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04/08/1998 00:00

Gehen trotz Querschnittlähmung

Dorothea Carr Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Laufbandtraining zeigt die "Lernfaehigkeit" des Rueckenmarks

    Nach einem Unfall kommt fuer viele Menschen mit der Diagnose der naechste Schock: Querschnittlaehmung. Entgegen der noch weit verbreiteten Meinung muss das nicht zwangsweise bedeuten, dass die Betroffenen lebenslang an den Rollstuhl gefesselt bleiben. Eine spontane Erholung des Rueckenmarks und Krankengymnastik lassen manchen wieder auf die Beine kommen. Neue Hoffnung auch fuer schwerer Gelaehmte bringt ein spezielles Training auf dem Laufband. Entwickelt wurde das Verfahren vom Bonner Neurophysiologen Prof. Dr. Anton Wernig, der eng mit der Rehabilitationsklinik Langensteinbach bei Karlsruhe zusammenarbeitet. Vor wenigen Wochen wurde eine Nachuntersuchung an 76 querschnittgelaehmten Patienten abgeschlossen, die beeindruckend den anhaltenden Erfolg dieser Methode belegt: Fast alle Patienten haben ihre durch die Laufbandtherapie wiedererlangte Gehfaehigkeit behalten oder sogar verbessert.

    Alle Befehle, die vom Gehirn an andere Koerperteile weitergeleitet werden, gehen durch die Nervenzellen des Rueckenmarks. Kommt es infolge eines Unfalls oder einer Tumorerkrankung zu einer Verletzung des Rueckenmarks, besteht zur Zeit noch keine Hoffnung auf Heilung, da sich solche Nervenzellen nicht gut regenerieren knnen. Heutzutage erleiden jedoch immer weniger Personen - auch aufgrund der verbesserten Erstversorgung - ein vollstaendiges Durchtrennen der Nervenstraenge im Rueckenmark. Oft verbleiben ihnen noch "Restfaehigkeiten", den einen oder anderen Muskel bewusst anzusprechen, ohne dass daraus bereits eine kontrollierte Bewegung, erst recht keine Gehbewegung, resultieren wuerde.

    Schon seit langem ist bekannt, dass Katzen offenbar einfache "Schreitprogramme" unabhaengig vom Gehirn im Rueckenmark gespeichert haben. Vor fast 10 Jahren hatte Wernig von amerikanischen Versuchen erfahren, die bewiesen, dass diese "Schreitprogramme" bei richtiger Uebung so weit trainiert werden koennen, dass selbst komplett querschnittgelaehmte Vierbeiner reflexartig auf einem Laufband schreiten knnen. Wurden die Tiere fuer das Laufen trainiert, vollzogen sie auf dem Band Laufbewegungen, wurden sie nur gehalten und fuer das Stehen trainiert, konnten sie anschliessend auch "nur" stehen. Das Rueckenmark scheint demnach ueber eine Art "Lernfaehigkeit" zu verfuegen. Wernigs Grundidee war simpel: Warum sollten nicht auch Menschen etwas von dieser Lernfaehigkeit des Rueckenmarks besitzen? So kam er auf die Idee, inkomplett querschnittgelaehmte Patienten auf ein Laufband zu stellen. Die Personen werden dabei von einem Therapeuten unterstuetzt und zunaechst von einem Tragegurt gehalten. Wichtig ist dabei, dass die Logik des Gehens beachtet wird: Um zu gehen, muss ein Fuss vor den anderen gesetzt und vor allem muessen die Beine mit dem Koerpergewicht belastet werden. Und tatsaechlich vollziehen einige Patienten bereits nach wenigen Minuten erste reflexartige Schreitbewegungen; bei vielen kann die Faehigkeit zum Gehen in wochen- oder monatelangem Training weiter verbessert werden. Eine Reihe von urspruenglich voellig rollstuhlabhaengigen Patienten hat dank dieser Rehamassnahme die Moeglichkeit erlangt, mit Hilfe eines Rollators 20 bis 100 Meter zu gehen oder mit Hilfestellung sogar einige Treppen zu steigen. Einige weniger schwer Geschaedigte koennen sich mittlerweile ohne Hilfsmittel fortbewegen.

    Die kuerzlich abgeschlossene Studie hat zwei Patientengruppen untersucht: Eine Gruppe umfasste 35 Personen, die bereits nach anderen Rehamethoden als abschliessend therapiert galten, eine zweite, 41 Patienten starke Gruppe, war erst vor durchschnittlich acht Wochen geschaedigt worden. Die Gehfaehigkeit dieser Personen wurde in fuenf Schadensklassen eingeteilt und jeweils vor Beginn der Therapie, nach Abschluss des Laufbandtrainings und im Durchschnitt 20 Monate nach Abschluss der Therapie begutachtet. In der Gruppe der chronischen Patienten waren zu Beginn des Laufbandtrainings 25 komplett an den Rollstuhl gebunden und 10 bereits davon unabhaengig. Nach dem Training waren nur noch fuenf Personen rollstuhlabhaengig und auch die Personen, die schon zuvor gehen konnten, hatten an Sicherheit und Schnelligkeit gewonnen. Die Nachuntersuchung belegte, dass nur ein Patient im heimischen Umfeld eine Schadensklasse zurueckgefallen war; zwei Personen hatten sich sogar weiter verbessert. Unter den 41 akuten Patienten waren nach abgeschlossener Laufbandtherapie noch neun Personen rollstuhlgebunden. Bei der Nachuntersuchung hatte sich ihre Zahl auf sieben reduziert. In dieser Gruppe verbesserten sich insgesamt sogar 15 Personen nach abgeschlossener Therapie weiter.

    Eine gleichzeitig durchgefuehrte Messung an acht fuer das Gehen wichtigen Muskelgruppen zeigte, dass die willentliche Muskelaktivitaet im Verlauf des Laufbandtrainings bei chronischen Patienten nur geringfuegig zunahm. Dies deutet darauf hin, dass die ausgefuehrten Schreitbewegungen tatsaechlich reflexartig und auf die Anregung durch das Laufbandtraining zurueckzufuehren sind.

    Ermutigt durch die Erfolge bei Querschnittgelaehmten dehnte Wernig seine Methode kuerzlich auch auf Schlaganfallpatienten und andere Hirngeschaedigte aus.

    Ansprechpartner: Prof. Dr. Anton Wernig, Tel.: 0228 - 287 - 2274


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
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