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11/16/2020 12:17

Mangel an Bewusstsein für Sensibilität von DNA-Daten

Nicolas Scherger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

    Studien zeigen, wie die Bevölkerungsgruppe der Roma in forensisch-genetischen Kontexten unangemessen behandelt wird

    Die Bevölkerungsgruppe der Romnja und Roma wird in DNA-Datenbanken und in genetischen Studien in ethischer und wissenschaftlicher Hinsicht unangemessen behandelt – womöglich mit Auswirkungen auf Ermittlungen, die auf forensisch-genetische Datenbanken zurückgreifen: Zu diesem Ergebnis kommen Prof. Dr. Veronika Lipphardt und ihr Kollege Dr. Mihai Surdu von der Professur für Wissenschaftsforschung der Universität Freiburg in zwei Fachpublikationen, die sie nun als Preprints veröffentlicht haben – eins davon unter Beteiligung der Heidelberger Humangenetikerin Prof. Dr. Gudrun Rappold.

    Wie Lipphardt und Surdu ausführen, werden etwa seit Beginn der 1990-er Jahre DNA-Daten von Roma in Osteuropa und auf der iberischen Halbinsel gesammelt. Große internationale Forschungsteams aus Ost- und Westeuropa analysieren und publizieren diese Daten in Zeitschriften unterschiedlicher genetischer Fachgebiete – allein 45 forensisch-genetische Publikationen sind seit 1990 dazu erschienen. „Forensische Genetikerinnen und Genetiker betrachten die Roma seit Jahrzehnten als eine genetisch interessante Bevölkerungsgruppe. Einige forensisch-genetische Datenbanken enthalten proportional viel mehr DNA von ihnen als von anderen Bevölkerungsgruppen“, sagt Lipphardt.

    Die Datensammlerinnen und -sammler gehen von der Annahme aus, dass es sich bei den Roma um eine aus Indien stammende und genetisch isolierte, klar abgrenzbare Gruppe handle. Eine Fehlannahme mit weitreichenden Konsequenzen: Denn die Forscherinnen und Forscher suchen nur Probandinnen und Probanden, die aus isolierten Gemeinschaften oder Ortschaften kommen. Aber isolierte Ortschaften, wie etwa Alpendörfer, können keine größeren Bevölkerungsgruppen repräsentieren; in diesem Vergleich die Bevölkerung der Schweiz: Denn der Rest der Bevölkerung lebt nicht isoliert. Auch Roma haben in den vergangenen Jahrhunderten nicht isoliert gelebt, und sie haben Vorfahren aus vielen verschiedenen Regionen, vor allem aus Europa. Die Darstellung als isolierte, fremde Gruppe könnte zu Stigmatisierung und Ausgrenzung beitragen, argumentiert das Forschungsteam.

    Außerdem ziehen Lipphardt und Surdu international anerkannte ethische Standards für genetische Forschung heran, um problematische Aspekte der Verwendung von DNA-Daten von Roma in forensischen Kontexten zu dokumentieren. Sie zeigen, dass zwei wesentliche ethische Anforderungen nur selten erfüllt werden: die informierte Einwilligung aller Probandinnen und Probanden sowie die Befürwortung von Studien und Datenerhebungen durch eine Ethikkommission. Darüber hinaus beobachten Lipphardt und Surdu, dass mehrere forensisch-genetische Studien, die DNA-Daten von Roma verwenden, Ko-Autorinnen und Ko-Autoren aufweisen, die mit Polizei-, Ermittlungs- oder Militärkräften in institutionell enger Verbindung stehen. Dieser Befund weise auf das Risiko hin, dass bewusste oder unbewusste Stereotypen und Diskriminierungen in forensisch-genetische Studien und Ermittlungen einfließen.

    „Was wir in den verfügbaren Quellen beobachtet haben, kann man als weitreichende Intransparenz beschreiben, die auf einen Bewusstseinsmangel für die ethische Sensibilität von DNA-Daten von Roma bei mehreren forensischen Genetikerinnen und Genetikern hindeutet“, fasst Lipphardt zusammen. „Diese Ergebnisse sind vor dem Hintergrund der gewaltvollen Geschichte biowissenschaftlicher Forschungen an Roma sowie des ethnischen Profilings durch Polizeikräfte zu betrachten.“ Die Publikationen beinhalten Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Roma sowie der ethischen Standards in der forensischen Genetik: etwa einen nachhaltigen institutionalisierten Dialog zwischen Forschenden und Roma, die gemeinsame Überprüfung ethischer Standards sowie die Einbeziehung von Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in Review-Verfahren.

    Originalveröffentlichungen:
    Lipphardt, V./ Rappold, G./Surdu, M. (2020): Representing vulnerable populations in genetic studies: The case of the Roma.
    DOI: 10.13140/RG.2.2.13286.04165

    Lipphardt, V./Surdu, M. (2020): DNA Data from Roma in forensic genetic studies and databases: Risks and challenges.
    DOI: 10.13140/RG.2.2.16641.48484

    Kontakt:
    Prof. Dr. Veronika Lipphardt
    Professur für Wissenschaftsforschung
    Philosophische Fakultät
    Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
    Tel.: 0761/203-4415
    veronika.lipphardt@ucf.uni-freiburg.de


    Original publication:

    https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2020/mangel-an-bewusstsein-fuer-sensibilitaet-...


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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