Die Diagnose und Behandlung von Patienten mit hormoninaktiven Tumoren der Hirnanhangdrüse gehört in die Hände eines interdisziplinären, erfahrenen Teams, bestehend aus Endokrinologe, Neurochirurg und (Neuro-)Radiologe, Ophthalmologe, (Neuro-)Pathologe und Strahlentherapeut. Unverzichtbar ist zudem eine laborchemische Sicherung der Diagnose. Dies sind einige der Empfehlungen einer Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, die gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften Standards für Diagnostik, Therapie und Nachsorge bei Patienten mit Hypophysentumoren entwickelt hat. Damit sollen eine bestmögliche Behandlung ermöglicht und eine Überdiagnostik und -therapie vermieden werden.
Die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) steuert viele hormonelle Funktionen im Körper. Sie produziert Botenstoffe, die wiederum andere Hormondrüsen im Körper regeln. Dazu zählen zum Beispiel die Schilddrüse, die Nebenniere, die Eierstöcke und die Hoden. „Hypophysentumoren sind in den allermeisten Fällen gutartig; es handelt sich meist um sogenannte Adenome. Allerdings ist der Platz im Gehirn beschränkt, sodass umliegendes Gewebe durch die Raumforderung beeinträchtigt wird“, erklärt Professor Dr. med. Martin Fassnacht vom Universitätsklinikum Würzburg. Und das kann zu Symptomen führen wie beispielsweise Sehstörungen oder Doppelbilder. „Eine viel häufigere Folge des Tumors sind jedoch hormonelle Veränderungen“, so Fassnacht. Werden zu viele oder zu wenige Hormone gebildet, können sehr unterschiedliche Beschwerden wie beispielsweise Abgeschlagenheit, Frieren, Kreislaufstörungen, niedriger Blutdruck, Muskelschwäche oder eine Fettstoffwechselstörung auftreten.
Eine neue Leitlinie, an deren Zustandekommen zwölf Fachgesellschaften und Organisationen unter Führung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) beteiligt waren, bietet Medizinern wichtige Informationen zur Diagnostik, Behandlung und Nachsorge des hormoninaktiven Hypophysenadenoms. Diese Tumoren treten in jedem Lebensalter auf und sind bei Erwachsenen häufig. Experten vermuten, dass zehn Prozent der Allgemeinbevölkerung betroffen sind. Allerdings werden viele dieser Tumoren klinisch nicht auffällig und/oder werden nur zufällig entdeckt. „Nicht alle müssen behandelt werden“, sagt Fassnacht. Ob eine Behandlung nötig ist, hängt von ihrer Größe ab und davon, ob Beschwerden verursacht werden.
Da heutzutage immer öfter kernspinntomografische Untersuchungen des Kopfes gemacht werden, beispielsweise weil Patienten unter Schwindel oder an Kopfschmerzen leiden, werden auch immer mehr dieser Adenome entdeckt. „Das macht Handlungsempfehlungen speziell für Allgemeininternisten und Hausärzte so wichtig, da es bisher kein standardisiertes Vorgehen gab“, betont Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, die zusammen mit Fassnacht die Leitlinie koordiniert hat und Mitglied im Vorstand der DGE ist.
Man unterscheidet Hypophysentumoren, die kleiner als einen Zentimeter sind („Mikroadenome“), und jene, die ein Zentimeter oder größer sind („Makroadenome“). Die Leitlinie empfiehlt, die Diagnose „hormoninaktives Adenom“ laborchemisch zu sichern, um sowohl eine Unter- aber auch eine Überdiagnostik zu verhindern. „Mikroadenome, die keine Beschwerden hervorrufen, sollen nicht aktiv behandelt werden – ‚wait and scan‘ ist hier die Devise“, so Jaursch-Hancke, Leiterin der Abteilung für Diabetologie/Endokrinologie an der DKD Helios Klinik Wiesbaden.
„Durch die klaren Empfehlungen der Leitlinie stellen wir sicher, dass nicht einfach ‚irgendwelche‘ Hormonuntersuchungen veranlasst werden, sondern die klinischen Befunde, die Begleiterkrankungen und die Einnahme von Medikamenten mitberücksichtigt werden“, erklärt Jaursch-Hancke. Eine nichtzielgerichtete Diagnostik sei ökonomisch ein Problem, beunruhige den Patienten und könne sogar zu falschen Therapieentscheidungen führen. „Ein betreuender Arzt kann nun nachlesen, wie er bei Patienten mit Hypophysentumor leitliniengerecht vorgehen soll“, ergänzt Fassnacht.
Wenn eine Operation, also die Entfernung des gutartigen Tumors, nötig ist, erweitert sich das Behandlungsteam unweigerlich. Alle beteiligten Ärzte, aber mindestens Endokrinologe, Neurochirurg und Neuroradiologe, sollten mit der Behandlung von Hypophysenadenomen vertraut sein. Bei der Nachsorge, die sich über sechs bis zwölf Wochen erstrecken kann, muss die Betreuung engmaschig erfolgen. „Erstmals gibt es eine klare Orientierung, wie und wann die einzelnen Kontrolluntersuchungen in der Zeit nach der OP stattfinden sollen. Das hilft dem Behandlungsteam und vermeidet unnötige Diagnostik“, fasst Jaursch-Hancke zusammen.
Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der DGE aus Mainz, bilanziert: „Die Leitlinie zu den klinisch hormoninaktiven Hypophysenadenomen schließt eine Lücke, denn sie fasst das aktuelle Wissen zu Diagnostik und Therapie zusammen und unterstützt dadurch die betreuenden Ärzte bei der Entscheidung über den optimalen Behandlungsweg für ihre Patienten.“
Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen – zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken – „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen wie Speichel- oder Schweißdrüsen ihre Sekrete nach „außen“ ab.
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