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07/02/2021 09:17

Wie beginnt die Alzheimer-Krankheit?

Janos Krüger Presse und Kommunikation
Technische Universität Braunschweig

    Die Alzheimer-Krankheit ist eine der komplexesten Erkrankungen des menschlichen Gehirns. Vor allem der Beginn der Erkrankung erweist sich als extrem schwer zu untersuchen. Dieser liegt 15 bis 30 Jahre vor dem Zeitpunkt, ab dem Patientinnen und Patienten durch kognitive Ausfälle vor allem im Sprach- und Gedächtnisbereich klinisch auffällig werden. Bekannt ist, dass ein gestörtes Calcium-Gleichgewicht in Neuronen am Beginn Krankheit vorliegt und wohl zu den frühen Gedächtnisausfällen beiträgt. Wie der Calcium-Haushalt aus dem Ruder läuft, das haben Professor Martin Korte und sein Team an der TU Braunschweig in einer Studie belegt. Die Ergebnisse sind gerade im Journal „PNAS“ erschienen.

    Charakteristisch für die Alzheimer-Krankheit sind Plaques – Eiweiß-Ablagerungen außerhalb von Nervenzellen im Gehirn. Gebildet werden diese Plaques durch ein Verklumpen von Proteinschnipseln, bestehend aus dem berühmten Amyloid ß (Aß). Doch wie entsteht dieses Molekül? Es wird in einem komplexen zweistufigen Prozess aus einem Vorläufer-Protein herausgeschnitten. Damit aber nicht genug: Von diesem Vorläuferprotein – nennen wir es höflich bei vollem Namen: Amyloid-Precourser Protein (APP) – gibt es auch noch zwei Geschwistermoleküle (auch als Homologe bezeichnet), für die namensgebend nur noch Nummern blieben: APLP1 und APLP2.

    In einer aktuellen Studie konnte Professor Martin Korte zusammen mit Dr. Susann Ludewig und weiteren Mitgliedern seines Teams von der TU Braunschweig einen Mechanismus identifizieren, wie das Amyloid-Vorläufer-Protein und sein Homolog (APLP2) neuronale Calcium-Ströme kontrollieren. Und zwar spielt hierbei nicht Aß eine Rolle, sondern ein anderes natürlich vorkommendes Schnittprodukt des APP: APPsalpha (APPsα) ist, so die Befunde der Studie, ein essentieller Regulator für das zelluläre Calcium-Gleichgewicht.

    Calcium wichtig für Signalübermittlung im Gehirn

    Für die gleichgewichtserhaltenden (homöostatische) als auch für die funktionellen Veränderungen von Neuronen durch eine veränderte neuronale Aktivität (Plastizität genannt) spielt Calcium eine fundamentale Rolle, da es enzymatische Signalkaskaden bis hin zur Gentranskription vermittelt und kontrolliert. Die Hypothese, die die Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler der TU Braunschweig durch die neuen Befunde bestärkt sehen, besagt, dass das Calcium-Gleichgewicht in der Alzheimer-Krankheit ebenso wie die Calcium-Dynamik bereits am frühen Beginn der Erkrankung gestört ist.

    Ungleichgewicht zu Ungunsten des Calcium-Regulators

    Hervorgerufen wird dieses Ungleichgewicht durch eine – möglicherweise durch Alterungsprozesse oder chronische entzündliche Prozesse – gesteigerte Spaltung von APP im sogenannten „amyloidogenen Signalweg“ zu Aß, also zu den Eiweißschnipseln, die für die Ablagerungen verantwortlich sind. Dieser Mechanismus geht auf Kosten des Calcium-Regulators APPsα, denn die Spaltungswege schließen sich aus. Die Aß-Peptide können sich zu faserartigen Strukturen, sogenannten Fibrillen, zusammenlagern und Molekülklumpen bilden.

