„Frauenhäuser müssen personell und finanziell besser ausgestattet werden“ / Forderung nach mehr Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Kinder: Professorin für Menschen in prekären Lebenslagen in der Sozialen Arbeit verweist auf Ergebnisse ihres Forschungsprojekts „Frauenhäuser und die Implementierung der Istanbul-Konvention – Herausforderungen in Hessen“ (FrImIKo).
Seit die europäische Istanbul-Konvention 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist, ist der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen auch hierzulande ein Menschenrecht. In Hessen hat sich zwar ein Netzwerk von Unterstützungsangeboten gegen häusliche Gewalt, bestehend aus Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen, gebildet. Jedoch reichen die vorhandenen Kapazitäten bei weitem nicht aus. „In Hessen müssen die Frauenhäuser finanziell und personell besser ausgestattet werden, um nicht nur einen flächendeckenden Schutz für vulnerable Gruppen zu gewährleisten, sondern auch präventiv tätig sein zu können“, fordert Prof. Dr. Kathrin Schrader von der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). „Dies muss als ein elementarer Bestandteil der Sozialen Arbeit auch stetig finanziert werden.“ Neben dem strukturellen Mangel sieht sie auch ein gesellschaftliches Problem: „Es reicht nicht aus, die Gesetzeslage zu ändern, sondern auch das Problembewusstsein in den Ämtern und Behörden muss geschärft werden, um geschlechtsbezogene Gewalt wirksam zu bekämpfen.“
Mit ihrer Stellungnahme stützt sich die Professorin für Menschen in prekären Lebenslagen in der Sozialen Arbeit auf Ergebnisse ihres Forschungsprojekts „Frauenhäuser und die Implementierung der Istanbul-Konvention – Herausforderungen in Hessen“ (FrImIKo). Das Projekt unter Mitarbeit von Stella Schäfer (MA) und Melike Engin (BA) am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit erstellt derzeit in enger Zusammenarbeit mit den hessischen Frauenhäusern und Fachleuten aus Politik und Verwaltung ein reales Lagebild der Situation in Hessen um herauszufinden, welche wichtigen nächsten Schritte in der Praxis nötig sind, damit der in der Istanbul-Konvention verbriefte Schutz auch in Hessen diskriminierungsfrei garantiert werden kann. Das Projekt, finanziert im Rahmen der hessischen Forschungskampagne „Forschung für die Praxis”, läuft noch bis August 2021.
Erstes Zwischenfazit: Die Hessischen Frauenhäuser sind aufgrund unzureichender personeller, baulicher und finanzieller Ausstattung nicht in der Lage, alle betroffenen Frauen und Mädchen vor geschlechtsbezogener Gewalt zu schützen. „Dies gilt vor allem für die besonders verletzlichen Gruppen von Müttern von Söhnen, die älter als zwölf Jahre sind, Frauen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen, EU-Bürgerinnen, Frauen ohne Aufenthaltstitel, mit Suchtproblemen oder ohne festen Wohnsitz“, erläutert Schrader. „Trans*- und Inter* Personen finden je nach Konzeption Schutz im Frauenhaus. Jedoch werden sie von den Frauenhäusern oft nicht erreicht, da die Gewalt gegen diese Menschen oft unsichtbar ist.“
Als positiv heben Schrader und ihre Mitarbeiterinnen hervor, dass vor Ort bereits ein starkes Problembewusstsein bezüglich der Umsetzung der Istanbul-Konvention entstanden sei. „Potenzielle Lösungen werden nicht mehr allein, sondern in enger Kooperation entwickelt. Einige Runde Tische in Hessen haben schon aus einer Eigeninitiative heraus mit lokalen Bestands- und Bedarfsanalysen begonnen. Jedoch fehlen auch hier die Mittel, um diese Aktivitäten zu verstetigen und zu professionalisieren. Kleine Häuser, die personell und finanziell ohnehin schlecht ausgestattet sind, haben nicht die Kapazitäten, sich in die unübersichtliche Förderstruktur einzuarbeiten“, so Schrader. „Daher sollte der Prozess besser begleitet, aber auch die Partizipation aller fokussiert werden. Dabei ist eine gute personelle und finanzielle Ausstattung aller Häuser, unabhängig von ihrer Trägerstruktur, grundlegend.“
Leider sei die Zusammenarbeit vor Ort untereinander und mit allen involvierten Behörden stark von Einzelpersonen und deren Bewusstsein für die Thematik abhängig. „In manchen Landkreisen gibt es schon länger sehr gut funktionierende Kooperationen, in anderen Landkreisen nicht“, so Schrader. Die Zwischenergebnisse zeigten, dass der Schutz vor Gewalt kein Standardthema für Institutionen und Behörden sei. Da die Istanbul-Konvention aber ein fach- und institutionenübergreifendes Vorgehen einfordere, müsse überlegt werden, wie zukünftig die Zusammenarbeit im Sinne von Gewaltbetroffenen gestärkt werden kann. „Eine Empfehlung wäre, Institutionen und Berufsgruppen wie z.B. Jugendämter, Familienrichter/-innen oder Verfahrensbeistände zu sensibilisieren und in die erweiterten Unterstützungsnetzwerke zu integrieren“, so die Expertin.
