Neben Maßnahmen zur frühzeitigen Diagnose fordern nationale und internationale Leitlinien1, dass Kinder mit Diabetes mellitus und ihre Familien von der Diagnose an durch ein qualifiziertes multiprofessionelles Diabetesteam behandelt werden. Doch das wird in Deutschland noch nicht ausreichend umgesetzt. Ebenso defizitär ist die Integration der Betroffenen in KiTas und Schulen. Auf diesen Missstand macht die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) anlässlich des anstehenden Weltkindertages auf einer Pressekonferenz am 17. September 2020 aufmerksam. LINK ZUR ANMELDUNG: https://attendee.gotowebinar.com/register/7701426251418950672
In den vergangenen 25 Jahren hat sich durch die Verwendung von Glukosesensoren, Insulinpumpen, intelligenten Insulinabgabesysteme, Messgeräten mit Bolus-Rechnern und schnell wirksamen Insulinen die Diabetestherapie erheblich verbessert. „Gleichzeitig haben sich die Rahmenbedingungen für ein effektives Diabetesmanagement verschlechtert“, berichtet Professor Dr. rer. nat. Karin Lange, 2. Vorsitzende der AG „Diabetes und Psychologie“ der DDG. „In der ambulanten Versorgung sind interdisziplinäre Teams, bestehend aus Kinderdiabetologen, Psychologen und Diabetesassistenten, selten vorgesehen und finanziert. Auch der stationäre Sektor kann dies nur unzureichend abfedern, da entsprechende Strukturen an universitären Einrichtungen oder Kinderkliniken ebenso schlecht gegenfinanziert und defizitär sind.“
So gut moderne Therapien und Technologien auch sind, sie stellen hohe Ansprüche an einen strukturierten Alltag der Familien, Erziehungskompetenz, Selbstdisziplin, Selbstmanagement und das Verständnis komplexer Zusammenhänge. Die Psychologin verweist dabei auf die Fragebogenstudie AMBA2, die die Bedürfnisse betroffener Familien eruiert hat: „Familien sind in ihrem Alltag oft überfordert. Sie benötigen neben der therapeutischen auch eine psychosoziale Unterstützung, um diese Mehranforderungen ausreichend zu bewältigen“, erklärt Lange, Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Auch nationale und internationale Leitlinien fordern, Betroffenen ein multiprofessionelles Diabetesteam zur Seite zu stellen, das nicht nur auf Stoffwechselwerte achtet, sondern auch die seelische Gesundheit und die Fähigkeit zum Selbstmanagement im Alltag fördert. „Deutschland besteht jedoch aus einem Flickenteppich an Maßnahmen und Regelungen, die diese Familien unterstützen – insbesondere in ländlichen Regionen gibt es nur wenig Unterstützung3“, so Lange.
Auch Erziehende und Lehrkräfte sind häufig überfordert. „Die Eingliederung in Schule und Kindergarten von an Typ-1-Diabetes erkrankten Kindern bereitet immer größere Probleme“, führt Privatdozent Dr. med. Thomas Kapellen, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft pädiatrische Diabetologie (AGPD) der DDG, aus. Mittlerweile stehen für das Personal in Kita und Schulen zwar gut strukturierte Schulungsprogramme zur Verfügung (Edukids), es fehlt aber an einer bundeseinheitlichen Regelung zur Finanzierung dieser essenziellen Leistung. In den meisten Fällen wird diese ehrenamtlich, durch Spendengelder oder Querfinanzierung innerhalb der Diabeteseinrichtung erbracht.
