Zahnstein – ein lästiges Übel? Nicht nur das: Alte Zahnsteinproben sind eine wertvolle Quelle für Informationen über unsere Mundflora und ihre Entwicklung. So hat ein Forscherteam der Bozner Forschungseinrichtung Eurac Research und der Universität Trient den Zahnstein von rund zwanzig menschlichen Skelettresten aus Südtirol und dem Trentino von der Jungsteinzeit bis zum frühen Mittelalter untersucht. Das Team entdeckte zwei bislang unbekannte Arten eines verbreiteten Mikroorganismus in unserem Körper namens Methanobrevibacter.
Dank der Anwendung einer in der Mumienforschung noch nicht etablierten Methode konnte die Forschergruppe zudem aufzeigen, dass auf einer zeitlichen Achse von 50.000 Jahren die Vielfalt dieses Organismus in unserer Mundflora in den letzten Jahrhunderten stark abgenommen hat. Die Ergebnisse der Studie sind im renommierten Fachmagazin „Microbiome“ publiziert worden.
Die meisten der untersuchten Individuen – ihre Überreste stammen aus Gräberfeldern im Trentino und in Südtirol und sind ca. 5.500 bis 1.000 Jahre alt – wiesen Erkrankungen im Mund auf, vor allem Parodontitis, also eine bakterielle Entzündung des Zahnbettes. Die Zähne wurden nicht wie heute geputzt, daher wiesen sie auch große Mengen an Zahnstein mit gut erhaltener DNA auf. Diese analysierte die Forschergruppe und konzentrierte sich vor allem auf den Hauptvertreter, der im Zahnstein im Überfluss und in großer Vielfalt vorhanden war: Methanobrevibacter, ein Mikroorganismus der Domäne der Archaeen, der im menschlichen Verdauungstrakt und auch heute noch in der Mundflora verbreitet ist.
Um die Vielfalt dieser Gattung zu untersuchen, entschied sich das Team für einen neuen methodischen Ansatz, nämlich gesamte Genome der vorhandenen Varianten des Methanobrevibacter zu entschlüsseln. Zusätzlich zu den Skelettresten arbeiteten sich die Forscher auch durch 82 in Studien veröffentlichte Zahnstein-Datensätze – unter anderem von einem Neandertaler-Fund –, insgesamt analysierten sie also 102 Zahnsteinproben aus 50.000 Jahren, acht Ländern und drei Kontinenten. „Wir haben die Methode zum ersten Mal so konsequent und in dieser Breite angewandt und wussten nicht, worauf wir stoßen würden“, erklärt die Mikrobiologin Lena Granehäll, Hauptautorin der Studie. „Es war ein Aha-Erlebnis, als uns dann klar wurde, dass wir zwei völlig neue Arten des Methanobrevibacter entdeckt hatten und damit auch eine genetische Vielfalt dieses Mikroorganismus aufzeigen konnten, die bislang nicht bekannt war. Dabei sind keine geografischen Muster erkennbar, alle Arten kamen bei den Proben sowohl in Europa, als auch Asien und Amerika vor.“ Dem Forscherteam zeigte sich aber in zeitlicher Hinsicht eine deutliche Tendenz: Während die neuentdeckten Arten sich als „ältere“ Vertreter des Methanobrevibacter herausstellten und in den ältesten Zahnsteinproben bis hin ins Spätmittelalter durchwegs präsent waren, wurden sie ab diesem Zeitpunkt von einer einzigen Art abgelöst. In den Proben ab dem Mittelalter fehlen die älteren Vertreter vollkommen. „Wie unsere Studie zeigt, scheint es zu einem Verlust an Arten dieses Mikroorganismus in unserem Mund gekommen zu sein. Es geht einher mit dem, was wir auch schon bei Magenproben gesehen haben: Vor 5.000 Jahren war eine Bakterienvielfalt vorhanden, die innerhalb sehr kurzer Zeit stark abgenommen hat“, unterstreicht der Mikrobiologe Frank Maixner von Eurac Research. „Genetisch hat sich beim Menschen in den letzten 5.000 Jahren nicht sehr viel getan; aber unsere Mitstreiter, die Bakterien, sind größeren Einflüssen ausgesetzt: Wir sehen, dass die Industrialisierung – mit neuen Therapien, Veränderungen in der Medizin und in unserer Ernährung – einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung unserer Bakterienvielfalt im Mund bis hin in Magen und Darm hat.“
Das menschliche Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen in und auf unserem Körper, ist das Spezialgebiet von Nicola Segata, der am Department of Cellular, Computational and Integrative Biology (CIBIO) der Universität Trient arbeitet. Im Laufe jahrelanger Forschungsarbeit katalogisierte er gemeinsam mit seinem Forscherteam die Mikroorganismen des Darmmikrobioms und entdeckte bereits viele Arten von Bakterien, die bisher unbekannt waren.
Für die Studie sequenzierten Segata und sein Team DNA, die von den Forschern von Eurac Research aus den Zahnsteinproben extrahiert worden war. „Ein wichtiger Teil der Arbeit in dieser Studie war es, alte von moderner DNA zu trennen. Denn alte Proben wie diese Zahnsteinproben sind nicht steril, sondern enthalten viele Spuren fremder DNA, die im Laufe der Zeit hinzugekommen sind, etwa vom Boden“, erklärt Nicola Segata. In seinem Labor in Trient erforscht er sowohl moderne als auch alte Proben, um mehr über das menschliche Mikrobiom zu erfahren. „Alte Proben zu analysieren ist ein wenig wie genetische Fossilien zu untersuchen: Wir können auf diese Weise die Evolution von Mikroorganismen rekonstruieren. Wie in diesem Fall können wir auch neue Arten von Mikroorganismen finden, die wir möglicherweise durch unseren modernen Lebensstil verloren haben“, schließt Segata.
frank.maixner@eurac.edu
https://doi.org/10.1186/s40168-021-01132-8
Zahnstein eines untersuchten Individuums aus dem Frühmittelalter
Alice Paladin
Eurac Research / Alice Paladin
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
History / archaeology, Medicine
transregional, national
Research results
German
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