Die Projektbeteiligten fordern – neben einer Regelfinanzierung der Frauenhäuser (statt Einzelfall- oder Tagessatzfinanzierung) und einer ausreichenden Anzahl von Frauenhausplätzen mit adäquater Ausstattung auch im ländlichen Raum – die Einrichtung einer Landeskoordinierungsstelle zur Istanbul-Konvention.
Sie raten davon ab, gewaltbetroffene Frauen mit komplexen Problemlagen und besonders vulnerable Personen in anderen fachspezifischen Einrichtungen unterzubringen, die im Gegensatz zu Frauenhäusern keine eindeutige Expertise zu Partner- und geschlechtsbezogener Gewalt haben. Abgeraten wird ebenso von spezialisierten Häusern für besondere Gruppen, um einen diskriminierungsfreien Schutz zu ermöglichen. Da der Anspruch auf diskriminierungsfreien Schutz ein elementarer Teil der Umsetzung der Istanbul-Konvention ist, sollten zukünftig der Ausbau des Unterstützungsnetzwerks und ein begleitendes Monitoring vorangetrieben und die Präventionsmaßnahmen in Hessen ausgebaut werden. Schrader: „Aus unserer Sicht wäre es ein wichtiger Schritt, wenn eine bundesgesetzliche Regelung den gleichwertigen Zugang zum Hilfesystem verbindlich regelt.“
Zur Person:
Prof. Dr. Kathrin Schrader ist Diplom-Sozialarbeiterin, Diplom-Sozialwirtin und Master of Arts in „Gender und Arbeit" mit langjähriger Praxiserfahrung. Seit 2014 hat sie an der Frankfurt UAS eine Professur für Menschen in prekären Lebenslagen in der Sozialen Arbeit. Ihre Publikations- und Forschungsschwerpunkte sind Prekarisierung von Lebenswelten, Handlungsfähigkeit marginalisierter Gruppen, geschlechtsbezogene Gewalt sowie Intersektionalität in der Sozialen Arbeit.
Zur Istanbul-Konvention:
Um zu verhindern, dass die Prävention und die Sanktion von Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen in den EU-Mitgliedsstaaten an der Schwelle von Haushalten endete oder durch die Konstruktion eines ‚Beziehungsproblems‘ abgeschwächt oder eingestellt wurde, hat der Europarat am 11. Mai 2011 in Istanbul ein „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ als verbindliche Rechtsnorm beschlossen. Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, umfassende Maßnahmen zur Prävention, zum Schutz, zu Intervention und rechtlichen Sanktionen gegen diese Art von Gewalt zu ergreifen. In Deutschland trat die Konvention erst im Februar 2018 in Kraft. Seitdem ist der explizite Schutz vor geschlechtsbezogener Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen auch in Deutschland ein Menschenrecht. Jegliche Form der Diskriminierung, wie zum Beispiel der strukturelle Ausschluss von Schutz, Hilfe und Beratung, ist ein Verstoß gegen diese Norm.
Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit & Gesundheit, Prof. Dr. Kathrin Schrader, Telefon: +49 69 1533-2688, E-Mail: schrader.kathrin@fb4.fra-uas.de
http://www.frankfurt-university.de/?id=8467 (Informationen zum Projekt FrImIKo)
http://www.frankfurt-university.de/fb4 (Informationen zum Fachbereich Soziale Arbeit & Gesundheit)
Prof. Dr. Kathrin Schrader
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Criteria of this press release:
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