In Europas gemäßigten Wäldern werden wenig verbreitete Pflanzenarten von jenen Arten verdrängt, die stärker verbreitet sind. Ein internationales Forscherteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) hat nun herausgefunden, dass diese Entwicklung mit einer erhöhten Stickstoffverfügbarkeit zusammenhängt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution.
Die Zahl der Tier- und Pflanzenarten nimmt ab – zumindest global betrachtet. Dem gegenüber stehen teils gegenläufige Entwicklungen in einzelnen lokalen Ökosystemen: Hier wird mitunter sogar eine Zunahme des Artenreichtums (Zahl der Arten) beobachtet. Doch wie lässt sich dieser vermeintliche Widerspruch erklären – und welche Ursachen liegen ihm zugrunde?
Ein internationales Team von Wissenschaftlern ist genau diesen Fragen nachgegangen. Anhand der Daten von insgesamt 68 verschiedenen Standorten in gemäßigten Wäldern Europas – darunter auch Waldstandorte in Thüringen, Brandenburg und Bayern – untersuchten sie, wie sich die Artenvielfalt krautiger Pflanzen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert hat. Dafür mussten die Forscher Bestandszahlen zu 1162 verschiedenen Pflanzenarten auswerten. Der Datensatz wurde von einem internationalen Netzwerk von Waldökologen, genannt forestREplot, zusammengetragen. „Dieses Netzwerk birgt den Vorteil, dass bei Unklarheiten die Experten für die jeweiligen Standorte direkt gefragt werden können. Es unterscheidet sich somit von vielen anderen großen Datenbanken“, erklärt Erstautor Ingmar Staude, der als Doktorand bei iDiv und der MLU forscht.
Die Auswertung dieser immensen Datenmenge wurde durch das iDiv-Synthesezentrum sDiv ermöglicht. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Pflanzenarten mit einer geringeren geographischen Verbreitung, die also oft in nur wenigen Wäldern zu finden sind, ein erhöhtes Risiko haben auszusterben. „Dies ist nicht so sehr auf eine geringere Populationsgröße solcher Pflanzen zurückzuführen, sondern vielmehr auf ihre ökologische Nische“, erklärt Ingmar Staude. Denn bei weniger weit verbreiteten Arten handelt es oft um solche, die daran angepasst sind, mit relativ wenigen Nährstoffen im Boden auszukommen.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass chronische und exzessive Stickstoffeinträge in weiten Teilen Europas mit der erhöhten Aussterbewahrscheinlichkeit solcher Arten im Zusammenhang stehen. Dagegen profitieren Pflanzenarten, die nährstoffreiche Böden bevorzugen, wie die Brennnessel oder die Brombeere. Diese Pflanzen nutzen die erhöhte Nährstoffversorgung für ein verstärktes Wachstum – sie haben somit plötzlich einen Konkurrenzvorteil und verbreiten sich stärker.
Während also einige Arten mit einer geringeren Verbreitung verschwinden, verbreiten sich stickstoffliebende, teils exotische Arten. Der Artenreichtum in den einzelnen Wäldern hat sich daher im Durschnitt nicht verringert, der Gesamtartenreichtum jedoch schon. Basierend auf ihren Untersuchungen gehen die Forscher von einem Rückgang um vier Prozent während der letzten Jahrzehnte aus. Sie weisen jedoch darauf hin, dass die Untersuchungsstandorte in geschützten Waldgebieten liegen. Würde man zusätzlich Wälder betrachten, welche forstwirtschaftlich genutzt werden, könnte der Rückgang sogar noch weitaus größer sein.
„Wir müssen jetzt herausfinden, ob die Prozesse, die wir im Wald beobachten, in anderen Biomen in ähnlicher Weise ablaufen“, so Ingmar Staude. Mithilfe des Synthesezentrums sDiv sollen deshalb erneut Daten in großem Stil ausgewertet werden – dieses Mal jedoch übergreifend für mehrere Biome, etwa für den europäischen Magerrasen und die alpine Tundra.
Der Artenverlust hat Auswirkungen auf die Ökosysteme: Wenn einzelne Pflanzenarten verschwinden, dann verschwinden mit ihnen auch manche Insektenarten und Bodenlebewesen. Und je weiter die Angleichung regionaler Floren voranschreitet, desto schlechter können die Ökosysteme auf sich ändernde Umweltbedingungen wie den Klimawandel reagieren. Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler konnten zeigen, dass nur durch die Verringerung der Stickstoffeinträge das weitere Aussterben wenig verbreiteter Arten gestoppt werden kann. Diese Arten spielen eine wichtige Rolle für die Anpassungsfähigkeit unserer Waldökosysteme an sich ändernde Umweltbedingungen.
Ingmar Staude, ingmar.staude@idiv.de
I. R. Staude, D. M. Waller, M. Bernhardt-Romermann, A. D. Bjorkman, J. Brunet, P. De Frenne, R. Hedl, U. Jandt, J. Lenoir, F. Mališ, K. Verheyen, M. Wulf, H. M. Pereira, P. Vangansbeke, A. Ortmann-Ajkai, R. Pielech, I. Berki, M. Chudomelova, G. Decocq, T. Dirnbock, T. Durak, T. Heinken, B. Jaroszewicz, M. Kopecky, M. Macek, M. Malicki, T. Naaf, T. A. Nagel, P. Petřik, K. Reczyńska, F. Hoistad Schei, W. Schmidt, T. Standovar, K. Świerkosz, B. Teleki, H. Van Calster, O. Vild, L. Baeten (2020). Replacements of small- by large-ranged species scale up to diversity loss in Europe’s temperate forest biome. Nature Ecology & Evolution, DOI: 10.1038/s41559-020-1176-8
http://www.forestreplot.ugent.be Datenbank forestREplot
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology, Environment / ecology, Oceanology / climate
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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