Themen von optimiertem künstlichem Sehen über Digitalisierung in der Medizin bis zur Wahrnehmung des Ostseeraums / 56 Millionen Euro für zunächst viereinhalb Jahre
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet zur weiteren Stärkung des wissenschaftlichen Nachwuchses elf neue Graduiertenkollegs (GRK) ein. Dies beschloss der zuständige Bewilligungsausschuss, der wegen der Coronavirus-Pandemie vom 8. Mai auf den 7. Juli verlegt wurde und per Videokonferenz tagte. Die neuen GRK werden ab Oktober 2020 zunächst viereinhalb Jahre lang mit insgesamt rund 56 Millionen Euro gefördert. Darin enthalten ist eine 22-prozentige Programmpauschale für indirekte Kosten aus den Projekten. Ein Verbund ist ein Internationales Graduiertenkolleg (IGK) mit Partnern in Estland und Norwegen. Zudem wird an den Standorten Duisburg-Essen und Dortmund ein gemeinsames Graduiertenkolleg eingerichtet, das von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einer Universität und einer Fachhochschule getragen wird.
Zusätzlich zu den elf Einrichtungen stimmte der Bewilligungsausschuss für die Verlängerung von zehn GRK für jeweils eine weitere Förderperiode. Graduiertenkollegs bieten Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit, in einem strukturierten Forschungs- und Qualifizierungsprogramm auf hohem fachlichem Niveau zu promovieren. Aktuell fördert die DFG insgesamt 219 GRK, darunter 36 IGK.
Zudem beschloss der Bewilligungsausschuss, dass künftig die Möglichkeit der Beantragung von Stipendien für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden entfallen soll, nachdem bereits seit mehreren Jahren keine Stipendien mehr, sondern ausschließlich Stellen für diese Personengruppe beantragt wurden.
Die elf neuen Graduiertenkollegs im Einzelnen
(in alphabetischer Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen, unter Nennung der Sprecherinnen oder Sprecher sowie der weiteren antragstellenden Hochschulen und der Kooperationspartner):
Bei Patienten mit geringer Sehfähigkeit oder Blinden können mithilfe von Retinaimplantaten einfache Sehfunktionen wiederhergestellt werden. Die Ergebnisse bleiben jedoch oftmals hinter den Erwartungen zurück, weil die Technologien nicht hinreichend weit erforscht und die biologischen Grundlagen der Erkrankungen nicht genügend untersucht sind. Das GRK „Innovative Schnittstellen zur Retina für optimiertes künstliches Sehen – InnoRetVision“ will deshalb die biomedizinischen Mechanismen der Krankheiten im Sehsystem genauer analysieren und zugleich die Stimulationsergebnisse durch Ansätze zu neuartigen Elektroden und Schaltungssystemen verbessern. (RWTH Aachen, Sprecher: Professor Dr. Peter Walter, ebenfalls antragstellend: Universität Duisburg-Essen)
Wie antworten menschliche Stammzellen und Vorläuferzellen mit Stammzelleigenschaften auf Schäden durch chemische Stoffe, die Änderungen im genetischen Material auslösen? Diese Frage erforscht das GRK „Einfluss von Genotoxinen auf die Differenzierungseffizienz muriner und humaner Stamm- und Progenitorzellen sowie die Funktionalität von daraus abgeleiteten differenzierten Zelltypen“. Die Forscherinnen und Forscher wollen sowohl die unmittelbare Reaktion der Zellen auf giftige Substanzen untersuchen als auch, inwieweit ein Giftstoff die Entwicklung der Tochterzellen langfristig beeinträchtigt. (Universität Düsseldorf, Sprecher: Professor Dr. Gerhard Fritz)
Durch die zunehmende Digitalisierung in der Medizin sind immer mehr Patientendaten an verschiedenen Orten verfügbar, sei es in elektronischen Patientenakten oder durch Laboranalysen. Doch wie bringt man diese Informationen so zusammen, dass sich daraus konkrete Handlungsoptionen für die behandelnden Ärzte ableiten lassen? Das GRK „Wissens- und datenbasierte Personalisierung von Medizin am Point of Care“ will diese Entwicklung vorantreiben und dazu bestehende klinische Datenbestände mit KI-Methoden aufbereiten. Als Anwendungsbeispiel dienen Fälle aus dem Bereich Hautkrebs. Dieser Verbund wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einer Universität und einer Fachhochschule gemeinsam getragen. (Universität Duisburg-Essen und Fachhochschule Dortmund, Sprecherin: Professorin Dr. Britta Böckmann)
