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03/23/2020 09:39

Fluch und Segen globaler Wertschöpfungsketten angesichts der aktuellen Coronavirus-Krise

Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi M.A. Pressestelle
FOM Hochschule

    Bereits in den ersten Wochen der Corona-Pandemie wurde deutlich: Deutschlands Abhängigkeit von globalen Wertschöpfungsketten kann in Krisenzeiten ein Fluch sein, wenn Teile der heimischen Produk-tion und der Versorgung aufgrund fehlender Lieferungen nicht mehr funktionieren. Wie stark ist Deutschlands Wirtschaft von internationalen Güterströmen abhängig? Welche Sektoren sind besonders betroffen? Welche Entwicklungen sind in der Zukunft, gerade angesichts der Coronavirus-Krise, zu erwarten?

    Bundesgesundheitsminister Spahn fordert, einen Teil der Arzneimittelproduktion in die Europäische Union (EU) zurück zu verlagern. Aber auch viele klassische deutsche Industrieunternehmen, wie z. B. der Autozulieferer Bosch, haben Produktionsstätten in China und sorgen sich um Störungen in den Lieferketten. Die weltweite Ausnahmesituation in der Coronavirus-Krise macht es seit Monaten deutlich: Globale Wertschöpfungsketten bringen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken mit sich. Wie verwundbar ist Deutschland als große Exportnation?

    Alle Länder involviert

    Von einer globalen Wertschöpfungskette spricht man, wenn die Stufen des Produktionsprozesses in mindestens zwei unterschiedlichen Ländern stattfinden. Abb. 1 zeigt, dass fast alle Länder der Erde in globale Wertschöpfungsketten involviert sind. Selbst solche, wie die Länder des afrikanischen Kontinents, die im globalen Welthandel sonst nur eine geringe Rolle spielen, leisten aufgrund besonderer Rohstoffe (Seltene Erden) einen wichtigen Beitrag in globalen Lieferketten. So lässt sich die Welt auch grob in verschiedene Gruppen einteilen: In den entwickelten Industrieländern wie den USA oder Europa finden vorwiegend die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten statt; die technische Verarbeitung erfolgt zu einem großen Teil in Asien und die Rohstoffe stammen oft aus Afrika.

    Abbildung 1: Überblick über globale Wertschöpfungsketten - siehe anbei

    In den 1990er und 2000er Jahren, also in der Hochphase der Globalisierung, wurden viele globale Wertschöpfungsketten etabliert. Sinkende Transportkosten, erleichterte Kommunikationsmöglichkeiten durch die Digitalisierung und ein weiterer Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen trugen maßgeblich zu diesem Aufschwung bei. Vor dem Hintergrund absoluter und komparativer Kostenvor-teile – z. B. niedrigere Lohnkosten für manuelle Arbeiten in Asien – ist eine Verlagerung einzelner Produktionsstufen betriebswirtschaftlich sinnvoll. Hinzu kommt, dass durch die zunehmende Spezialisierung ggf. auch Skaleneffekte realisiert werden können. Gleichzeitig bringt die Aufteilung des Produktionsprozesses und das Outsourcing einzelner Produktionsstufen aber auch Risiken mit sich: Die Abhängigkeit von anderen Ländern steigt, gleichzeitig können die dortigen Rahmenbedingungen kaum beeinflusst werden. Störungen in einem Land übertragen sich durch diese Verflechtungen auch auf andere Länder. Besonders ungünstig ist es, wenn asymmetrische Schocks – Störungen, die nicht alle Länder gleichermaßen betreffen – auftreten.

    Deutschlands Abhängigkeit von globalen Wertschöpfungsketten

    Der Anteil der ausländischen Wertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung liegt in Deutschland bei rund 25 %. Damit liegt er leicht über dem Anteil, den Frankreich (23 %) oder Großbritannien (22 %) aufweisen und deutlich über dem Anteil der ausländischen Wertschöpfung in den USA, der bei nur 12 % liegt. Abb. 2 zeigt, dass Branchen wie der Bergbau und der Agrarsektor, in denen naturgemäß in Deutschland nicht vorhandene Rohstoffe und Nahrungsmittel importiert werden müssen, den höchsten Anteil aufweisen. Aber auch das Verarbeitende Gewerbe weist mit 50 % einen hohen Anteil an ausländischer Wertschöpfung am Endverbrauch auf.

    Abbildung 2: Anteil ausländischer Wertschöpfung am Endverbrauch (2015) - siehe anbei

    Ein genauerer Blick in das Verarbeitende Gewerbe (siehe Abb. 3) zeigt, dass der Anteil ausländischer Wertschöpfung am höchsten in der Textilindustrie ist – hier schlägt die Auslagerung manueller Arbeiten in Niedriglohnländer zu Buche – gefolgt von der Chemieindustrie und der Computer- und Elektronikbranche.

