Bei NMOSD handelt es sich um eine schwere neurologische Autoimmunerkrankung, die zur Erblindung und Lähmung der Beine mit Rollstuhlpflichtigkeit führen kann. Die Erkrankung verläuft in Schüben. Bisher ist für die Schubprophylaxe der Aquaporin-positiven NMOSD nur der Komplement-Inhibitor Eculizumab zugelassen. Allerdings sind die hohen Therapiekosten und die notwendige zweiwöchentliche Infusion mögliche Probleme im klinischen Alltag. Nun zeigte eine randomisierte Studie [1], dass auch der B-Zell-depletierende CD20-Antikörper Rituximab, der bereits seit über 20 Jahren bei anderen Erkrankungen eingesetzt wird, wirksam NMOSD-Krankheitsschübe verhindert.
Bei den Erkrankungen des Neuromyelitis-optica-Spektrums (NMOSD/„Neuromyelitis optica spectrum disorders“) handelt es sich um Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS). Die Sehnerven sind häufig mitbetroffen, was in schweren Fällen sogar zu Erblindung führen kann. Bei Befall des Rückenmarks kommt es zu einer spastischen Lähmung der Beine; weitere mögliche Symptome sind Sensibilitätsstörungen oder Entleerungsstörungen von Blase und Darm. Die Erkrankung verläuft in Schüben und es gibt bislang erst wenige Therapieoptionen für die Schubprophylaxe.
Die Zielstruktur, die das Immunsystem bei NMOSD attackiert, ist Aquaporin-4, ein Wasserkanal in der Nervenzellmembran. Bei etwa 80% der NMOSD-Patienten können Antikörper gegen Aquaporin-4 nachgewiesen werden. Bei akuten Schüben werden ähnlich wie bei der Multiplen Sklerose hochdosiert intravenösen Steroide gegeben, alternativ kann ein Plasmaaustausch (Plasmapherese) versucht werden. Zur Schubprophylaxe ist seit letztem Jahr der Komplement-Inhibitor Eculizumab zugelassen. Allerdings limitieren die extrem hohen Kosten (Jahrestherapiekosten von mehreren hunderttausend Euro pro Patient) und die Notwendigkeit einer zweiwöchentlichen Infusionsgabe den regelhaften Einsatz im klinischen Alltag. Viele Kranke mit weniger aktiven Verlaufsformen erhalten niedrig dosierte Dauertherapien mit Kortikoiden, teilweise in Kombination mit Azathioprin – mit den entsprechenden Nebenwirkungen. Off-label wird häufig Rituximab, ein CD20-Antikörper, zur Schubprophylaxe eingesetzt. Zugelassen ist er bisher für die Therapie der rheumatoiden Arthritis, von Hodkin-Lymphomen und zur Immunsuppression nach Organtransplantation. Nun liefert eine japanische randomisierte Multizenterstudie [1] erstmals Daten für die Wirksamkeit von Rituximab und rechtfertigt damit den Einsatz dieses Antikörpers zur NMOSD-Schubprophylaxe.
Die Studie untersuchte doppelblind, randomisiert und placebokontrolliert die Sicherheit und Effektivität von Rituximab für die NMOSD-Schubprophylaxe. Eingeschlossen wurden AQP-4-Ak-positive NMOSD-Patienten im Alter von 16-80 Jahren, die orale Steroide (Kortison) einnahmen und einen EDSS-Behinderungs-Score („Expanded Disability Status Scale“) von maximal 7,0 auf der Scala von 0 (keine Beschwerden) bis 10 (Tod) aufwiesen. Die Einnahme anderer Immunsuppressiva war ein Ausschlusskriterium. 38 Patienten wurden zu gleichen Teilen in zwei Gruppen randomisiert und erhielten i. v. entweder Rituximab (Rtx) oder Placebo, beginnend mit wöchentlichen Infusionen mit 375 mg/m2 Rtx über vier Wochen, gefolgt von 1000 mg alle zwei Wochen. Die Patienten wurden außerdem stratifiziert nach ihrer begleitenden Steroid-Therapie (5-30 mg/Tag Prednisolon) und der Zahl der Schübe in den vorangegangenen zwei Jahren. Prednisolon wurde protokollgemäß schrittweise reduziert (um 2-5 mg/d). Im Verlauf brachen drei Rtx-Patienten die Therapie ab (zensierte Fälle). In der Studienzeit von insgesamt 72 Wochen gab es sieben neue Erkrankungsschübe in der Placebo-Gruppe, unter Rtx dagegen keine (Gruppenunterschied 36,8%; p=0,0058). Es gab acht schwere unerwünschte Ereignisse, vier davon bei drei Patienten der Verumgruppe und vier Ereignisse bei zwei Patienten in der Placebogruppe. Alle Patienten erholten sich davon.
„Trotz der relativ geringen Fallzahl in der Studie zeigte sich Rituximab als ausgesprochen wirksam in der Verhinderung neuer Schübe bei NMOSD und es gab keine beunruhigenden Sicherheitssignale. Die Studie hilft in der Rechtfertigung von Rituximab in dem Standardtherapieschema der NMOSD“, erklärt Prof. Prof. h.c. Dr. Heinz Wiendl, Sprecher des Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KNNMS), Direktor der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie an der Westfälischen Universität Münster. „Eine Einschränkung der Studie ist neben der geringen Fallzahl noch die Häufigkeit milder Verläufe“.
„Vor dem Hintergrund der guten Wirksamkeit ist es besonders erfreulich, dass die Patienten hier auf ein Medikament ansprachen, mit dem in anderen Bereichen schon über mehr als 20 Jahre Erfahrungen gesammelt wurden“, ergänzt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Daher ist das Nebenwirkungsprofil gut bekannt und man kann von einer hohen Therapiesicherheit ausgehen. Da Rituximab inzwischen auch als Generikum bzw. Biosimilar verfügbar ist, werden die Therapiekosten dieser zielgerichteten Therapie in jedem Fall vertretbar sein.“
Literatur
[1] Tahara M, Oeda T, Okada K et al. Safety and Efficacy of Rituximab in Neuromyelitis Optica Spectrum Disorders (RIN-1 Study): A Multicentre, Randomised, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. Lancet Neurol 2020 Apr; 19 (4): 298-306 doi: 10.1016/S1474-4422(20)30066-1. Epub 2020 Mar 18.
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doi: 10.1016/S1474-4422(20)30066-1
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