„Wie sich der Start für Kinder mit Typ 1-Diabetes in Kita oder Schule gestaltet, ist auch von Faktoren wie dem Bundesland, den jeweiligen kommunalen Strukturen, der betreuenden Einrichtung, der Kommunikationsfähigkeit der Eltern sowie der Ausstattung, den Mittel und der Präsenz des betreuenden Diabetesteams abhängig“, so Kapellen. „Es gleicht also einem Glücksspiel, ob Kinder und Jugendliche mit Diabetes eine gute Rundum-Versorgung erhalten oder nicht.“ Hinzu kommt, dass im Vergleich zu stoffwechselgesunden Altersgenossen fast doppelt so viele Kinder mit Diabetes trotz altersgemäßer kognitiver Fähigkeiten zum Besuch einer Förderschule gedrängt werden. Viele Kinder werden darüber hinaus von Ausflügen, Feiern und Klassenfahrten ausgeschlossen – in der Grundschule ist etwa jedes vierte Kind betroffen.3
Auf der Online-Pressekonferenz der DDG am 17. September 2020 um 11 Uhr sprechen Experten über mögliche Lösungsansätze für eine bessere, flächendeckende Versorgung junger Menschen mit Diabetes Typ 1 und welche Maßnahmen dabei helfen würden, die Betroffenen in KiTas und Schulen zu integrieren. LINK ZUR ANMELDUNG: https://attendee.gotowebinar.com/register/7701426251418950672
Literatur:
1Phelan H, Lange K, Cengiz E, Gallego P, Majaliwa E, Pelicand J, Smart C, Hofer SE. Diabetes education in children and adolescents. ISPAD Clinical Practice Consensus Guidelines 2018 Compendium. Pediatr Diabetes 2018;19(Suppl 27):75-83.
1Neu A, Bürger-Büsing J, Danne T, Dost A, Holder M, Holl RW, Holterhus PM, Kapellen T, Karges B, Kordonouri O, Lange K, Müller S, Raile K, Schweizer R, von Sengbusch S, Stachow R, Wagner V, Wiegand S, Ziegler R. German Diabetes Association: Clinical Practice Guidelines: Diagnosis, Therapy and Follow-up of Diabetes mellitus in Children and Adolescents. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2019;127:341-52.
2Dehn-Hindenberg A, Berndt V, Biester T, Heidtmann B, Jorch N, Konrad K, Lilienthal E, Nellen-Hellmuth N, Neu A, Ziegler R, Lange K, AMBA-study group. Occupational conse-quences and psychosocial burden among parents after diagnosis of type 1 diabetes (T1D) in their child: results of the German AMBA study. Pediatr Diabetes 20(Suppl.28):57
3Heinrich-Rohr M., Boss K.; Wendenburg J. et. al., Unzureichende Versorgung gefährdet Inklusion von Kindern mit Diabetes mellitus Typ 1, Mai 2019 Diabetologie und Stoffwechsel 14 (05): 380-387. DOI: 10.1055/a-0970-8886
Weitere Literatur:
Auzanneau M et al., Area Deprivation and Regional Disparities in Treatment and Outcome Quality of 29,284 Pediatric Patients With Type 1 Diabetes in Germany: A Crosssectional Multicenter DPV Analysis, Diabetes Care 2018 Dec; 41(12): 2517-2525
Rawshani A, Sattar N, Franzén S, et al. Excess mortality and cardiovascular disease in young adults with type 1 diabetes in relation to age at onset: a nationwide, register-based cohort study. Lancet. 2018;392(10146):477-486. doi:10.1016/S0140-6736(18)31506-X
Online-Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)
„Weltkindertag am 20. September 2020: Wie gut versorgt sind Kinder und Jugendliche mit Diabetes in Deutschland? Über die aktuelle Situation und Veränderungen der letzten 25 Jahre“
Termin: Donnerstag, 17. September 2020, 11.00 bis 12.00 Uhr
Themen und Referenten:
Besondere Herausforderungen und Ziele in der Behandlung von jungen Menschen mit Diabetes – was Angehörige und Ärzte beachten müssen
Professor Dr. med. Andreas Neu
Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Komm. Ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen
25 Jahre DPV-Register: Welche Erkenntnisse ziehen wir daraus für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes?
Professor Dr. med. Reinhard Holl
Vorsitzender der AG Diabetologie, Baden-Württemberg (ADBW), Leiter der Arbeitsgruppe Computergestütztes Qualitätsmanagement in der Medizin im epidemiologischen Institut der Universität Ulm
Wie steht es um die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes in Deutschland? Eine Bestandsaufnahme.
Professor Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Karin Lange
2. Vorsitzende der AG „Diabetes und Psychologie“ der DDG, Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover
Herausforderung im Alltag: Welche Rolle spielt Diabetes bei den Heranwachsenden in KiTa und Schule?
Privatdozent Dr. med. Thomas Kapellen
Sprecher der AG „Pädiatrische Diabetologie“ der DDG, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkt Kinder-Endokrinologie und -Diabetologie am Uniklinikum Leipzig
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Medicine, Social studies
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Press events
German
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