Stiftung Kindergesundheit informiert über die wenig beachtete Aufmerksamkeits-Defizit-Störung ohne Hyperaktivität
Die Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) mit den drei Kernsymptomen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gehört zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes und Jugendalter. In Deutschland sind laut KiGGS-Studie etwa 2,3 Prozent der Mädchen und 6,5 Prozent der Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren von der Diagnose ADHS betroffen, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.
Die Statistik könnte jedoch täuschen, denn die Störung hat viele Gesichter: Viele Kinder, besonders häufig Mädchen, die von ADHS betroffen sind, verhalten sich oft anders als der sprichwörtliche „Zappelphilipp“. Das Hauptproblem von „Traumsusen“ und „Träumerchen“ liegt nicht in der übersteigerten motorischen Unruhe: Sie sind eher still und verträumt und fallen deshalb weniger auf. Ihre Störung wird folglich seltener und oft erst später erkannt und behandelt.
„Mit einer Häufigkeit von rund vier Prozent liegt die Häufigkeit der ADHS-Diagnosen bei uns im internationalen Mittelbereich und ist keineswegs überhöht“, berichtet Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Die Existenz der Störung ist auch längst nicht mehr umstritten. Durch die volkstümliche Bezeichnung ‚Zappelphilipp’ wird das Problem lediglich verniedlicht“.
Zerstreut, verträumt, vergesslich
Bei der Mehrzahl der von ADHS betroffenen Kindern und Jugendlichen dominiert die Hyperaktivität und Impulsivität, berichtet die Stiftung Kindergesundheit: Sie sind zappelig und unstet, häufig auf Achse und wirken wie aufgezogen oder getrieben. Sie reden viel, platzen schon mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet wurde und können nicht warten, bis sie an der Reihe sind.
Anders die „Traumsuse“ und das „Träumerchen“: Bei dieser hypoaktiven Form der Störung stehen die Konzentrationsschwäche und die gestörte Aufmerksamkeit im Vordergrund. Die Kinder übersehen Details, machen Flüchtigkeitsfehler, haben Probleme beim Organisieren und Planen von Aufgaben, sind verträumt, ablenkbar und vergesslich.
Nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen können ein ADHS ohne Hyperaktivität haben, was jedoch oft verkannt wird, betont die Stiftung Kindergesundheit. Bei den Jungen dominiert nicht so sehr die Verhaltensstörung, sondern die Lernstörungen. Besonders häufig sind Lese-, Rechtschreib- und Rechenschwächen. Das erfolglose Üben mit ständig sich wiederholenden Enttäuschungen führt häufig zu psychischen Beeinträchtigungen mit oft großem Leidensdruck. Viele Kinder und Jugendliche suchen dann einen Ausweg in der Ablenkung durch digitale Medien, die ihr Gehirn stimulieren können.
Probleme beim Spielen und Lernen
Jungen und Mädchen mit ADHS ohne Hyperaktivität haben Probleme beim Lernen und Schwierigkeiten beim Umgang mit Spiel- und Schulkameraden, erläutert die Stiftung Kindergesundheit:
• Die Konzentrationsschwäche zeigt sich schon im Vorschulalter: Die Kinder wechseln die Spiele schnell, wissen oft nicht, was sie machen sollen und haben dann schlechte Laune. Das Zusammenspiel mit anderen Kindern ist oft gestört.
• Sie träumen vor sich hin, starren Löcher in die Luft, sind unaufmerksam, zerstreut und „schusselig“. Laute Situationen in der Kindergruppe empfinden sie eher als unangenehm und halten sich lieber in der Kuschelecke auf.
• In der Schule lassen sie sich leicht ablenken, können dem Unterricht nicht schnell genug folgen und sitzen stundenlang über ihre Hausaufgaben. Trotz guter oder sehr guter Intelligenz haben sie schlechte Noten und bleiben so hinter ihren eigentlichen Möglichkeiten.
• Sie vergessen schnell Dinge des Alltags, verlieren oft Sachen, wie z.B. Spielzeug, Hausaufgabenheft, Turnbeutel, Federmäppchen, Schreibstifte, Bücher oder Werkzeug, werden nie rechtzeitig fertig und schalten bei Ermahnungen „auf Durchzug“.
• Sie haben starke Stimmungsschwankungen, sind überempfindlich, leicht gekränkt, missmutig und unzufrieden und weinen gleich.
• Sie können sich nicht angemessen verteidigen, reagieren dann eher mit Rückzug.
• Sie fühlen sich schnell ungeliebt und missverstanden, haben keine anhaltenden Freundschaften.
• In der Gruppe bekommen sie oft die Rolle eines Außenseiters zugeschrieben.
Phantasievoll und oft sogar hochbegabt
Im späteren Verlauf wird die Alltagsbewältigung zunehmend problematisch durch Ängste und Depressionen. Traumsuse und Träumer sind jedoch meist intelligent, phantasievoll, kreativ und oft sogar hochbegabt.
ADHS ist keine Störung, die einfach wieder verschwindet, betont die Stiftung Kindergesundheit. Ohne angemessene und gezielte Behandlung besteht das Risiko lebenslanger Konsequenzen.
Es ist jedoch nicht leicht, für das einzelne Kind mit einer ADHS die optimale Behandlung zu finden. Die Basis dafür bildet eine sorgfältige Diagnostik, durchgeführt von einem erfahrenen Kinder- und Jugendarzt, Kinder- und Jugendpsychiater oder Kinder- und Jugendpsychotherapeuten.
Zur Behandlung der ADHS stehen mittlerweile mehrere Medikamente zur Verfügung, darunter insbesondere das seit vielen Jahren bewährte Stimulans Methylphenidat (MPH) in verschiedenen Formulierungen, sowie ein weiterer Wirkstoff namens Atomoxetin (ATX). Das mit Stimulantien behandelte Kind bekommt eine Chance, sich besser unter Kontrolle zu halten und sein Selbstwertgefühl zu steigern.
Therapie aus mehreren Bausteinen
Fachleute sind sich jedoch einig, dass eine ausschließlich medikamentöse Behandlung von ADHS ungenügend ist. Die Experten empfehlen eine „multimodale“ Therapie, d.h. eine individuelle Kombination aus verschiedenen Therapiebausteinen. Professor Berthold Koletzko: „Notwendig sind ganzheitliche Therapien, die je nach Situation des Kindes sowohl die medikamentöse Behandlung als auch psychoedukative und psychotherapeutische Maßnahmen und entsprechende Rahmenbedingungen in den Regeleinrichtungen der Betreuung, Bildung und Ausbildung umfassen. Das Ziel der Behandlung ist, den betroffenen Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, dass sie uneingeschränkt über ihre vorhandenen Fähigkeiten verfügen können“.
Leider ist die angestrebte multimodale Therapie von ADHS noch zu selten Realität, bedauert die Stiftung Kindergesundheit: Vor allem in ländlichen Gebieten müssen betroffene Familien vielfach lange Wege und Wartezeiten in Kauf nehmen, um ihr Kind von erfahrenen Spezialisten behandeln zu lassen.
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Social studies
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications
German
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