreise mit bedeutenden kreisangehörigen Universitätsstädten sowie einige norddeutsche Landkreise. Union und AfD haben in diesen Kreisen ihre bundesweit schwächsten Wahlergebnisse erzielt.
Nicht haltbar ist nach Leiberts Auffassung die These, dass westdeutsche Landbewohner grundsätzlich eher den Unionsparteien zugeneigt sind: „In den ländlichen Regionen finden wir nach wie vor ein Nebeneinander von unterschiedlichen Raumtypen des Wahlverhaltens. Es gibt ländlich geprägte Hochburgen der SPD und Kreise, in denen Grüne oder FDP besonders gut abschneiden. Neben der Wirtschafts- und Sozialstruktur spielen regional auch heute noch konfessionelle Zugehörigkeiten und langfristige Parteibindungen eine Rolle.“
Der vollständige Beitrag ist im Webangebot „Nationalatlas aktuell“ des IfL nachzulesen. Auf aktuell.nationalatlas.de veröffentlicht das Institut regelmäßig Kartenbeiträge zu Themen aus Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Politik und Umwelt. Alle Karten, Diagramme und Fotos sind dort online verfügbar und stehen zusätzlich als PDF-Dokumente zum freien Download bereit. Auf Wunsch können die Materialien in Druckqualität zur Verfügung gestellt werden.
Weitere Informationen:
- Karte: Wahlgeographie: Europawahl 2019 nach Kreisen
- Tabelle: Wahlergebnisse im Vergleich: Typisierung der 401 Kreise und kreisfreien Städte auf Grundlage einer Clusteranalyse
- Glossar: Clusteranalyse als methodische Basis
Das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig analysiert soziale Prozesse aus
geografischen Perspektiven und macht gesellschaftlichen Wandel sichtbar. Als einzige außeruniversitäre Forschungseinrichtung für Geografie im deutschsprachigen Raum ist das Institut Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 95 selbstständige Forschungseinrichtungen verbindet. Das IfL wird aus Mitteln des Bundes und mit Steuermitteln auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes gefördert. [www.ifl-leipzig.de]
Dr. Tim Leibert, T_Leibert@ifl-leipzig.de
http://aktuell.nationalatlas.de
Criteria of this press release:
Journalists
Geosciences, Politics, Social studies
transregional, national
Research results
German
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