Forschende und Politiker beleuchten Konflikte in Myanmar in einem Hintergrundband – Analyse der komplexen Gemengelage von ethnischen und religiösen Pluralitäten – Religionswissenschaftler: Westliches Klischee vom stets friedfertigen Buddhismus bedarf einer Revision
Zerstörungen ganzer Dörfer, Blockaden internationaler Hilfslieferungen durch die Militärjunta: Hinter der jüngsten Gewalteskalation in Myanmar stehen Forschern zufolge komplexe Identitätskämpfe, die seit Jahrzehnten ungelöst sind. „Die aktuelle dramatische Entwicklung seit dem Militärputsch im Februar spiegelt einen Kampf des Militärs gegen die Anerkennung verschiedener religiöser und ethnischer Identitäten“, sagen der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel und der Theologe Prof. Dr. Hans-Peter Großhans vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Uni Münster. „Das Ziel der buddhistischen und burmesischen Vorherrschaft, dem sich andere Bevölkerungsgruppen unterordnen sollen, ist dabei ein zentraler Aspekt. Dies zeigt im Übrigen, dass das westliche Klischee des durch und durch friedfertigen Buddhismus einer Revision bedarf.“
Gemeinsam mit der Religionswissenschaftlerin Dr. Madlen Krüger haben die Wissenschaftler soeben eines der bisher umfassendsten Bücher über die Zusammenhänge von ethnischen und religiösen Identitäten sowie die Identitätspolitik Myanmars herausgegeben. Das Buch „Ethnic and Religious Diversity in Myanmar. Contested Identities“ („Ethnische und religiöse Vielfalt in Myanmar. Umkämpfte Identitäten“) ist im Verlag Bloomsbury Academic erschienen.
Der südostasiatische Staat Myanmar, vormals Burma, existiert seit 1948. Dem gingen mehr als 60 Jahre unter britischer Kolonialherrschaft und eine japanische Besatzung von 1942-45 voraus. „Die Bevölkerung umfasst offiziell 135 verschiedene Ethnien und mehrere Religionen“, so Perry Schmidt-Leukel. „Dabei können Menschen der gleichen Ethnie unterschiedlichen Religionen angehören oder umgekehrt. Auch die Religionen und Ethnien in sich sind durchaus heterogen.“ Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Identitäten prägen die jüngere Geschichte Myanmars ebenso wie die Unterdrückung aller Bemühungen um demokratische und föderale Strukturen durch das Militär.
„Verfolgung der Rohingya nicht der einzige religiöse Konflikt“
Die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohingya und anderer muslimischer Gruppen im Land ist dabei keineswegs der einzige religiöse Konflikt. „Die Annahme, die Politik instrumentalisiere Ethnizität und Religion, greift allerdings zu kurz“, gibt Hans-Peter Großhans zu bedenken. Vielmehr sei die Politik selbst eine Manifestation von konkurrierenden Identitätsansprüchen. Das neue Buch „Ethnic and Religious Diversity in Myanmar“ bringt die Perspektiven von internationalen Experten und Wissenschaftlern aus Myanmar mit denen von akademischen Analysten, politischen Aktivisten sowie religiösen Führern zusammen, wie Großhans ausführt. Beiträge aus der Geschichts-, Politik- und Religionswissenschaft, aus Ethnologie und Theologie beleuchten die Situation von Buddhisten, Christen und Muslimen in Myanmar mit dem Schwerpunkt auf Identitätsfragen im politischen Kontext.
Die Bekräftigung der buddhistischen Vorherrschaft auch durch die Politikerin Aung San Suu Kyi sowie der burmesische Nationalismus führen laut Perry Schmidt-Leukel zu Widerständen aus anderen Gruppen, die sich gegen diese Hierarchisierung stemmten und eigene Identitätsansprüche geltend machten. „Es ist ein Grundproblem des buddhistischen Nationalismus, dass er solche Ansprüche nicht angemessen würdigen kann.“
Der burmesische Historiker Thant Myint-U, ehemaliger UN-Beamter und ehemaliger Sonderberater des Präsidenten für den Friedensprozess, sagte im Vorfeld der Veröffentlichung, der Band trage essentiell zum Verständnis der jüngeren Vergangenheit Myanmars und der Aussichten für die Zukunft bei. Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel forscht am Exzellenzcluster zu Strukturen und Mustern religiöser Vielfalt und hat zahlreiche Publikationen zu den interreligiösen Beziehungen des Buddhismus vorgelegt. Prof. Dr. Hans-Peter Großhans forscht am Exzellenzcluster zur Theologie des Politischen. Beide haben von 2014-2021 gemeinsam das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Religiöser Pluralismus im Diskurs – Buddhisten und Christen in Myanmar und ihr Umgang mit religiöser Pluralität“ geleitet. Dr. Madlen Krüger, derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interdisziplinäre Forschung in Heidelberg im Projekt „Religionen, Diplomatie und Frieden“, hat die Feldforschungen in Myanmar durchgeführt und die Konzeption des Bandes entwickelt. (apo/vvm)
Schmidt-Leukel, Perry/ Grosshans, Hans-Peter/ Krueger, Madlen (Hg.): Ethnic and Religious Diversity in Myanmar. Contested Identities. London – New York: Bloomsbury Academic Publishing 2022.
https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2021/PM_Myanmar.html
Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel
Source: Astrid Pawlowitzki
Copyright: Exzellenzcluster "Religion und Politik"
Prof. Dr. Hans-Peter Großhans
Source: Bruno Bierm
Copyright: Exzellenzcluster "Religion und Politik"
Criteria of this press release:
Journalists
Philosophy / ethics, Politics, Religion, Social studies
transregional, national
Research results, Transfer of Science or Research
German
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