idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
04/21/2022 13:00

WIdO-Analyse zu Mandeloperationen: Pandemie ließ Fallzahlen deutlich und dauerhaft sinken

Peter Willenborg Presse & Kommunikation
Wissenschaftliches Institut der AOK

    Berlin. Die Zahl der Mandeloperationen in Deutschland ist während der Corona-Pandemie stark zurückgegangen. Besonders drastisch fiel die Reduktion mit bis zu 82 Prozent im ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 aus. Auch danach blieben die Fallzahlen saisonbereinigt je nach Art der Operation um 18 bis 39 Prozent unter dem vorpandemischen Niveau. Eine Zunahme von Notfalleingriffen war laut aktueller Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), nicht festzustellen.

    Die WIdO-Analyse wurde im medizinischen Fachjournal „European Archives of Oto-Rhino-Laryngology“ veröffentlicht. Ausgewertet wurden die Krankenhauseinweisungen aller Patientinnen und Patienten in Deutschland zwischen Januar 2019 und September 2021 sowie ambulante Versorgungsdaten von AOK-Versicherten der Jahre 2019 und 2020.

    Während zwischen Januar 2019 und 15. März 2020 durchschnittlich 556,1 Mandelentfernungen je Woche durchgeführt wurden, sank die Zahl im ersten Lockdown vom 16. März bis 3. Mai 2020, als Kliniken aufgerufen waren, planbare Operationen zu verschieben, auf 110,7 Eingriffe je Woche. Auch nach der Lockerung der Corona-Beschränkungen im Sommer 2020 wurde das Niveau der Operationshäufigkeit vor Corona nicht mehr erreicht. Hier pegelten sich die Zahlen der operativen Entfernung der Gaumenmandeln auf 326,0 Fälle je Woche ein. Besonders deutlich fiel der Rückgang bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren aus. Vor der Pandemie gab es in dieser Altersgruppe noch 70,5 Operationen in der Woche, nach dem ersten Lockdown mit 34,8 je Woche nur noch knapp halb so viele. Insgesamt wurden für die Studie 144.069 stationäre Fälle mit einer Mandeloperation eingeschlossen.

    Weniger Notfalleingriffe bei Komplikationen
    „Auffällig ist, dass wir nicht nur einen deutlichen Rückgang der Fallzahlen bei den planbaren operativen Mandelentfernungen festgestellt haben, sondern auch, dass sich Behandlungen akuter Mandelentzündungen mit Antibiotika und Notfalleingriffe signifikant verringert haben“, so Studienautor Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung im WIdO. Dies spiegelt sich laut Analyse in den Fallzahlen bei den Behandlungen aufgrund von Abszessen an den Gaumenmandeln wider. Ein Abszess kann zwischen der Gaumenmandel und ihrer Kapsel entstehen, zum Beispiel als Komplikation einer eitrigen Mandelentzündung (Tonsillitis). Bei kleineren Abszessen wird meist ausschließlich medikamentös mit Antibiotika behandelt. Sehr weit fortgeschrittene Abszesse, die begleitende Verschlechterungen des Allgemeinzustandes verursachen, müssen operativ entfernt werden. Während vor der Pandemie noch 165,3 Abszesse wöchentlich operiert wurden, sank die Zahl nach dem ersten Lockdown auf 98,1 Fälle in der Woche. Bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahre halbierte sich die Zahl dieser Eingriffe aufgrund Abszessbildung von 15,0 auf 7,4 Fälle wöchentlich.

    Ärzte wurden seltener konsultiert
    Im Rahmen der Studie wurden auch die ambulanten Behandlungen von Halsschmerzen bei AOK-Versicherten ausgewertet. Deren Anzahl ging von 2,97 Millionen im Jahr 2019 um ein Drittel auf 1,98 Millionen im Jahr 2020 zurück. Nicht nur die Gesamtzahl reduzierte sich, sondern auch die Zahl der Halsschmerzbehandlungen mit Antibiotikaverordnung. Dieser Rückgang war 2020 bei Kindern und Jugendlichen am stärksten. Wie bei den Operationen zeigten sich die größten Rückgänge zu Pandemiebeginn. Die Zahl der Halsschmerzbehandlungen mit Antibiotika brach im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahresquartal um 67 Prozent ein. „Die AHA-Regeln während der Pandemie dürften das Auftreten von Mandelentzündungen reduziert haben, die in der Regel Anlass für die Tonsillektomie sind. Die Hygieneregeln stellen deshalb ein wirksames Instrument gegen die Verbreitung von Erkältungskrankheiten ganz unabhängig von der Pandemie dar“, sagt Günster. Ein weiterer Grund für die rückläufigen Behandlungszahlen könne sein, „dass Patientinnen und Patienten ihren Behandlungsbedarf niedriger priorisiert haben“, so Günster. Insbesondere Kinderärztinnen und -ärzte wurden seltener aufgesucht.

    Fallzahlen weiter beobachten
    Die Zahl der Mandeloperationen in Deutschland nimmt seit Jahren ab. Dieser Trend hat sich nun während der Pandemie deutlich verstärkt, ohne dass Notfalleingriffe zunahmen. In einer früheren Studie hatten die Autoren bereits festgestellt, dass die Daten der ambulanten Vorbehandlung vor der Mandelentfernung bei Halsschmerzen häufig im Widerspruch zu der Diagnose einer „chronischen“ Mandelentzündung stehen. Laut Leitlinienempfehlung spielt der Eingriff als Therapieoption erst eine Rolle, wenn sich mindestens drei antibiotikumpflichtige Mandelentzündungen in zwölf Monaten ereignet hatten. „Möglicherweise sind im Zuge der Pandemie teilweise auch unnötige Operationen entfallen. Die vollständige Rückkehr zum vorpandemischen Fallzahlniveau wäre daher nicht sinnvoll“, sagt Günster. „Wir werden die Fallzahlen und die Umsetzung der Leitlinienempfehlung auch nach der Pandemie weiter beobachten.“


    Original publication:

    https://link.springer.com/article/10.1007/s00405-022-07308-8


    More information:

    https://www.wido.de


    Images

    Mandelentfernungen vor, während und nach dem ersten Corona-Lockdown
    Mandelentfernungen vor, während und nach dem ersten Corona-Lockdown
    WIdO

    Ambulante Abrechnungsfälle mit Halsschmerzbehandlungen
    Ambulante Abrechnungsfälle mit Halsschmerzbehandlungen
    WIdO


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Mandelentfernungen vor, während und nach dem ersten Corona-Lockdown


    For download

    x

    Ambulante Abrechnungsfälle mit Halsschmerzbehandlungen


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).