Im Kontext zunehmender globaler Vernetzung und fast grenzenloser medialer Kommunikation erhalten Orte und Prozesse der Verortung neue Bedeutung. Unter dem Titel „Practicing Place – Soziokulturelle Praktiken und epistemische Konfigurationen“ sollen soziologische und humangeografische Arbeiten die Praktiken der Hervorbringungen und Herstellung von Orten in den Blick nehmen. Literatur- und kunstwissenschaftliche Untersuchungen werden sich dem „practicing place“ zudem stärker über die in Texten und Kunstwerken imaginierten Orte und deren Wissenswirklichkeiten nähern, als dies bisher der Fall war. (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Sprecher: Professor Dr. Hans-Martin Zademach)
Wie das Immunsystem des Menschen sich gegen Erreger zur Wehr setzt, will das GRK „FAIR – Feinabstimmung der adaptiven Immunantwort“ mithilfe neuester Methoden ergründen. Dazu nutzen die Forscherinnen und Forscher aus Naturwissenschaften und Medizin gezielt genetische Veränderungen primärer Immunzellen mittels CRISPR/Cas-Technologie oder hochauflösende Imaging-Methoden. Auf diese Weise sollen die molekularen Regulationsmechanismen untersucht werden, die die Immunreaktion steuern. (Universität Erlangen-Nürnberg, Sprecher: Professor Dr. Hans-Martin Jäck)
Das GRK „Verknüpfung von Bildanalyse und Molekularen Lebenswissenschaften (Imol)“ will in den Molekularen Lebenswissenschaften die kombinierte Ausbildung in modernen Methoden der Mikroskopie zusammen mit Werkzeugen der computergestützten Bildanalyse voranbringen. Bilddatensätze sind äußerst umfangreich und aufwendig zu analysieren. Zusätzlich fehlt es den in der Bildanalyse geschulten Informatikern und Physikern oftmals an lebenswissenschaftlichem Fachwissen, umgekehrt mangelt es Biologen häufig an der Datenverarbeitungskompetenz. Für die Bildinterpretation will das Kolleg deshalb unter anderem Algorithmen entwickeln, die teilautonome Bildanalysen ermöglichen. (Universität Frankfurt/Main, Sprecher: Professor Dr. Achilleas Frangakis)
Mit räumlichen und zeitlichen Dimensionen von Imperien beschäftigt sich das GRK „Imperien: Dynamischer Wandel, Temporalität und nachimperiale Ordnungen“. Dabei sollen sowohl mediale Reflexionen als auch historische Aufarbeitungen von Imperien erforscht werden. Expertinnen und Experten aus Geschichts- und Politikwissenschaft, Soziologie und Literaturwissenschaft wollen auf diese Weise verschiedene Imperien wie das Perserreich, das Römische Reich, die europäischen Kolonialreiche des 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch die Sowjetunion sowie China in den Blick nehmen. (Universität Freiburg, Sprecher: Professor Dr. Peter Eich)
Proteasen sind Enzyme, also körpereigene Katalysatoren, die den Abbau von Proteinen vorantreiben; sie spielen eine Schlüsselrolle in fast allen biologischen Prozessen. So kennt man etwa im menschlichen Organismus bisher fast 500 verschiedene Proteasen – sie kommen in allen Geweben und Zellen vor, sowohl intrazellulär als auch im extrazellulären Milieu. Überschießende oder fehlende Proteasenaktivität kann Krankheiten verursachen. Das GRK „Entschlüsselung zellulärer Proteasefunktionen durch Identifizierung und Analyse von Proteasesubstraten (ProtPath)“ will offene Fragen rund um die Proteasenaktivität beantworten, um so unter anderem zur Entwicklung neuer Therapien beizutragen. (Universität Freiburg, Sprecher: Professor Dr. Thomas Reinheckel)
Der Begriff „Peripetie“ bezeichnet Wendepunkte aller Art, etwa Revolutionen, Reformationen, Katastrophen oder tipping points. Das IGK „Ostsee-Peripetien. Reformationen, Revolutionen, Katastrophen“ will mithilfe des Peripetie-Begriffs die Wahrnehmung des Ostseeraums in Erzählungen und Ereignisberichten untersuchen. Ereignisse, die unerwartete Konsequenzen nach sich ziehen und Interpretationen verändern können, wie etwa der Fall des Eisernen Vorhangs, sollen im Rahmen des Internationalen Graduiertenkollegs mit Partnern in Norwegen und Estland eingehender untersucht werden. (Universität Greifswald, Sprecher: Professor Dr. Eckhard Schumacher; Kooperationspartner: University of Tartu, Estland; Norwegian University of Science and Technology, Norwegen)
Auf dem Gebiet der Organischen Elektronik ist bislang noch ungeklärt, wie Halbleiter aus organischem Material angeordnet werden müssen, um bestmögliche Ergebnisse, etwa bei der Fertigung von organischen Solarzellen, zu erzielen. Das GRK „Template-Designed Organic Electronics (TiDE) – Understanding Transport by Transition from Disorder to Order” will deshalb chemische Templates, das sind Molekülschablonen, nutzen, um organische Materialien auf mikroskopischer Ebene zu strukturieren und so die Leistungsfähigkeit organischer Halbleiter zu verbessern. (Universität Köln, Sprecher: Professor Dr. Klaus Meerholz, ebenfalls antragstellend: Universität Bonn)