    Abbildung 3: Anteil ausländischer Wertschöpfung am Endverbrauch im Verarbeitenden Gewerbe (2015) - siehe Anhang (unten)

    Um abschätzen zu können, inwiefern die Wirtschaftskraft Deutschlands durch eine Unterbrechung von globalen Wertschöpfungsketten beeinträchtigt werden kann, empfiehlt es sich, einen Blick auf den Anteil der ausländischen Wertschöpfung an den Exporten nach Herkunftsländern zu verwerfen. Zu den wichtigsten Branchen der deutschen Exportwirtschaft zählen Kfz, Chemie und Maschinenbau. Für diese Treiber der deutschen Exportwirtschaft stellen die USA, Frankreich und China die wichtigsten Lieferländer dar (s. Abb. 4). Ein maßgeblicher Teil der ausländischen Wertschöpfung stammt immer noch aus Europa; außerhalb Europas spielen die USA, China und Russland eine wichtige Rolle für die deutsche Wirtschaft.

    Abbildung 4: Anteil der ausländischen Wertschöpfung am Export der Branchen Kfz, Chemie und Maschinenbau - siehe Originalpublikation (Link unten)

    Das Beispiel der Automobilindustrie

    Gerade bei der Produktion hochentwickelter Industrieerzeugnisse ist die komplette globale Wertschöpfungskette selbst für die Unternehmen kaum noch nachvollziehbar. So kommt ein Autobauer wie Daimler auf 213 direkte Zulieferer. Allein die zehn größten von ihnen haben zusammen wiederum 588 Zulieferer, die ihrerseits von mehr als 2.900 weiteren Zulieferern abhängen. Diese Firmen sind über den gesamten Globus verteilt und besitzen zudem vielfältige Querverbindungen und Mehrfachbeziehungen untereinander. Generell gelten die globalen Wertschöpfungsketten in der Automobilbranche als besonders anfällig für Störungen in der chinesischen Produktion, da in praktisch jedem Auto chinesische Bauteile enthalten sind.

    Trend zur Deglobalisierung

    Schon seit einigen Jahren gehen die außenwirtschaftlichen Verflechtungen jedoch leicht zurück: Ein Trend zur Deglobalisierung hat seit der internationalen Finanzkrise 2008 eingesetzt. Die Coronavirus-Krise dürfte diesen Trend nochmals verstärken, da sie offenlegt, wie wichtig es ist, die Produktion von lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen zu sichern, auch unter dem Aspekt der nationalen Sicherheit.


    Fazit

    Ist in Deutschland aufgrund der starken internationalen Verflechtungen mit Unterbrechungen der Lieferketten und daraus resultierenden Lieferengpässen zu rechnen? Zu berücksichtigen ist, dass aufgrund der besonderen Schwere der Coronavirus-Krise nicht nur die Angebotsseite (durch Produktionsausfälle oder Schließungen) betroffen ist, sondern auch auf der Nachfrageseite mit Nachfragerückgängen in Folge von Quarantäne-Maßnahmen und einer geringeren Teilnahme am öffentlichen Leben zu rechnen ist. Dieser parallele Rückgang von Angebot und Nachfrage könnte in einigen Branchen helfen, Engpässe zu vermeiden. Ausgenommen hiervon sind Güter wie Mundschutz oder Desinfektionsmittel, aber auch Lebensmittel, die infolge der Krise besonders stark nachgefragt werden. In diesem Sinne dürfte der Aspekt der nationalen Sicherheit bei lebensnotwendigen Gütern wie Medikamenten wieder verstärkt in den Vordergrund rücken und entweder zu einer Rückführung der Produktion oder zumindest zu einer Risikostreuung, indem auf mehrere Lieferanten zurückgegriffen wird, beitragen.

    Dieser Artikel stellt die Meinung der Autorin (Prof. Dr. Monika Wohlmann) und des Autors (Prof. Dr. Luca Rebeggiani, beide KCV KompetenzCentrum für angewandte Volkswirtschaftslehre der FOM Hochschule) dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung der Hochschule.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Monika Wohlmann, monika.wohlmann@fom.de
    Prof. Dr. Luca Rebeggiani, luca.rebeggiani@fom.de


    Original publication:

    http://www.fom.de/forschung/kompetenzcentren/kcv-kompetenzcentrum-fuer-angewandt... Die Originalpublikation "Streiflicht VWL", Nr. 1 (März 2020) inklusive aller Quellenangaben


    More information:

    http://www.fom-kcv.de Website des KCV KompetenzCentrum für angewandte Volkswirtschaftslehre der FOM Hochschule


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    Abbildung 1: Überblick über globale Wertschöpfungsketten
    Abbildung 1: Überblick über globale Wertschöpfungsketten
    Quelle: World Bank (Hrsg.) (2020): World Development Report 2020, Washington D.C., S. 21
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    Abbildung 2: Anteil ausländischer Wertschöpfung am Endverbrauch (2015)
    Abbildung 2: Anteil ausländischer Wertschöpfung am Endverbrauch (2015)
    Quelle: Eigene Berechnungen basierend auf Zahlen für Deutschland der Datenbank TiVA (Trade in Value Added) der OECD
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    Attachment
    attachment icon Abbildung 3: Anteil ausländischer Wertschöpfung am Endverbrauch im Verarbeitenden Gewerbe (2015)

    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
    Economics / business administration, Traffic / transport
    transregional, national
    Scientific Publications
    German


     

    Abbildung 1: Überblick über globale Wertschöpfungsketten


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