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04/08/2004 17:02

Frühjahrstagung der Europäischen Akademie GmbH in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Friederike Wütscher Administration
Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH

    Die interdisziplinäre Funktion der Philosophie

    Die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH veranstaltete vom 31. März bis 2. April im SETA Hotel ihre diesjährige Frühjahrstagung zum Thema "Die interdisziplinäre Funktion der Philosophie". Die Tagung sollte eine kritische Reflexion auf den Umstand vornehmen, dass die Philosophie in der Gegenwart - wie auch schon in früheren Epochen - Beiträge zu zentralen Fragen der wissenschaftlich-technischen Kultur, und zwar sowohl zu Grundlagenproblemen (wie der Verlässlichkeit und Verständlichkeit verschiedener Wissensformen, der Bedeutung von Begriffen oder der Akzeptabilität von Regulierungen) als auch zu substantiellen Einzelfragen (wie dem moralischen Status des Embryo, der Sozialverträglichkeit von Energiesystemen oder der Verantwortung für künftige Generationen) leistet. Ein Indiz für diese Rolle der Philosophie ist der Umstand, dass seit Gründung der Europäischen Akademie in ihren interdisziplinären Projekten immer mindestens ein Philosoph vertreten ist. Die Tagung sollte dieser Entwicklung Rechnung tragen und dabei sowohl eine kritische Reflexion auf die interdisziplinäre Funktion der Philosophie durchführen als auch der Diskussion um Konzeptionen der Interdisziplinarität Raum geben.

    Eröffnet wurde die Tagung anstelle des erkrankten Professor Dr. Oswald Schwemmer (Humboldt-Universität zu Berlin) mit einen Vortrag des Direktors der Europäischen Akademie, Professor Dr. Dr. Carl Friedrich Gethmann, zum Thema "Der Alltag der interdisziplinären Forschung". Gethmann ging besonders auf die Fragen der interdisziplinären Kompetenz von Wissenschaftlern, der Institutionalisierung interdisziplinärer Projekte und des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft im Rahmen der wissenschaftlichen Politikberatung ein. Die Bedeutung der "Medizinethik für die medizinischen Wissenschaften" untersuchte der Vortrag von Professor Dr. Dieter Birnbacher (Universität Düsseldorf) im Rahmen der ersten Sektion "Die interdisziplinäre Funktion der Ethik". Birnbacher stellte anhand einer ethischen Untersuchung des Status des Embryo in der einschlägigen deutschen Gesetzgebung (Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch, Gesetz zum Schutz des Embryo und Gesetz über die Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen) heraus, dass die die Gesetzgebung bestimmende faktische Moral inkohärent ist. Im zweiten Vortrag dieser Sektion befasste sich der Rechtsphilosoph und Strafrechtler Professor Dr. Reinhard Merkel (Universität Hamburg) mit den neuesten Ergebnissen der Neurowissenschaften zur Willensfreiheit und ihren Auswirkungen auf die Begriffe Strafe und Schuld. Merkel stellte heraus, dass das Strafrecht auf die Unterstellungen nicht verzichten könne, dass der Delinquent habe anders handeln können als er gehandelt hat. Allerdings sah er erhebliche Schwierigkeiten, die Ergebnisse der Naturwissenschaften mit den Anforderungen der Gesellschaft an das Recht in widerspruchsfreier Weise zu vereinbaren.

