Eine Studie des Instituts für Psychologie der Universität Bern in Kooperation mit der Universität Gent ergibt, dass beruflicher Erfolg grundlegende Persönlichkeitseigenschaften verändern kann: Stiegen im Verlauf von acht Jahren das berufliche Prestige und Einkommen an, ging dies mit zunehmender emotionaler Stabilität und Offenheit für Erfahrungen sowie abnehmender Extraversion einher.
Persönlichkeitseigenschaften wurden in der wissenschaftlichen Psychologie lange Zeit als stabil angenommen. Die jüngere psychologische Forschung zeigt aber, dass sich die Persönlichkeit über die Lebensspanne verändert. Insbesondere können einschneidende Lebensereignisse (wie Scheidung, anhaltende Arbeitslosigkeit) oder wichtige soziale Rollen (wie Elternschaft, Art der Arbeitstätigkeit) die Persönlichkeitseigenschaften beeinflussen. Die aktuelle Studie unter der Leitung von Andreas Hirschi, Ordentlicher Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bern, untersuchte in diesem Zusammenhang den Einfluss des beruflichen Erfolgs auf die Persönlichkeit.
Forschungslücke geschlossen
Die bisherige Forschung zur beruflichen Laufbahn zeigte, dass bestimmte Persönlichkeits-eigenschaften wie emotionale Stabilität oder Gewissenhaftigkeit eine erfolgreiche Karriere begünstigen. Jedoch gab es bisher kaum Forschung dazu, ob beruflicher Erfolg umgekehrt auch zu Veränderungen in der Persönlichkeit führen kann.
Um diese Frage zu beantworten, analysierte die aktuelle Studie repräsentative Daten aus Deutschland von über 4'700 berufstätigen Erwachsenen, welche über einen Zeitraum von acht Jahren dreimal zu Berufserfolg und Persönlichkeit befragt wurden. Berufserfolg wurde anhand des erreichten beruflichen Prestiges der aktuellen Tätigkeit und des erzielten Einkommens gemessen. Die Persönlichkeit wurde anhand der grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften Emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit erfasst – den «Big Five» in der Persönlichkeitspsychologie. Die Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt und im Journal of Vocational Behavior publiziert, der weltweit führenden wissenschaftlichen Zeitschrift für Laufbahnforschung. Der Erstautor Prof. Andreas Hirschi ist ein ausgewiesener Experte für Laufbahnforschung; er wurde für seine Beitrage auf diesem Gebiet 2020 mit dem «Mid-Career Award» der Careers Division der Academy of Management ausgezeichnet, dem weltweit führenden Berufsverband für Management- und Organisationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Prof. Filip De Fruyt von der Universität Gent wurde als Experte für Persönlichkeitsforschung ins Forschungsteam geholt.
Kleine Änderungen mit vielleicht grosser Wirkung
«Die Analysen zeigten, dass beruflich erfolgreichere Personen über die Zeit emotional stabiler und offener für Erfahrungen, aber weniger extravertiert wurden. Der Berufserfolg ging also einher mit mehr emotionaler Entspanntheit, besserem Umgang mit Stress und weniger Sorgenmachen», sagt Andreas Hirschi, Erstautor der Studie. Zudem wurden beruflich erfolgreichere Personen mit der Zeit offener im Denken und aktiver in ihrer Vorstellungskraft. Zugleich wurden sie distanzierter sowie weniger gesprächig und gesellig.
Es wurden keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen oder Altersgruppen gefunden. Einschränkend muss festgehalten werden, dass die gefundenen Effekte relativ klein waren, die Veränderungen über den untersuchten Zeitraum also nicht sehr gross ausfielen. Jedoch könnten auch relativ kleine Veränderungen in den grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften einen bedeutsamen langfristigen Effekt auf das Leben eines Menschen haben. So zeigt die Forschung zum Beispiel, dass Personen mit grösser emotionaler Stabilität eine geringere Sterblichkeitswahrscheinlichkeit aufweisen. «Die Ergebnisse unserer Studie sind besonders aussagekräftig, weil sie auf einer grossen bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe beruhen, die über einen relativ langen Zeitraum begleitet wurde», fügt Co-Autor Ulrich Orth hinzu. Orth ist Ausserordentlicher Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern und hat für seine Forschung im Bereich Selbstwert- und Persönlichkeitsentwicklung den Mid-Career Award 2020 der European Association of Personality Psychology erhalten.
Neue Perspektive auf die Rolle von Erfolg im Leben
«Die Studie illustriert, dass Persönlichkeitseigenschaften nicht nur den Berufserfolg bestimmen, sondern Erfolg auch die Persönlichkeit verändern kann. Das gibt eine neue Perspektive auf die Rolle von Erfolg im Leben», fasst Andreas Hirschi die Ergebnisse der Studie zusammen.
Die Studie leiste somit einen wichtigen Beitrag zur Laufbahnforschung und Erforschung von Laufbahnerfolg. Sie zeige zudem, dass die Persönlichkeit über die Lebensspanne veränderbar ist und durch wichtige Lebenserfahrungen wie beruflichen Erfolg geprägt und verändert werden kann.
Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie am Institut für Psychologie
Die Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie befasst sich mit Arbeit und Berufstätigkeit als zentrale Lebensbereiche. Im Zentrum von Forschung und Lehre steht, wie Arbeitserfahrungen positiv und sinnhaft über die Lebensspanne gestaltet werden können. Themen sind die erfolgreiche Laufbahnentwicklung über die Lebensspanne, Berufswahl und Laufbahnberatung, Arbeit und Gesundheit sowie Arbeit und Sicherheit. Die Abteilung gehört zu den international renommiertesten Institutionen in der Laufbahnforschung.
PROF. DR. ANDREAS HIRSCHI
Institut für Psychologie, Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität Bern
Telefon: +41 31 631 40 45 (Sekretariat)
E-Mail-Adresse: andreas.hirschi@psy.unibe.ch
Hirschi, A., Johnston, C. S., De Fruyt, F., Ghetta, A., & Orth, U. (2021). Does success change people? Examining objective career success as a precursor for personality development. Journal of Vocational Behavior, 103582. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2021.103582
https://www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2021/medi...
Criteria of this press release:
Journalists
Psychology, Social studies
transregional, national
Research results
German
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