Zeitdruck, eine Abfuhr vom Chef, ständige Ablenkung: Im Berufsleben gibt es viele Faktoren, die Stress auslösen. Stress objektiv nachzuweisen, ist allerdings gar nicht so einfach. Psychologinnen und Psychologen der Universität des Saarlandes konnten nun Einflüsse von Alltags-Stress in der Stimme messen. Damit haben sie möglicherweise einen Weg gefunden, Stress besser aufzuspüren, um ihn besser bewältigen zu können. Die Studie wurde im Fachmagazin „Psychological Science“ veröffentlicht.
Die Uhr tickt gnadenlos, seit Wochen bereitet der Mitarbeiter den Projektbericht vor, den er morgen der Geschäftsführung präsentieren soll. Seine Abteilungsleiterin macht Druck, weil sie den Bericht vorher nochmal lesen möchte, und unentwegt klingelt das Telefon, weil weitere Kunden Details zum Stand ihrer eigenen Projekte haben möchten. Klingt nach Stress, ist es für die meisten auch. Denn nur wenige Zeitgenossen dürften in solchen Situationen gelassen bleiben. Doch auch in normalen Arbeitssituationen kann Stress entstehen, den man oft nicht so leicht entdeckt. Manche sind belastbarer als andere, die bereits während der normalen Arbeitsroutine schnell Stress empfinden. Dennoch ist der Stress da, und er sorgt im schlimmsten Fall für psychische und körperliche Probleme. Das ist schlecht für die Betroffenen selbst, aber auch für die Arbeitgeber, denn sie bezahlen viel Geld für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht die volle Leistung bringen können.
Doch Stress tatsächlich objektiv zu messen, sagen zu können: „Diese Person hat Stress, die in der Nachbarabteilung jedoch nicht“, das war bisher gar nicht so leicht. Bisher war das zum Beispiel möglich, indem man den Cortisolspiegel durch einen Abstrich im Mund misst. In der Forschung gab es außerdem Experimente mit Freiwilligen, deren Hand zeitweise in eisgekühltes Wasser getaucht wurde, um Stress über körperlichen Schmerz zu simulieren. Im Anschluss konnte man ein gewisses Stressniveau in der Stimme feststellen. „Es gab auch Auswertungen der Stimmen von Piloten, kurz vor einem Flugzeugabsturz. Deren Stimmen haben Stressanzeichen gezeigt, was vielleicht nicht weiter überraschend ist“, erklärt Dr. Markus Langer vom Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität des Saarlandes. Insbesondere dieses letzte, extreme Beispiel zeigt: Die bisherigen Untersuchungen waren alles, aber nicht alltäglich.
Markus Langer und ein Team aus weiteren Psychologinnen und Psychologen des Lehrstuhls von Professor Cornelius König konnten diese Wissenslücke nun füllen: Sie haben mit der Hilfe von 111 berufstätigen Probanden eindeutige Zusammenhänge zwischen tatsächlichem Alltagsstress auf der Arbeit und Veränderungen in der Stimme messen können. „Wir konnten anhand von Sprachnachrichten, die die Teilnehmer uns eine Woche lang jeden Abend nach ihrer Arbeit geschickt haben, leichte Stimmveränderungen nachweisen, wenn sie einen stressigen Tag hatten. Dabei haben wir auch nach Stressoren, also beispielsweise zu vielen Terminen, Konflikte, Zeitdruck, gefragt.“
Gaben die Studienteilnehmer an, an einem Tag tatsächlich von einem Termin in den anderen gehetzt zu sein oder vom Chef einen Rüffel bekommen zu haben, konnten die Wissenschaftler um Markus Langer signifikante Veränderungen in der Stimme messen: „Zum einen stieg die Intensität der Stimme, das heißt, die Menschen haben etwas lauter gesprochen. Darüber hinaus war die Stimme höher, und sie haben schneller gesprochen als üblich“, erklärt der Psychologe.
Um das festzustellen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die physikalisch messbaren Stimmdaten – also Höhe, Geschwindigkeit, Lautstärke – jedes einzelnen Sprechers über die Woche gemittelt und dann Abweichungen zu diesem Mittelwert pro Tag gemessen. „Die kleinen Veränderungen, die wir so messen konnten, sind oft für menschliche Ohren gar nicht auffällig, aber im Computer sind die Unterschiede signifikant messbar“, fasst Markus Langer zusammen. So spricht jemand beispielsweise im Mittel mit 60 Dezibel Lautstärke bzw. Schalldruck. Wenn die Person gestresst ist, hingegen mit 61 Dezibel. Dieser Unterschied fällt Menschen eher nicht auf, sehr wohl kann aber eine Software diesen erkennen.
Die Antwort auf Frage „Fühlen Sie sich gestresst?“, welche ebenfalls gestellt wurde, zeigte übrigens keinen Zusammenhang mit dem in der Stimme nachgewiesenen Stresslevel. Das zeigt, dass die eigene Wahrnehmung sich oft nicht hundert Prozent mit dem tatsächlichen Zustand deckt. „Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn: Fragt man die Leute, ob sie gestresst sind, sagen viele ‚Ach, nein, das geht schon‘, obwohl es schon längst an der Zeit wäre, etwas an der Arbeitsorganisation zu ändern. Oft ist das Belastungslevel dann schon so hoch, dass die Personen nicht mehr wirklich mit dem täglichen Stress umgehen können – bis hin zu Fällen, die dann schon fast im klinischen Bereich anzusiedeln sind“, erläutert Markus Langer die drohenden gesundheitlichen Folgen von Stress, der nicht richtig wahrgenommen wird.
Künftig könnte dieser Ansatz, Stress über die Stimme objektiv messen zu können, ein Weg sein, um für weniger Stress im Arbeitsumfeld und damit gesündere Arbeit zu sorgen. Mikrofone und Aufzeichnungsmöglichkeiten sind inzwischen ja überall, sei es im Handy, im Headset, am Bürotelefon, in „smarten“ Lautsprechern zuhause und so weiter. Datenschutzprobleme, ethische Fragestellungen und Missbrauchsmöglichkeiten müssten hier natürlich an erster Stelle ausgeräumt werden, „schließlich liefert die Stimme als Biomarker sehr sensible Daten“, weiß auch Markus Langer. Falls sich jedoch eine Methode findet, diese Risiken auszuschließen, gäbe es neue Möglichkeiten, Stress zu erforschen und letzten Endes auch zu vermeiden.
Dr. Markus Langer
Tel.: (0681) 3024767
E-Mail: markus.langer@uni-saarland.de
Langer M, König CJ, Siegel R, et al. Vocal-Stress Diary: A Longitudinal Investigation of the Association of Everyday Work Stressors and Human Voice Features. Psychological Science. May 2022. doi:10.1177/09567976211068110
https://doi.org/10.1177/09567976211068110
Dr. Markus Langer
Thorsten Mohr
Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr
Dr. Markus Langer
Thorsten Mohr
Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr
Criteria of this press release:
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Psychology
regional
Research results, Scientific Publications
German
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