    Mit der interdisziplinären Funktion der Wissenschaftstheorie befasste sich die zweite Sektion der Tagung. In der interdisziplinären Forschung hat die Wissenschaftstheorie die Aufgabe, die methodischen Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens und in Zusammenhang damit die Bedeutung der Grundbegriffes der Wissenschaften zu klären. Für Professor Dr. Peter Janich (Universität Marburg) weicht das Selbstverständnis der Naturwissenschaftler von dem ab, was sie als Forscher tun. Der einfache Schluss, dass die Reichweite der naturwissenschaftlichen Methoden letztlich die Reichweite der Wissenschaften überhaupt bestimme, beruhe auf einem Missverständnis. Die Tatsache, dass alle Dinge naturwissenschaftlich beschrieben werden könnten, besage nicht, dass diese Beschreibung erschöpfend sei. Janich propagiert als Gegenmodell eine an Aristoteles angelehnte Aspektelehre, wonach natürliche und künstliche Aspekte sich ergänzen und je nach spezifischen Methoden beschrieben werden können.
    Professor Dr. Armin Grunwald (Universität Freiburg, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse im Forschungszentrum Karlsruhe und Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung des Bundestages) kritisierte, dass die interdisziplinäre Forschung bisher zu wenig von der Wissenschaftstheorie bearbeitet worden sei. Diesem Mangel entspreche das Fehlen einer verlässlichen Qualitätskontrolle interdisziplinärer Arbeit. Um diesen Mangel zu beheben sei zunächst in einer 'Topologie von Argumentationsketten' der Weg von disziplinären Ergebnissen zu interdisziplinären Handlungsempfehlungen zu beschreiben. Wie schwierig diese Aufgabe im Einzelfall ist, demonstrierte Grunwald anhand eines Beispiels aus der Nachhaltigkeitsdiskussion. Professor Dr. Rainer Hegselmann (Universität Bayreuth) stellte Modellierungen der Konsensfindung bei begrenztem Vertrauen vor. Er demonstrierte, dass viele Modelle menschlicher Interaktion unter dem Aspekt des Vertrauens zu den Interaktionspartnern erstaunlich stabil auf einen 'Konsens' hin konvergieren. Hegselmann konnte so zeigen, dass philosophisch fundierte computergestützten Modelle bieten einen Beitrag zu Lösung sozialwissenschaftlicher Probleme leisten können.

    Mit ihrer Abschlusssitzung "Philosophie und Politikberatung" wandte sich die Tagung der politisch-praktischen Relevanz der philosophischen Arbeit zu. Professor Dr. Nida-Rümelin (Geschwister Scholl Institut für Politische Wissenschaft der Universität München) eröffnete die Sektion mit der Frage, "Braucht das politische System den Rat der Philosophie?" und kam zu dem Schluss, dass mehrere philosophische Beratungsmodelle den "Praxistest nicht bestanden" hätten. Als Gegenmodell schlug er ein holistisches Kohärenzmodell vor, daß sich an grundlegende lebensweltliche moralische Intuitionen der Bürger anschließt. Professor Dr. Gerhard (Humboldt-Universität zu Berlin) befaßte sich in seinem Vortag über "Ethik in Kommissionen" mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen dem unvertretbaren kategorischen Appellcharakter der Moral an das Individuum und der Kommissionsarbeit in Ethikkommissionen, die durch Verhandlung und Kompromiß geprägt sei. Gerhard plädierte für eine wahrhaftige wissenschaftliche Haltung der Kommissionsmitglieder sowohl im Sach- als auch im wohlverstandenen Eigeninteresse. Der Vorsitzende der Grundwertekommission der CDU, Dr. Christoph Böhr (MdL, Mainz), war von den Veranstaltern als einer der wenigen politisch aktiven promovierten Philosophen eingeladen worden. Er bemängelte in seinem Referat die fehlende Zielorientiertheit und das inkrementelle Handeln der Politik, die das Scheitern von notwendigen Reformwerken mit provozierten. "Die Bedeutung der Philosophie im Tagesgeschäft" läge nun darin, mit Blick auf eine politisch motivierte Zukunftsvorsorge zu übergeordneten kohärenten Zielfindungen beizutragen, die die Reformbemühungen rechtfertigten. Hierzu gehörte auch die philosophisch-fundierte Arbeit an einem modernen Menschen- und Gesellschaftsbild. Vor diesem Hintergrund bestehe für die Politik also Bedarf an Philosophie.

    Die Beiträge der Tagung werden in der Schriftenreihe "Wissenschaftsethik und Technikfolgenbeurteilung" der Europäischen Akademie veröffentlicht.

    Ansprechpartner für die Presse:
    Professor Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann
    Dipl.-Päd. Sevim Kiliç
    Europäische Akademie zur Erforschung von
    Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen GmbH
    Tel. 02641/973-300, -313
    Fax 02641/973-320
    Email Sevim.Kilic@dlr.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Economics / business administration, Information technology, Law, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Politics, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
    German


     

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