Das Infektionsschutzgesetz wird missbraucht, um Einzelinteressen zu sichern! Die mit dem neuen Psychotherapeutengesetz von 2019 erhöhten Standards für die Ausbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sollen nun für Hochschulen für angewandte Wissenschaften ausgesetzt werden, angeblich um die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu sichern. Dabei sind bereits genügend Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Bereich Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie approbiert. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie und der Fakultätentag Psychologie fordern Gesundheitsminister Jens Spahn auf, diese Ausnahmeregelung umgehend wieder aufzuheben.
Der Gesetzgeber hat am 8. November 2019 ein international wegweisendes und innovatives Gesetz zur Reform der Psychotherapieausbildung verabschiedet. An der Ausarbeitung dieses lang ausgehandelten Gesetzes waren alle wichtigen Akteure in Wissenschaft, Gesundheitssystem und Politik über einen mehrjährigen demokratischen Prozess beteiligt. Nun wird dieses Gesetz in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unter Ausnutzung des Infektionsschutzgesetzes torpediert und es werden wichtige Eckpfeiler im Bereich der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie außer Kraft gesetzt. Ein zentraler Aspekt des reformierten Gesetzes war die Verankerung der Ausbildung von Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen- und therapeuten an Universitäten. In dem am 14. Mai 2020 vom Bundestag beschlossenen Infektionsschutzgesetz, Artikel 19, soll es nun Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) ermöglicht werden, das Inkrafttreten der mit dem neuen Gesetz verbundenen hohen Ausbildungsstandards zu umgehen – für weitere sechs Jahre. Sie dürfen weiterhin die Ausbildung in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie anbieten, obwohl gerade die Qualitätsstandards dieser HAWs seit Jahren Anlass für Kritik waren und die Novellierung des Psychotherapeutengesetzes notwendig gemacht hatten.
Versorgung ist bereits mehr als gesichert
Die Ausnahmeregelung für HAWs wird damit begründet, dass die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen sichergestellt werden müsse. Ein Blick in die aktuellen Zahlen der jährlichen Approbationen für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie zeigt jedoch, dass hier keine Not besteht. Der Bedarf an approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten wird aktuell deutlich mehr als erfüllt. So dokumentiert das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), dass in den letzten zwei Jahren z.B. in Niedersachen 39% der Approbationen für den Kinder- und Jugendbereich erteilt wurden. Als angemessen werden aufgrund der Altersstruktur in Deutschland 20% erachtet. Auch in absoluten Zahlen wird deutlich, dass doppelt so viele Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten approbiert werden wie Kassensitze vorhanden sind. Es entsteht der Eindruck, dass hier die Partikularinteressen einzelner HAWs bedient werden sollen, die seit längerem gegen die universitäre Verankerung der Psychotherapieausbildung agieren.
Gerade Kinder brauchen gut ausgebildete Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
Eine der wichtigsten Errungenschaften des im November 2019 verabschiedeten Gesetzes zur Reform der Psychotherapieausbildung war, dass mit dem neuen Gesetz nun endlich die Ausbildung in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie auf das gleiche universitäre Ausbildungsniveau wie die Ausbildung in Psychotherapie mit Erwachsenen angehoben wurde. Kinder sind eine besonders vulnerable Gruppe. Behandlungen, die bei ihnen zur Anwendung kommen, müssen wirksam und sicher sein und von nach höchsten Standards ausgebildetem Personal umgesetzt werden! Dies gilt nicht nur für somatische, sondern auch für psychische Störungen. Nur die konsequente Ausbildung an Universitäten kann das wissenschaftliche und fachliche Niveau sowie die dafür notwendige Grundlagen- und Interventionsforschung sicherstellen. „Es darf nicht sein, dass es wieder Kinder sind, bei denen die Qualitätsstandards gesenkt werden und die somit zum Spielball von Partikularinteressen werden,“ sagt Prof. Silvia Schneider von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs), die sich jahrelang für eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie engagiert hat. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie und der Fakultätentag Psychologie fordern daher Gesundheitsminister Jens Spahn auf, diese Ausnahmeregelung umgehend wieder aufzuheben.
Kontakt bei Rückfragen:
Prof. Dr. Silvia Schneider
Fakultät für Psychologie
Lehrstuhl Klinische Kinder- und Jugendpsychologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel: +49 234 32 23168
E-Mail: silvia.schneider@rub.de
Prof. Dr. Birgit Spinath
Präsidentin der Deutschen Gesellschaft
für Psychologie (DGPs) e.V.
Prof. Dr. Birgit Spinath
Marienstr. 30
10117 Berlin
E-Mail: praesidentin@dgps.de
Prof. Dr. Conny Antoni
Vorsitzender des Fakultätentages
Psychologie (FTPs)
Prof. Dr. Conny Herbert Antoni
Universität Trier
Universitätsring 15
54296 Trier
E-Mail: antoni@uni-trier.de
Über die DGPs:
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs e.V.) ist eine Vereinigung der in Forschung und Lehre tätigen Psychologinnen und Psychologen. Die über 4700 Mitglieder erforschen das Erleben und Verhalten des Menschen. Sie publizieren, lehren und beziehen Stellung in der Welt der Universitäten, in der Forschung, der Politik und im Alltag.
Über den Fakultätentag Psychologie:
Der Fakultätentag Psychologie ist die hochschulpolitische Vertretung aller psychologischen Institute an den deutschen Universitäten.
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students
Medicine, Psychology
transregional, national
Science policy, Studies and teaching
German
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