Forschende am Museum für Naturkunde Berlin und am Musée national d’histoire naturelle Paris haben erstmals in 400 Millionen Jahre alten Fischfossilien Knochenzellen untersucht um herauszufinden, wie das hochkomplexe Netzwerk evolutiv entstand. Die Proben aus der Forschungssammlung des Museums wurden am Helmholtz-Zentrum Berlin im Rasterelektronenmikroskop untersucht. Die Forschenden fanden heraus, dass sogar in frühen fossilen Wirbeltieren Knochenzellen die Knochenmineralien auflösten, speicherten und wiederherstellen konnten. Diese Fähigkeit verschaffte den Fischen mit Knochenzellen einen Vorteil der möglicherweise so tiefgreifend war, dass er die Evolution der Wirbeltiere veränderte.
Ob Vögel, Fische oder Säugetiere, alle Wirbeltiere besitzen ein inneres Gerüst aus Knochen. Bei fast allen Wirbeltieren (mit Ausnahme von bestimmten Knochenfischen) besteht die Knochensubstanz aus einem komplexen Verbund aus Mineralien, Proteinen und lebenden Knochenzellen (Osteozyten). Dabei sind die Knochenzellen untereinander durch winzige Kanälchen verbunden, sodass sie Stoffe und Signale austauschen können und der Knochen wachsen oder sich regenerieren kann. Doch diese komplexe Architektur aus lebendigem und anorganischem Material musste im Lauf der Evolution erst entstehen.
Wie und wann das geschah, untersucht ein Team am Museum für Naturkunde Berlin um Dr. Florian Witzmann. Nun haben sie einen möglichen Meilenstein in dieser Entwicklung entdeckt – an Objekten aus der Forschungssammlung des Museums für Naturkunde Berlin, einer der weltweit größten Forschungsinfrastrukturen auf diesem Gebiet
Sie untersuchten dafür fossile Proben aus den Knochenplatten zweier früher Fischgattungen, die vor rund 400 Millionen Jahren lebten. Eine Probe stammte von Tremataspis mammillata, einem kieferlosen gepanzerten Fisch, der im späten Silur vor etwa 423 Millionen Jahren lebte und zu den sogenannten Osteostraci gehört. Die zweite, deutlich jüngere Probe war ein Stück Knochen aus dem kiefertragenden Fisch Bothriolepis trautscholdi, der im späten Devon vor rund 380 Millionen Jahren lebte und zu den Panzerfischen (Placodermi) gehört. „Bei diesen frühen Wirbeltieren war zwar schon bekannt, dass sie Knochenzellen besaßen, wir wussten aber wenig über die Art und Weise ihrer Verbindungen untereinander sowie über die Feinstrukturen der Hohlräume, in denen sich die Knochenzellen im lebenden Tier befanden. Um genauere Aussagen über den Knochenstoffwechsel machen zu können, mussten wir detailliertere Abbildungen dieser Strukturen haben, als bisher verfügbar waren“, sagt Witzmann.
Um dies möglich zu machen, schlug der HZB-Experte Dr. Ingo Manke ein Verfahren vor, das am HZB-Campus in Wannsee im Labor für Elektronenmikroskopie zur Verfügung steht: Die FIB-SEM-Tomographie am ZEISS Crossbeam 340. Dabei trägt ein fokussierter Gallium-Ionenstrahl kontinuierlich Material von der Probenoberfläche ab und gräbt sich nach und nach weiter in die Probe hinein – zeitgleich tastet ein Elektronenstrahl den frisch abgetragenen Teil der Probe ab und liefert Daten für die Erstellung von 3D-Abbildungen mit einer Auflösung, die mehr als hundertmal genauer ist als bei der Computertomographie.
Die aufwändige Analyse der hochaufgelösten 3D-Aufnahmen zeigt im Detail, wie das Netzwerk aus Hohlräumen und Kanälchen aufgebaut war. „Das belegt, dass unsere frühen, noch kieferlosen Vorfahren bereits Knochen mit einer ähnlichen inneren Struktur und wahrscheinlich vielen ähnlichen physiologischen Fähigkeiten besaßen wie wir selbst,“ erklärt Witzmann.
„Das wichtigste paläobiologische Ergebnis ist, dass wir in diesen frühesten Knochenproben auch direkte Spuren eines Stoffwechsels erkennen können“, sagt Yara Haridy, die am Museum für Naturkunde Berlin ihre Doktorarbeit macht. Durch lokale Osteolyse, also Auflösung der Knochenmatrix, welche die Knochenzellen umgab, war der Organismus wahrscheinlich in der Lage, in Notzeiten seinen Bedarf an Phosphor zu decken. Damit hatte er einen Vorteil im Vergleich zu seinen ursprünglicheren Zeitgenossen, die zellfreien Knochen besaßen, deren Knochen also keine Osteozyten enthielten. „Dieser Vorteil hat offenbar dazu geführt, dass sich bei Wirbeltieren Knochen mit Knochenzellen weitgehend durchsetzen konnten, also Knochen, wie wir sie auch bei uns Menschen kennen. Dies ist ein wichtiger Schritt zu der Erkenntnis, wie unser eigener Knochenstoffwechsel entstanden ist“, erklärt Haridy.
Publikation:
Bone Metabolism and Evolutionary Origin of Osteocytes; Yara Haridy*, Markus Osenberg*, André Hilger, Ingo Manke, Donald Davesne, Florian Witzmann
Naturkundemuseum Berlin, Yara Haridy (federführend),
https://advances.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/sciadv.abb9113
https://twitter.com/Yara_Haridy
yara.haridy@mfn.berlin
Erklärvideo von Yara Haridy zu Knochenzellen, Lacuna https://www.youtube.com/watch?v=YoX51e55Ow0
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Geosciences, Medicine
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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