Gewerkschaften im Umbruch
ÖTV-Studie von Tübinger Politikwissenschaftler vorgelegt
Auch gesellschaftliche Großverbände wie Gewerkschaften müssen mit den Tendenzen einer sich immer schneller verändernden Welt fertig werden: Globalisierung, Europäisierung, neue Technologien, Pluralisierung von Lebensstilen heißen die entsprechenden Stichworte. Gerade den Gewerkschaften scheint dabei der Wind stärker ins Gesicht zu blasen - auch nach dem Regierungswechsel. Um diese Probleme bewältigen zu können, müssen sie sich selbst modernisieren, d. h. ihre apparative Ausstattung verbessern, ihre Programmatik neu ausrichten und ihre Arbeits- und Organisationsstrukturen den veränderten Bedingungen anpassen. Damit tun sie sich schwer, was am Beispiel der ÖTV gut sichtbar in einer Studie von Ulrich von Alemann, Universität Düsseldorf, und Josef Schmid, Universiät Tübingen, aufgearbeitet worden ist. Bei der ÖTV handelt es sich dabei um eine überraschend wenig untersuchte große Gewerkschaft (etwa verglichen mit der IG Metall). Sie steht zugleich in vielen Aspekten für die anderen Einzelgewerkschaften und den DGB.
Die Autoren kommen nach fast drei Jahren Forschungsarbeit zum Ergebnis, daß sich zwar einiges bewegt hat, doch gemessen an den schweren Herausforderungen eher zu wenig, ja daß die Semantik der Modernisierung - der neue Anstrich an der alten Fassade - vielfach über den Ernst der Probleme, die weiter bestehen, hinwegtäuscht. "Erfolgreich scheiternde Reformen" nennen die Autoren diese Beobachtung. Nun wäre es unangemessen, die ÖTV und ihre Führung mit Häme zu überziehen. Hinter diesen Schwierigkeiten steckt einerseits das berüchtigte Münchhausen-Paradoxon, wonach sich Organisationen eben nur auf der Basis ihrer vorhandenen (defizitären) Strukturen modernisieren können - was leicht zu Spannungen zwischen Wollen und Können führt. Zum anderen sind große Gewerkschaften wie die ÖTV politisch, d. h. Veränderungen von Organisationsformen und Inhalten hängen mit politischen Kräfteverschiebungen zusammen, sind Gegenstand von mikropolitischen Grabenkriegen, in denen Veränderungen schnell erstickt werden. Solche Organisationen sind nicht einfach durch Beschluß der Spitze zu reformieren, und selbst der sichtbare Einsatz vieler Instrumente läßt meist nicht mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner zu.
Insofern ist es äußerst lehrreich, Organisationsmodernisierung unter schwierigsten Bedingungen zu untersuchen und einzelne Aspekte wie Personal, Organi-sationsentwicklung, externe Beratung, Europäisierung etc., unter die Lupe zu nehmen. Dies ist genauer in dem Band nachzulesen, wobei neben den Herausgebern die Mitarbeiterinnen des Projektes, andere Forscher und einige Praktiker mit insgesamt 27 Beiträgen vertreten sind.
Darüber hinaus hat Josef Schmid ein weiteres Werk vorgelegt, das allerdings stärker auf die Lehre bezogen ist und sich dem allgemeineren Thema Verbände - worunter natürlich auch die Gewerkschaften fallen - widmet. Hier soll eben jenes Grundlagenwissen vermittelt werden, das für die Durchführung von Forschungen wie der angezeigten zur ÖTV benötigt wird.
Ulrich von Alemann/Josef Schmid (Hg.): Die Gewerkschaft ÖTV. Reformen im Dickicht gewerkschaftlicher Organisationspolitik, Baden-Baden (Nomos) 1998
Josef Schmid, Verbände. Interessenvermittlung und Interessenorganisation. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, München (Oldenbourg) 1998
Nachfragen an:
Prof. Dr. Josef Schmid, Institut für Politikwissenschaft, Melanchthonstr. 36, 72074 Tübingen, Tel.: (07071) 29-72925,
E-Mail: josef.schmid@uni-tuebingen.de
Criteria of this press release:
Law, Politics, Social studies
transregional, national
Research projects, Scientific Publications
German
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