Ziel des GRK „Ionenpaareffekte in molekularer Reaktivität“ ist die Aufklärung von Ionenpaarstrukturen und ihren Reaktionsmechanismen. Ionenpaare werden in allen Bereichen der Chemie genutzt und bestimmen die Eigenschaften von metallorganischen Reagenzien, anorganischen Clustern und ganzen Katalyseklassen. Die Vorhersage von Grundzustandsstrukturen und Übergangszuständen ist jedoch insbesondere bei kleinen Ionenpaaren schwierig. Die Forscherinnen und Forscher wollen mit ihren Arbeiten zur gezielten Beeinflussung von Reaktionsmechanismen beitragen. (Universität Regensburg, Sprecherin: Professorin Dr. Ruth M. Gschwind)
Die zehn für eine weitere Förderperiode verlängerten GRK
(in alphabetischer Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen, unter Nennung der Sprecherinnen oder Sprecher sowie der weiteren antragstellenden Hochschulen und der Kooperationspartner, mit Verweisen auf die Projektbeschreibungen in der DFG-Internetdatenbank GEPRIS zur laufenden Förderung):
IGK „Neuronale Grundlagen der Modulation von Aggression und Impulsivität im Rahmen von Psychopathologie“ (RWTH Aachen, Sprecherin: Professorin Dr. Ute Habel, Kooperationspartner: University of Pennsylvania, USA)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/269953372
IGK „Das Reguläre im Irregulären: Analysis von singulären und zufälligen Systemen“ (Universität Bielefeld, Sprecher: Professor Dr. Rolf Moritz Kaßmann, Kooperationspartner: Seoul National University, Südkorea) https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/282638148
GRK „Myeloide antigenpräsentierende Zellen und Induktion adaptiver Immunität“ (Universität Bonn, Sprecher: Professor Dr. Christian Kurts, Kooperationspartner: University of Melbourne, Australien) https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/272482170
GRK „Accelerator Science and Technology for Energy Recovery Linacs” (TU Darmstadt, Sprecher: Professor Dr. Norbert Andreas Pietralla, ebenfalls antragstellend: Universität Mainz) https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/264883531
GRK „Anpassungsintelligenz von Fabriken im dynamischen und komplexen Umfeld“ (TU Dortmund, Sprecher: Professor Dr. Jakob Rehof)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/276879186
IGK „PRoTECT – Pflanzliche Gefahrenabwehr“ (Universität Göttingen, Sprecher: Professor Dr. Ivo Feußner, Kooperationspartner: University of British Columbia, Kanada)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/273134146
GRK „Energiezustandsdaten – Informatik-Methoden zur Erfassung, Analyse und Nutzung“ (KIT Karlsruhe, Sprecher: Professor Dr.-Ing. Klemens Böhm)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/270362368
GRK „Algorithmic Optimization (ALOP)“ (Universität Trier, Sprecher: Professor Dr. Volker Schulz) https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/264747124
GRK „3D Gewebemodelle zur Untersuchung von mikrobiellen Infektionen durch Pathogene des Menschen“ (Universität Würzburg, Sprecher: Professor Dr. Thomas Rudel)
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/270563345
GRK „Dokument – Text – Edition. Bedingungen und Formen ihrer Transformation und Modellierung in transdisziplinärer Perspektive“ (Universität Wuppertal, Sprecher: Professor Dr. Jochen Johrendt) https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/277132246
Weiterführende Informationen
Medienkontakt:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der DFG, Tel. +49 228 885-2109, presse@dfg.de
Weitere Informationen erteilen auch die Sprecherinnen und Sprecher der Graduiertenkollegs.
Fachlicher Ansprechpartner in der DFG-Geschäftsstelle:
Dr. Armin Krawisch, Leiter der Gruppe Graduiertenkollegs, Graduiertenschulen, Nachwuchsförderung,
Tel. +49 228 885-2424, armin.krawisch@dfg.de
Ausführliche Informationen zum Förderprogramm und zu den geförderten Graduiertenkollegs finden sich unter:
www.dfg.de/gk
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
interdisciplinary
transregional, national
Research projects, Science policy
German
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