Untersuchungen an 24 toten Schweinswalen aus der Ostsee zeigen bei zehn Tieren, dass Unterwasserexplosionen durch ungeschützte Sprengung von Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg für Verletzungen sorgten.
Ein Forschungsteam aus dem Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover untersuchte 24 tote Schweinswale auf Hörschäden und veröffentlichte die Ergebnisse im Fachmagazin „Environment International“. Eingesammelt wurden die Schweinswale mit Hilfe des vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein finanzierten Strandungsnetzes. Die Tiere wurden zwischen September und November 2019 an verschiedenen Orten der Ostseeküste Schleswig-Holsteins tot aufgefunden – einige Wochen nachdem 42 britische Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg ohne weitere Schallschutzmaßnahmen nahe dem Schutzgebiet Fehmarn in der Ostsee gesprengt wurden. Die Todesursache von zehn Schweinswalen bringen die Forschenden mit Explosionsverletzungen in Verbindung.
Die auf Meeressäuger spezialisierten Tierärztinnen und Tierärzte sowie Biologeninnen und Biologen des ITAW führten eine umfassende pathologische Untersuchung der Tiere durch, die besonders auch den Hörapparat und das akustische Fett berücksichtigten. Um andere Erkrankungen ausschließen zu können, nahmen sie nach der Obduktion zudem weiterführende feingewebliche, mikrobiologische, virologische und parasitologische Untersuchungen vor. Das Institut für Osteologie und Biomechanik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf führte gemeinsam mit den Gehör-Fachleuten des ITAW bildgebende Verfahren durch, um auch minimalste Schäden an den für die Orientierung der Tiere wichtigen Ohren entdecken zu können.
Die Obduktionsergebnisse
Bei den entlang der Eckernförder, Kieler und Lübecker Bucht aufgefundenen Schweinswalen handelte es sich um drei Neugeborene, 15 Jungtiere und sechs ausgewachsene Tiere (14 Weibchen und 10 Männchen). Bei zehn Schweinswalen fanden die Forschenden krankhafte Auskugelungen und Frakturen der Mittelohrknochen, Blutungen im akustischen Fett des Unterkiefers und des Gehörapparates sowie der Melone. Derartige Verletzungen können nur durch starke Druckwellen, wie sie bei Explosionen entstehen, hervorgerufen werden. Die Melone ist ein für die Echoortung wichtiges Organ aus verschiedenen Fettgewebsschichten und von essentieller Bedeutung für Orientierung, Kommunikation und Beutefang. Einer dieser Schweinswale zeigte zusätzlich schwere Blutungen und Hämatome in der Muskel- und Fettschicht, was auf ein stumpfes Explosionstrauma hindeutet. Ein weiterer junger Schweinswal mit Explosionsverletzungen wurde beigefangen. Bei beiden Tieren gehen die Forschenden davon aus, dass Sprengungsverletzungen die Orientierungsfähigkeit der Tiere erheblich herabgesetzt hatten.
Schadenspotenzial ungeschützter Unterwasserexplosionen für Schweinswale
ITAW-Leiterin Professorin Dr. Ursula Siebert sagt: „Dank der Finanzierung unserer Spezialuntersuchungen durch das Bundesamt für Naturschutz konnten wir erstmals zeigen, dass die Unterwassersprengungen schwere Auswirkungen auf Schweinswale haben können. Dies unterstreicht das hohe direkte und indirekte Schadenspotenzial der Sprengungen.“ Da die Menge der Munitionsaltlasten in der deutschen Nord- und Ostsee riesig sei, so Siebert weiter, und mit zunehmenden Aktivitäten, wie etwa dem Bau von Offshore-Windkraftanlagen, regelmäßig kurzfristig Sprengungen vorgenommen würden, müssen Schweinswale und andere Meerestiere besser geschützt werden. Um die Auswirkungen von Explosionen auf Populationsebene beurteilen zu können, sollten umfangreiche gesundheitliche Bewertungen des Gesundheitszustandes gestrandeter Wale inklusive Gehöruntersuchungen vorgenommen werden. „Die Sprengungen sorgen außerdem dafür, dass die Tiere ihr Verhalten deutlich ändern und unter Stress stehen, sodass dies auch in die Bewertung der Gesamtbelastung der Schweinswalpopulationen in deutschen Gewässern einbezogen werden muss“, so Siebert.
Anthropogene Einflüsse gefährden Schweinswale
Der Schweinswal ist Deutschlands einzige Walart. Doch die empfindsamen Meeresbewohner sind stark gefährdet und in der zentralen Ostsee vom Aussterben bedroht. Ihr Lebensraum ist einer Vielzahl anthropogener Einflüsse ausgesetzt. Gefährdungen für den Bestand der Schweinswale sind neben Erkrankungen und klimatischen Veränderungen vor allem menschliche Tätigkeiten wie Fischerei, Tourismus, Schifffahrt und zunehmender Lärmeintrag durch Bau und Betrieb von Offshore-Windanlagen, seismische Erkundungen, U-Boote und Unterwassersprengung von Militärmunition. In der Ost- und Nordsee befinden sich noch immer große Munitionsvorkommen, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg in großen Mengen ins Meer geworfen wurden und nun bei neuen Aktivitäten, wie dem Bau von Offshore-Windkraftanlagen, Pipelines oder der Verlegung von Schiffsrouten, häufig schnell gezündet werden müssen. Die Detonationen führen zu extremen Schallbelastungen, die für die meisten Tiere im Nahbereich tödlich sind und auch in weiten Entfernungen noch erhebliche Schäden verursachen können.
Die Originalpublikation:
Siebert, U., Stürznickel, J., Schaffeld, T., Oheim, R., Rolvien, T., Prenger-Berninghoff, E., Wohlsein, P., Lakemeyer, J., Rohner, S., Aroha Schick, L., Gross, S., Nachtsheim, D., Ewers, C., Becher, P., Amling, M., Morell, M. (2022). Blast injury on harbour porpoises (Phocoena phocoena) from the Baltic Sea after explosions of deposits of World War II ammunition. Environ Int. Dec 6;159:107014.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34883460/
Prof. Prof. h. c. Dr. Ursula Siebert
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung
Tel.: +49 511 856-8158
ursula.siebert@tiho-hannover.de
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34883460/
http://www.tiho-hannover.de/pressemitteilungen
Toter Schweinswal (gehört nicht zu der Studie "Schweinswale durch Munitionssprengungen verletzt; 27. ...
ITAW TiHo
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Environment / ecology, Oceanology / climate, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
Toter Schweinswal (gehört nicht zu der Studie "Schweinswale durch Munitionssprengungen verletzt; 27. ...
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