Die Diagnose Demenz ist trotz aller Bemühungen in Forschung, Praxis und Politik immer noch mit weitreichenden negativen Konsequenzen verbunden. Ängste, Tabuisierung und Stigmatisierung prägen den Alltag vieler Betroffener und ihrer Familien. An diesem Dilemma setzt ein Modellprogramm von Porticus an: Mit Hilfe von Projekten in Deutschland, der Schweiz und Österreich soll aufgezeigt werden, wie ein Leben mit Demenz im gesellschaftlichen Alltag gelingen kann und welche Schritte dazu beitragen, Teilhabe und Würde der Menschen im gesamten Verlauf der Erkrankung zu sichern. Das iso-Institut Saarbrücken evaluiert dieses Programm und stellt nun erste Ergebnisse vor.
Aufgrund der demografischen Entwicklung nimmt die Zahl von Menschen mit Demenz weltweit zu. Aktuell leben ca. 1,6 Millionen Demenzkranke in Deutschland, 130.000 in Österreich und 147.000 in der Schweiz. Weltweit ist bis 2050 eine Verdreifachung der Zahl an Erkrankten zu erwarten. Zwar ist das Thema Demenz aufgrund der hohen Zahl an Betroffenen in der Bevölkerung und der mittlerweile gestiegenen medialen Präsenz stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Beschäftigung mit der Erkrankung ist jedoch von Ängsten und Unsicherheiten geprägt. Insbesondere die Vorstellung, durch eine Demenz einen unaufhaltsamen Verlust des Verstandes zu erleiden – in Kombination mit einer zunehmenden Abhängigkeit von Dritten –, eine bedrohliche und angstbesetzte Erwartung. Und diese Ängste sind alles andere als unbegründet: Menschen mit Demenz werden vor dem Hintergrund eines rationalistisch geprägten Menschenbildes, das den Verstand in den Mittelpunkt rückt, häufig abgewertet. Der Abbau ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit wird mit einer Entpersonalisierung oder einer Entmenschlichung gleichgesetzt. Dabei gerät aus dem Blick, dass das Menschsein auch eine soziale und emotionale Seite hat und dass Demenzkranke in diesen Dimensionen über erhebliche Ressourcen verfügen.
An diesem Punkt setzt ein Demenzprogramm von Porticus an. Unterstützt wurden Projekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die mit unterschiedlichen Ansätzen versuchen, die Haltung zu Menschen mit Demenz positiv zu beeinflussen. Ihr gemeinsames Ziel ist es, die besonders vulnerable Personengruppe der Demenzkranken in die Mitte der Gesellschaft zu rücken, sie bei einer selbstständigen Lebensführung zu unterstützen und ihnen gleichzeitig den benötigten Schutz zu bieten.
Wie sich im Rahmen der Evaluation gezeigt hat, ist die gesamte Gesellschaft gefordert, ein erfolgreiches Altern mit Demenz zu ermöglichen. Alle Menschen können sich einbringen, um die physische und soziale Umwelt so anzupassen, dass Menschen mit Demenz möglichst „barrierefrei“ leben können und sich zurechtfinden. Um Ängste vor Demenz abzubauen, sind offenbar insbesondere positiv besetzte Begegnungen mit Betroffenen geeignet. Deshalb sind alle Ansätze von Vorteil, bei denen Menschen mit Demenz selbst zu Wort kommen und berichten können, dass sich das Leben nach einer Diagnosestellung nicht in kürzester Zeit auf leidvolle Erfahrungen beschränkt. Insgesamt sollten die Bemühungen stärker in die Richtung ausgeweitet werden, Selbsthilfepotentiale und Ressourcen von Menschen mit Demenz aufzuzeigen, um ein Gegengewicht zu dem verbreiteten negativen Stigma zu setzen. Darüber hinaus hat sich soziale Teilhabe als wichtig herausgestellt, wenn es um ein erfülltes Leben mit Demenz geht. Denn Glück und Zufriedenheit erleben Menschen mit Demenz insbesondere in der Begegnung mit anderen Menschen sowie in dem Gefühl, weiterhin ein Teil der Gesellschaft zu sein und sinnvolle Aufgaben übernehmen zu können.
Die Projekte beinhalten die Chance, einen Kulturwandel hin zu einer wertschätzenden Gesellschaft und eine Veränderung der Einstellungen gegenüber Menschen mit Demenz zu initiieren. Sie leisten einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit und zur Etablierung von Gesundheitssystemen, die den Fokus auf den Wert und die Würde von Menschen unabhängig von ihren Handicaps legen.
Das Saarbrücker Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) hat nun erste Ergebnisse einer Evaluation vorgestellt. Sie zeigen die Erfahrungen der Projektbeteiligten in der Entwicklung und Umsetzung geeigneter Strategien zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen auf. Darüber hinaus werden hemmende Faktoren für den Projekterfolg dargestellt sowie Ansätze zur Überwindung dieser Barrieren. Folgende Projekte gingen in die qualitativ angelegte Evaluation ein:
• Universität Zürich, Lehrstuhl Spiritual Care: Würdetherapie für Patient*innen mit Demenz im Frühstadium. Empirische und narratologische Studien im Rahmen der Spirituellen Pflege
• Universität Zürich, Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft - Populäre Kulturen: Selbstsorge bei Demenz im Horizont von Spiritual Care und Empirischer Kulturwissenschaft
• PROMENZ-Initiative von und für Menschen mit Vergesslichkeit und leichterem Leben mit Demenz, Wien: Aufbau und Verbreitung von Unterstützungs- und Lobbying-Gruppen für Menschen mit Demenz
• Kardinal König Haus, Wien: Einführung und Umsetzung des Konzepts der demenzfreundlichen Gemeinschaften in Österreich
• Caritas der Erzdiözese Wien: Freizeitbuddies für Menschen mit Demenz
• Universität Heidelberg, Institut für Gerontologie: Pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz eine Stimme geben – Das Town Hall Projekt
• Diakoniewerk Österreich: Multiregionale und multimodale Demenzberatung
Dr. Sabine Kirchen-Peters
Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft
Trillerweg 68
66117 Saarbrücken
Tel.: 0681 95424-25
www.iso-institut.de
Email: kirchen-peters@iso-institut.de
https://www.iso-institut.de/wp-content/uploads/Iso_Report_6_-12-4-2021-final.pdf
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Nutrition / healthcare / nursing, Psychology, Social studies
transregional, national
Research results, Transfer of Science or Research
German
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