Eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung kann es nur dann geben, wenn Ärztinnen und Ärzte, Angehörige anderer Gesundheitsberufe sowie Patientinnen und Patienten in der Lage sind, informierte Entscheidungen zu treffen. Basis dafür bilden medizinisch-wissenschaftliche Leitlinien, die den aktuellen Wissensstand zusammenfassen. Im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich des Berliner Forums der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) diskutierten Experten heute, wie Leitlinienwissen künftig noch besser entstehen und den Patientinnen und Patienten noch schneller zugutekommen kann:
Dazu bedarf es einer nationalen Strategie zur Digitalisierung der Leitlinien und deren Integration in sämtliche digitale Gesundheitsanwendungen, der wissenschaftlichen Nutzung von Routinedaten aus der Patientenversorgung für Forschungszwecke sowie attraktive Karrierewege für wissenschaftlich arbeitende Medizinerinnen und Mediziner.
Digitale Gesundheitsanwendungen können helfen, die medizinische Versorgung zu verbessern. „Entscheidend dafür ist jedoch, dass die Daten, die den Anwendungen zu Grunde liegen, evidenzbasiert sind“, betont Professor Dr. med. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF. Im Rahmen des Digitale-Versorgungs-Gesetzes hat die Politik bereits begonnen, die Erstellung qualitätsgesicherter Leitlinien finanziell und operational zu unterstützen. So kann der Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die Erstellung von Leitlinien in bestimmten Themenfeldern fördern, beispielsweise zu seltenen Erkrankungen oder im Bereich der Infektionskrankheiten. „Dieser Weg muss in Zukunft intensiviert und verstetigt werden“, betont Professor Treede. Neben der Förderung der Leitlinienentstehung sei es wichtig, die Digitalisierung der Leitlinien voranzutreiben, damit Wissen für unterschiedliche Akteure im Gesundheitswesen jederzeit und ortsunabhängig unmittelbar in der Krankenversorgung verfügbar gemacht wird.
Für die aktuelle Legislaturperiode fordert die AWMF deshalb eine nationale Strategie, um evidenzbasiertes Wissen in digitalen Gesundheitsanwendungen, Patienteninformationen oder Arztinformationssystemen zu integrieren. „Diese sollte unter anderem eine unabhängige Finanzierung der Digitalisierung von Leitlinienwissen enthalten - zum Beispiel in Form eines Fonds, in den alle Institutionen einzahlen, die von der Leitlinienerstellung profitieren“, erläutert Treede.
Medizinische Forschung und deren Erkenntnisse bilden die Basis für Leitlinien und damit für eine hochwertige und evidenzbasierte medizinische Versorgung. „Doch die Gesetzgebung hat in den vergangenen Jahren zunehmend Hürden für die klinische Forschung aufgebaut, was am Beispiel der Digitalisierung besonders deutlich wird“, sagt Professor Dr. med. Dr. med. dent. Henning Schliephake, stellvertretender Präsident der AWMF. Weil Gesundheitsdaten bereits heute digital erfasst werden, entstehen in den Registern der Krankenkassen große Mengen an medizinischen Informationen. Sie können dazu beitragen, Kenntnisse über die medizinische Versorgungsrealität zu gewinnen: Mit Hilfe dieser Routinedaten lässt sich beispielsweise der unmittelbare Nutzen bestimmter Behandlungen oder Therapeutika erforschen. Derzeit stehen diese Daten aber nicht für die Forschung zur Verfügung. Auch bei der Nutzung von Registerdaten gibt es bürokratische Hürden für die Forschung. „Es besteht die Gefahr, dass hier riesige Datenfriedhöfe entstehen, deren großes Potenzial für die Gesundheitsforschung ungenutzt bleibt“, betont Schliephake.
Die AWMF fordert die Politik deshalb auf, die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung klar zu regeln und den Zugang zu diesen Daten zu erleichtern. „Sensible Gesundheitsdaten genießen zurecht einen besonderen Schutz. Diese berechtigten Schutzinteressen muss der Gesetzgeber mit dem ebenfalls berechtigten Forschungsinteresse in Einklang bringen – zum Wohle der Patientinnen und Patienten“, so der Experte.
Damit auch in Zukunft Gesundheitsforschung betrieben werden kann, ist es aus Sicht der AWMF-Experten außerdem unerlässlich, den medizinischen Nachwuchs zu fördern. „Eine wichtige Aufgabe für die aktuelle Legislaturperiode ist daher auch, Weichen für eine systematische Personalentwicklung in der Medizin zu stellen“, betont Schliephake. Hierzu brauche es beispielsweise Angebote für Karriere-Coachings für wissenschaftlich tätige Ärztinnen und Ärzte sowie medizinische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine entsprechende Finanzierung solcher Angebote, beispielsweise aus einem Fonds der nationalen Gesundheitswirtschaft. „Darüber hinaus ist es unerlässlich, dass Karriereperspektiven für den akademischen Mittelbau verbessert werden“, fordert Treede abschließend.
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