    Die Folgen der veränderten Calcium-Durchlässigkeit

    Diese Ablagerung zwischen Neuronen führt zu einer veränderten Calcium-Durchlässigkeit von spannungsabhängigen Calcium-Kanälen. Zudem werden synaptische Moleküle verändert, die als Andockstellen für den Neurotransmitter Glutamat dienen und die mit dem Vermögen von höheren Gehirnfunktionen wie Lernen und Gedächtnis assoziiert werden. Hierbei handelt sich um NMDA-Rezeptoren die mit Calcium-durchlässigen Ionenkanälen in der Zellmembran assoziiert sind, und die infolge der Aß-Ablagerung von der synaptischen Membran entfernt werden. Dies setzt dann weitere sich negativ auswirkende Kaskaden in Gang, die die Signalübertragung zwischen Neuronen nachhaltig stören. Frühzeitig am Beginn der Erkrankung könnte also ein gestörtes Calcium-Gleichgewicht zu den ersten Gedächtnisausfällen bei der Alzheimer-Krankheit führen, die sich dann im Laufe der Zeit wie ein Buschfeuer über das Gehirn ausbreiten.

    Ausgangspunkt der Studie

    Während bisher zahlreiche Studien die Folgen der durch Aß beeinträchtigten Calcium-Ströme untersuchten, gibt es sehr wenige Studien, die sich der physiologisch wichtigen Rolle von APP, seinen Homologen und funktionalen Domänen widmen. Dies haben Professor Korte und Co. in ihrer aktuellen Studie aufgegriffen, die in dem international renommierten Journal der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften, PNAS, veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse legen nahe, dass nicht allein die gesteigerte Freisetzung von Aβ als Risiko für die Entstehung der Alzheimer-Demenz angesehen werden kann: Am Beginn der Erkrankung steht wohl eher die verminderte Produktion von APPsα als Ursache für das beeinträchtigte Calcium-Gleichgewicht im Vordergrund.

    Calcium-Dynamik und Calcium-Speicherfunktion werden beschränkt

    Weiterhin konnte das Autorenteam, zu dem auch die an der Universität Heidelberg lehrende Alzheimer-Forscherin Professorin Ulrike Müller gehört, zeigen, dass zusammen mit dem APP-Protein das verwandte APLP2 die Calcium-Dynamik sowie das Wiederbefüllen der internen Calcium-Speicher (genannt Endoplasmatischen Retikulum, ER) innerhalb der Neurone auf bisher noch ungekannte Art und Weise kontrolliert.

    Störung der Anpassungsfähigkeiten von Gehirnzellen

    Darüber hinaus führt all dies zu einer Störung der synaptischen Plastizität, also der Fähigkeit von Synapsen und Nervenzellen, sich bei Lernereignissen in ihren Verschaltungseigenschaften zu optimieren. Diese für Lern- und Gedächtnisvorgänge so wichtigen zelluläre Abläufe der synaptischen Veränderung werden vor allem dadurch gestört, dass ein Transportmolekül, das Calcium in großen Mengen in interne Speicher pumpt, nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert – und zusätzlich in veränderter Stückzahl produziert wird (im Fachjargon: die Funktion und Expression sind gestört). Diese als Serca-ATPase benannte Pumpe ist dafür verantwortlich, freigesetztes Calcium innerhalb der Zelle wieder in den internen Speicher zu pumpen, um dann während der Reizweiterleitung Calcium schnell und in großen Mengen innerhalb des Neurons freisetzen zu können. Desweiteren konnten die Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler feststellen, dass die Expression zweier Calcium-Kanal-assoziierter Proteine (Stim1 und Stim2) in Abwesenheit von APP und APLP2 verändert ist.

