Wie können Sozialarbeiter, die mit Kindern, Jugendlichen und Familien zusammenarbeiten, ihrer hohen Verantwortung gerecht werden? Sie müssen oft Entscheidungen treffen, die weit reichende Folgen haben. Prof. Dr. Tobias Nickel-Schampier kommt aktuell die ethische Reflexion ihres Tuns deutlich zu kurz. In seiner Antrittsvorlesung an der Hochschule Fresenius fordert er einen intensiveren Austausch im kollegialen Kreis. Als Leitlinien empfiehlt er die Anwendung mittlerer ethischer Prinzipien wie in der Medizin. Und er hält ein Plädoyer für das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
„In der Sozialen Arbeit handeln wir zu sehr auf der Basis rein fachlicher Argumente. Dabei gehen wir zu wenig darauf ein, welche Güter eigentlich wertvoll sind, welche Gewichtung wir bei der entsprechenden Abwägung vornehmen und welche Konsequenzen unser Handeln und unsere Entscheidungen haben“, sagte Prof. Dr. Tobias Nickel-Schampier bei seiner Ansprache am Hochschulstandort in Hamburg.
Er warnte außerdem davor, Beurteilungskriterien zu sehr zu standardisieren. „Zum Beispiel sind die bei der Prüfung von Fällen genutzten Checklisten wichtig und sinnvoll, wenn wir über die „Points to consider“ sprechen. Sie geben eine Orientierung und verhindern, dass Fachkräfte wichtige Aspekte vergessen. Andererseits hat die objektive Messbarkeit von Situationen gerade in der Sozialen Arbeit ihre Grenzen.“ Die Zweckmäßigkeit ende, wo kein oder nur wenig Raum für eigene Einschätzungen übrig bleibt, was in der Praxis aber viel zu häufig vorkomme. Träger sozialer Einrichtungen müssten demzufolge der Reflexion mehr Raum geben. „Fachkräfte sollen die Möglichkeit haben, gemeinsam in Ruhe und mit der gebotenen Sorgfalt Situationen und Ereignisse zu reflektieren und zu bewerten.“
Dabei sollten sie sich von so genannten mittleren ethischen Prinzipien leiten lassen, die bereits das ärztliche Handeln bestimmen. Nickel-Schampier nennt hier den Respekt vor der Autonomie, das Gebot des Wohltuns, die Verpflichtung zum Nichtschaden und den Anspruch, Gerechtigkeit walten zu lassen. „Zu ergänzen ist das um das Solidaritätsprinzip und das Effektivitätsprinzip. Ersteres verpflichtet uns, uns solidarisch für die Interessen der Adressatinnen und Adressaten einzusetzen, letzteres zwingt uns, die Wirksamkeit des eigenen Tuns zu prüfen und sicherzustellen. Last but not least müssen Entscheidungen auch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.“
Nur wirksam zu arbeiten könne nicht das Ziel der Sozialen Arbeit sein. Auch falsche Maßnahmen erzielen ja eine Wirkung. Ein gutes Ergebnis sei nur zu erzielen, wenn Fachkräfte Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme prüfen. „Nur so können wir der Komplexität des Einzelfalls gerecht werden und haben die einzelnen und zum Teil sehr stark im Widerspruch stehenden Güter gebührend berücksichtigt“, so Nickel-Schampier.
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