Eine große Metaanalyse [1] , die 22 randomisierte Studien mit insgesamt fast 150.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auswertete, kam zu einem überraschenden Ergebnis: Die medikamentöse Bluthochdrucktherapie ging mit einem um 11% reduzierten Risiko einher, im Verlauf von 4,5 Jahren an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken. Besonders deutlich war der Effekt unter Therapie mit ACE-Hemmern und AT1-Blockern. Die Expertinnen und Experten der Deutschen Hochdruckliga sind sich einig: Das präventive Potenzial dieser Blutdrucksenker sollte bei Menschen mit einem hohen Risiko für ein metabolisches Syndrom ausgeschöpft werden.
Das sogenannte metabolische Syndrom ist in den Industrieländern weit verbreitet. Es bezeichnet die unglückliche Allianz von Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, erhöhten Lipidwerten und Übergewicht. Im englischen Sprachgebrauch ist auch von den „deadly four“ – den „tödlichen Vier“ die Rede. Bereits 2010 wurde die Prävalenz in Deutschland mit 22% angegeben [2], also jeder Vierte bis Fünfte war betroffen. Zwischenzeitlich liegt es nahe, dass sich die Prävalenz nochmal erhöht hat. Denn lt. Daten des RKI ist die Diabetesprävalenz in Deutschland zwischen 2003 und 2009 von 6,8 % auf 9,3 % bei Frauen bzw. von 5,4% auf 8,2 % bei Männern gestiegen [3], und auch die Prävalenz der Adipositas hat zumindest in den jüngeren Altersgruppen deutlich zugenommen: In der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre stieg sie von 2010 bis 2014/2015 bei Frauen von 5,5% auf 9,7% und bei Männern von 5,4% auf 8,9% [4].
Umso wichtiger ist es, das Zusammenkommen der vier Hauptrisikofaktoren zu vermeiden. Eine aktuelle Metaanalyse [1] kam zu einer überraschenden Erkenntnis: Die Bluthochdrucktherapie hat das Potenzial, die Entstehung des Typ-2-Diabetes, auch „Altersdiabetes“ genannt, zu unterdrücken. „Diese prophylaktische Wirkung ist insofern von großer Bedeutung, weil die meisten Betroffenen es nicht schaffen, die eigentliche Ursache, das Übergewicht, abzubauen. Womöglich hat die Bluthochdrucktherapie das Potenzial, die gefährliche Kaskade des metabolischen Syndroms zu unterbinden oder zumindest relevant aufzuhalten“, so die Hoffnung von Professor Dr. Ulrich Wenzel, Hamburg, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga.
In der Metaanalyse wurden 22 randomisierte Studien mit 145.939 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgewertet. Personen, die zu Studieneinschluss einen beginnenden Diabetes aufwiesen, wurden nicht mit ausgewertet. Die Analyse teilte die Personen in zwei Gruppen: jene, die Blutdruckmedikamente erhalten hatten, und jene, die Placebo erhalten hatten. Bei den Therapiestudien im Head-to-Head-Vergleich wurde die Kontrollgruppe mit niedrigeren Zielwerten der Placebogruppe zugeordnet. Nach einem Follow-up von im Median 4,5 Jahren wurde bei 9.889 der Teilnehmenden ein Diabetes mellitus Typ 2 neu diagnostiziert – bei 4.332 der behandelten Patientinnen und Patienten und bei 5.551 in der Vergleichsgruppe. Der Unterschied war signifikant, es zeigte sich ein um 11% geringeres Diabetesrisiko unter Bluthochdrucktherapie bei Senkung des systolischen Blutdrucks um 5 mm Hg. Der Effekt war bei allen Studienteilnehmenden zu beobachten, auch wenn er im Trend bei übergewichtigen Patientinnen und Patienten sogar noch etwas ausgeprägter war (bei Personen mit einem BMI über 30 betrug die Risikoreduktion 17%, bei jenen mit einem BMI über 35 sogar 21%). „Diese Effekte sind beachtlich, zumal man im Hinterkopf behalten muss, dass es keine reinen Placebostudien waren, die in die Auswertung mit eingingen. Hier hatten viele Patientinnen und Patienten der Kontrollgruppe auch eine medikamentöse Blutdrucksenkung erhalten, wenn auch eine weniger intensive. Dennoch war das Ergebnis deutlich“, so der Hamburger Bluthochdruckexperte.
Die Metanalyse untersuchte auch, welche Bluthochdruckmedikamentenklassen besonders mit einer Reduzierung des Diabetesrisikos korrelierten. Im Ergebnis zeigte sich, dass ACE-Hemmer und AT1-Blocker besonders potent waren und das Risiko um 16% reduzierten. „Das ist enorm – fast jeder fünfte Diabetesfall kann also durch die Blutdrucksenkung mit einer dieser beiden Präparate in einer Hochrisikopopulation verhindert werden“, betont Prof. Wenzel.
Zwar handelt es sich um eine Metaanalyse ohne „Beweiskraft“ und prospektive Studien müssten die Ergebnisse validieren. Dennoch spricht sich die Deutsche Hochdruckliga dafür aus, bei Hypertonikerinnen und Hypertoniker mit einem hohen Risiko für Typ-2-Diabetes, z.B. aufgrund von Übergewicht, bevorzugt diese beiden Substanzklassen einzusetzen. „Angesichts der hochdynamischen Diabetesrate in unserer Gesellschaft müssen wir das prophylaktische Potenzial ausschöpfen. Beide Substanzen gehören ohnehin zur Standardtherapie von Bluthochdruck und ihr Einsatz wird in den Leitlinien als Mittel der ersten Wahl empfohlen“, so der Präsident der Deutschen Hochdruckliga abschließend.
[1] Nazarzadeh M, Bidel Z, Canoy D et al. Blood pressure lowering and risk of new-onset type 2 diabetes: an individual participant data meta-analysis. The Lancet. Published: November 13, 2021. DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01920-6
[2] Moebus S, Hanisch J, Bramlage J et al. Regional unterschiedliche Prävalenz des metabolischen Syndroms/Regional Differences in the Prevalence of the Metabolic Syndrome in Primary Care Practices in Germany. Dtsch Arztebl 2008; 105(12): 207-13; DOI: 10.3238/artzebl.2008.0207
[3] Heidemann C, Kuhnert R, Born S et al. 12-Monats-Prävalenz des bekannten
Diabetes mellitus in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017; 2(1). DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-008
[4] Schienkiewitz A, Mensink GBM, Kuhnert R et al. Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland. Journal of Health Monitoring · 2017 2(2). DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-025
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Dr. Bettina Albers
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