    Versuch: Balance durch angeregte Bildung von APPsα wiederherzustellen

    In dieser Studie wurde über eine Langzeitexpression von APPsα versucht, das Gleichgewicht in der APP-Spaltung wiederherzustellen. Damit sollten die Krankheitssymptome – zumindest im Mausmodell der Alzheimer-Krankheit – verhindert bzw. abgemildert werden. Hierbei wurde beobachtetet, dass allein eine langfristige, kompensierende Expression von APPsα in der Lage war, das physiologisch wichtige Calcium-Gleichgewicht wiederaufzubauen. Weiterhin konnte die zuvor beeinträchtigte synaptische Plastizität wiederhergestellt werden. APPsα normalisierte und rettete so die normale Expression der Serca-ATPase sowie der Proteine Stim1 und 2. Dadurch konnte im Anschluss auch die Calcium-Konzentration innerhalb der internen Calcium-Speicher (ER) wieder auf ein gesundes Niveau gebracht werden.

    Bereits zuvor konnte an Tiermodellen der Alzheimer-Erkrankung die Effektivität von APPsα über eine Gentherapie nachgewiesen werden (veröffentlicht in Fol et al. Acta Neuropathol 2016, wiederum unter Beteiligung der TU-Forscherinnen und -Forscher). Hierbei wurde das Peptid entweder akut oder chronisch verabreicht und konnte so die demenz-typischen Beeinträchtigungen in der synaptischen Plastizität und im Folgenden die Einschränkungen der Gedächtnisprozesse beseitigen.

    Fazit

    Zusammenfassend belegt diese Studie eine zentrale und bedeutende Rolle der APP-Proteinfamilie, im speziellen der APP-Domäne APPsα für die Calcium-Homöostase. Diese Befunde komplementieren die bereits bekannte wachstumsfördernde und schützende (neuroprotektive) Funktion von APPsα in Neuronen und ergänzt dieses Wissen um die neuen Befunde, dass APPsα auch beteiligt ist an der Regulation der Calcium-Dynamik. Es hebt damit das therapeutische Potenzial dieser Domäne für eine Therapie der Alzheimer-Krankheit hervor.

    Zur Studie:

    Die Studie entstand im Forschungsschwerpunkt Infektionen und Wirkstoffe der TU Braunschweig. Für die Untersuchungen wurde mit 85 Mäusen gearbeitet. Die Tierversuche fanden an der TU Braunschweig statt und wurden unter strengen Sicherheits- und Tierschutzauflagen durchgeführt. Das Unternehmen Olatec Therapeutics LLC hat über eine Drittmittelförderung das Futter für die Tiere, Sachmittel sowie einen Teil der Personalkosten getragen.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Martin Korte
    Technische Universität Braunschweig
    Zoologisches Institut
    Abteilung für Zelluläre Neurobiologie
    Spielmannstraße 7
    38106 Braunschweig
    Tel.: 0531 391-3220
    E-Mail: m.korte@tu-braunschweig.de
    www.tu-braunschweig.de/zoology


    Original publication:

    Susann Ludewig, Ulrike Herrmann, Kristin Michaelsen-Preusse, Kristin Metzdorf, Jennifer Just, Charlotte Bold, Ulrike C. Müller, Martin Korte, APPsα rescues impaired Ca2+ homeostasis in APP and APLP2 deficient hippocampal neurons, PNAS, 2021, https://doi.org/10.1073/pnas.2011506118


    More information:

    https://magazin.tu-braunschweig.de/pi-post/wie-beginnt-die-alzheimer-krankheit/
    https://www.pnas.org/content/118/26/e2011506118


    Images

    Im Hippocampus der Maus sind in roter Farbe die Aβ-Ablagerungen sichtbar gemacht worden. Um diese Alzheimer-typischen Ablagerungen in der Maus untersuchen zu können, sind spezielle Mausmodelle notwendig.
    Im Hippocampus der Maus sind in roter Farbe die Aβ-Ablagerungen sichtbar gemacht worden. Um diese Al ...

    Bildnachweis: Holz, Korte/TU Braunschweig


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Medicine
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Im Hippocampus der Maus sind in roter Farbe die Aβ-Ablagerungen sichtbar gemacht worden. Um diese Alzheimer-typischen Ablagerungen in der Maus untersuchen zu können, sind spezielle Mausmodelle notwendig.


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