Im Alten Ägypten waren die Pharaonen als weltliche Herrscher und Götter zugleich quasi unantastbar – bis vor mehr als 4.000 Jahren Amenemhet I. wahrscheinlich einem Attentat zum Opfer fiel. Das ungeheuerliche Ereignis Königsmord stürzte die damalige Elite in eine Sinnkrise. Der Ägyptologe Prof. Dr. Ludwig D. Morenz untermauert in seinem neuen Buch die These, dass die zu dieser Zeit entstandene „schöne Literatur“ der Altägypter zur Bewältigung des Traumas genutzt wurde.
„Es ist anzunehmen, dass im Mittleren Reich zunächst ein Königsmord als unvorstellbar galt“, sagt der Ägyptologe Prof. Dr. Ludwig D. Morenz von der Universität Bonn. „Wie sollte ein Attentat auf ein göttliches Wesen gelingen?“ Und wenn ein Mord an einem Pharao tatsächlich geschehen konnte, rüttelte dies an den Grundfesten der damaligen Herrschaftselite und löste eine gesellschaftliche Krise aus.
Quellen deuten darauf hin, dass Amenemhet I. (20. Jh. v.Chr.) tatsächlich ermordet wurde. Wie lässt sich die Herrschaft nach einem solch politischen Einschnitt festigen? Morenz vertritt die These, dass die „schöne Literatur“, die erstmals um diese Zeit herum im Alten Ägypten auftauchte, zur kulturpoetischen Bewältigung des Königsmordes an Amenemhet I. geschaffen wurde. „Bereits vorher wurden poetische Texte verfasst – etwa Hymnen oder Litaneien, die dem Götter- oder Totenkult dienten“, berichtet der Ägyptologe. Allerdings gab es darüber hinaus keine Belege für Literatur, die vor allem der Erbauung (ägyptisch: „Erheiterung des Herzens“) gewidmet war.
Der getötete Pharao als Stimme aus dem Jenseits
Mit Texten wie der „Lehre des Amenemhet“ und der Sinuhe-Dichtung wurde ein neuer öffentlicher Diskursraum geschaffen und dieser zugleich im Sinne einer Hofberichterstattung für Sesostris I. reguliert. Um den Leser beziehungsweise Hörer entsprechend zu lenken, wurde am Anfang der „Lehre des Amenemhet“ das (für uns moderne Leser genauso wie für die Alten Ägypter) ganz außergewöhnliche Szenario entworfen, dass der Ermordete selbst aus dem Jenseits („als Gott erschienen“) heraus spricht und „die Wahrheit“ verkündet: „Er (= Amenemhet I.) sagt als Eröffnung der Wahrheit zu seinem Sohn, dem All-Herren (= Sesostris I.); er redet, indem er als Gott erschienen ist“.
„Die schöne Literatur könnte nach dem Königsmord als Therapie einen entspannten Raum für Diskurse geschaffen haben, der von den Eliten gesteuert wurde“, sagt Morenz. Angesicht der Krise dürften die „schönen und guten Worte“ in der Zeit von König Sesostris I., dem Nachfolger des Ermordeten, Sinn gestiftet haben. In der „Lehre des Amenemhet“ wendet sich der getötete Herrscher in einer direkten Ansprache an seinen Sohn: „Siehe, das Attentat geschah, als ich ohne dich war.“
Die Handschrift weist eine weitere Besonderheit auf – sie ist das einzige Zeugnis der schönen Literatur aus dieser Zeit, das illustriert ist. Das Bild zeigt eine Figur mit einem göttlichen Königs- beziehungsweise sogar Götterbart. Morenz: „Wahrscheinlich soll damit betont werden, dass König Amenemhet als Gott aus dem Jenseits erschienen ist.“ Weiterhin ist bemerkenswert, dass hier erstmals auch die Wortneuschöpfung für „Attentat“ fällt, die ursprünglich so viel wie „ziehen“ bedeutete. „Die Ungeheuerlichkeit des Ereignisses wird durch diesen neuen Begriff unterstrichen.“
„Kenne keinen Freund“
Die „Lehre des Amenemhet“ nimmt den Leser an die Hand und vermittelt unverblümt, welche Lehren aus dem Attentat zu ziehen sind: „Fülle dein Herz nicht mit einem Bruder, kenne keinen Freund, Lasse dir keinen Vertrauten entstehen, denn das kann nicht gelingen.“ Der Ägyptologe verweist auf die Kehrseite der Macht: Alleinherrscher waren trotz oder gerade wegen ihrer Machtfülle potenziell bedroht, weil es Rivalen gab, die nach ihrem Thron trachteten. Morenz verweist auf Quellen, die darauf hindeuten, dass es während der Herrschaft Amenemhets I. zu Unruhen gekommen ist: „Solche instabilen Lagen können die Grundlage für Rivalitäten sein, aus denen Machtansprüche erwachsen.“
Es gebe keine Anhaltspunkte, wer den Pharao getötet hat und was mit den Mördern geschah. „Wahrscheinlich sind die Verschwörer umgebracht und geächtet worden“, leitet der Ägyptologe aus Quellen späterer Königsmorde im Alten Ägypten ab. Zu Amenemhet I. ist relativ wenig bekannt. Darf Wissenschaft sich auf „schöne Literatur“ – wie die „Lehre des Amenemhet“ und die Sinuhe-Dichtung – als historische Quellen stützen? Morenz bricht dafür eine Lanze: „Was in einem bestimmten Denkrahmen eigentlich nicht vorstellbar ist, kann nur schwer ersonnen werden. Man hätte wahrscheinlich nicht über den Pharaonenmord geschrieben, wenn es ihn nicht tatsächlich gegeben hätte.“
Für den Ägyptologen wurde diese neue Perspektive auf die schöne Literatur als kulturpoetische Bewältigung des Königsmordes durch die intensive Zusammenarbeit unter anderem mit der Literaturwissenschaft im Sonderforschungsbereich (SFB) „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“ möglich. In dem SFB an der Universität Bonn arbeiten 15 geisteswissenschaftliche Fachbereiche eng zusammen und widmen sich gemeinsam der Erforschung von vormodernen Konfigurationen von Macht und Herrschaft in Asien, Europa und dem nördlichen Afrika in transkultureller Perspektive.
Prof. Dr. Ludwig D. Morenz
Universität Bonn
Abteilung für Ägyptologie
Tel. 0228/735733
E-Mail: lmorenz@uni-bonn.de
Ludwig D. Morenz: Trauma und Therapie? Die Schöpfung der schönen Literatur als eine kulturpoetische Bewältigung des Königsmordes an Amenemhet I.?, EB-Verlag Dr. Brandt, Berlin 2020, 114 S., 19 Euro
http://www.sfb1167.uni-bonn.de Informationen zum SFB
Prof. Dr. Ludwig D. Morenz vor der Vitrine „Königtum“ im Ägyptischen Museum der Universität Bonn.
© Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn
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Prof. Dr. Ludwig D. Morenz vor der Vitrine „Königtum“ im Ägyptischen Museum der Universität Bonn.
© Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn
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Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
History / archaeology
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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