Neue Erkenntnisse des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten NFP 72 helfen Antibiotikaresistenzen einzudämmen. Im Bereich neuer Antibiotika hingegen fehlen geeignete Strukturen, um Resultate in die Praxis umzusetzen.
Weltweit werden immer mehr Erreger resistent gegen die heute bekannten Antibiotika. Weil diese ihre Wirksamkeit verlieren, wandeln sich einst leicht behandelbare Infektionen zu tödlichen Krankheiten. Das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierte Nationale Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) hat nach Lösungen gesucht, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. In 45 Projekten haben Forschende neue Erkenntnisse und Instrumente entwickelt. «Sie liefern damit Grundlagen, die eine starke Antwort auf die zunehmende Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen ermöglichen», sagt Joachim Frey, Präsident der NFP 72-Leitungsgruppe. «Doch wissenschaftliche Innovation setzt sich nicht allein um – dazu sind nun die Partner aus Praxis, Industrie und Politik gefragt».
Übertragungswege von Resistenzen aufgezeigt
Antibiotikaresistenzen verbreiten sich zwischen Menschen, Tieren und der Umwelt. Bisher war es kaum möglich, diese Übertragungswege genau nachzuvollziehen. Dank neuer Gensequenzierungs-Technologien konnten Forschende des NFP 72 nun wichtige Schnittstellen aufdecken, etwa die Übertragung multiresistenter Erreger von Tieren auf Mitarbeitende von Veterinärkliniken oder der Nachweis von erhöhten Resistenzkonzentrationen in Flüssen unterhalb von Kläranlagen. Diese Erkenntnisse ermöglichen konkrete Massnahmen.
Um die Verbreitung von Resistenzen dank solchen Daten über das ganze biologische System Mensch-Tier-Umwelt zeitnah überwachen zu können, haben Forschende ein neues Portal entwickelt: Mit der Swiss Pathogen Surveillance Platform (SPSP) steht eine Grundlage bereit, mit der genetische Informationen zu bakteriellen Erregern künftig verknüpft und analysiert werden können. Die SPSP hat sich in der Covid-19-Pandemie bereits bewährt, als sie laufende Analysen statt von bakteriellen Erregern – wie ursprünglich geplant – von Sars-CoV-2-Varianten lieferte.
Instrumente für verantwortungsvolleren Antibiotikaeinsatz entwickelt
Falsch oder unnötig eingesetzte Antibiotika verschärfen die Resistenzproblematik. Forschende des NFP 72 haben deshalb Hilfsmittel und Interventionen entwickelt, die Fachleute bei der Verschreibung von Antibiotika unterstützen. In der Tiermedizin etwa hat sich das Online-Tool AntibioticScout in der Praxis etabliert. In der Humanmedizin zeigten mehrere Praxisstudien, dass geeignete Massnahmen die Antibiotikaverschreibung verbessern können.
Zentral sind zudem schnelle Tests: Sie ermöglichen es Ärztinnen und Ärzten, rechtzeitig das geeignete Antibiotikum – oder gar keines – zu wählen. In mehreren NFP 72-Projekten haben Forschende beschleunigte Testmethoden entwickelt. Einige davon werden bereits in der Praxis angewandt.
Den grössten Effekt kann jedoch die Prävention erzielen: Wo keine Infektionen sind, braucht es keine Medikamente. Präventive Massnahmen gegen Antibiotikaresistenzen zielen deshalb darauf ab, Übertragungen bakterieller Krankheitserreger generell zu vermeiden. Besonders grosses Potential zeigt hierbei ein neues Betriebskonzept für die Kälbermast auf: Das «Freiluftkalb»-Konzept verhindert dank betrieblichen Präventionsmassnahmen Infektionen und reduziert so den Einsatz von Antibiotika um rund 80%.
Neue Wirkstoffe entdeckt
Selbst wenn es gelingt, die Entstehung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen einzudämmen, wird es immer wieder neue Antibiotika brauchen. Bereits jetzt ist der Bedarf nach neuen Wirkstoffen gross. Im NFP 72 haben Forschende eine Reihe neuer solcher entdeckt und im Labor entwickelt. Dazu zählen in der Natur gefundene Substanzen ebenso wie synthetisch hergestellte, aber auch die gezielte Nutzung von Bestandteilen von Bakterienviren (Bakteriophagen) gegen Krankheitserreger. Die erfolgreichen Projekte zeigen, dass die akademische Forschung systematisch neue Ansätze für wirksame Antibiotika hervorbringen kann.
Umsetzung in vielen Bereichen gut möglich – mit einer gewichtigen Ausnahme
Viele der nun gewonnen Erkenntnisse können in bestehenden Strukturen umgesetzt werden. Auf nationaler Ebene besteht mit der Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) ein geeigneter Rahmen, innerhalb dessen der Bund entsprechende Massnahmen initiieren und die jeweils zentralen Akteure koordinieren kann. «Doch es braucht in vielen Bereichen ein deutlich stärkeres Engagement auch von anderen Seiten», sagt Joachim Frey. «In der Human- und in der Tiermedizin müssen etwa die Kantone bereit sein, gezielte Programme zum verbesserten Antibiotikaeinsatz mit entsprechenden Ressourcen auszustatten».
Während er diesbezüglich dennoch zuversichtlich ist, sieht er sehr viel grössere Hürden, wenn es um die Entwicklung neuer Medikamente geht. Da Antibiotika zurzeit wenig bis keine Gewinne versprechen, fehlen nach der akademischen Forschung die industriellen Partner, die neue Ansätze zu marktreifen Therapien weiterentwickeln. «Diese Problematik kann nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse gelöst werden», so Joachim Frey. Vielmehr sei die Politik gefragt, wie auch das Programmresümee des NFP 72 festhält: Sie muss Rahmenbedingungen setzen, innerhalb derer sich die Entwicklung dieser für die moderne Medizin zentralen Medikamente wieder lohnen kann.
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Nationales Forschungsprogramm "Antimikrobielle Resistenz" (NFP 72)
Die Problematik der Antibiotikaresistenz nimmt zu. Aus diesem Grund hat der Schweizerische Nationalfonds (SNF) im Auftrag des Bundesrats 2015 das Nationale Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) lanciert. Geplant wurde es in Koordination mit der Bundesstrategie gegen Antibiotikaresistenzen StAR.
Im NFP 72 erforschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler während fünf Jahren in 33 Projekten an Schweizer Universitäten und Hochschulen sowie in 12 internationalen Projekten im Rahmen der Europäischen Joint Programming Initiative on Antimicrobial Resistance (JPIAMR) neue Lösungswege. Sie sollen dazu beitragen,
- die Verbreitung antibiotikaresistenter Krankheitserreger einzudämmen
- Antibiotika verantwortungsvoller einzusetzen
- Infektionen mit antibiotikaresistenten Erregern besser zu behandeln.
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Der Text dieser Medienmitteilung und weitere Informationen stehen auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Prof. Joachim Frey
Institut für Veterinärbakteriologie, Universität Bern
Präsident Leitungsgruppe NFP 72
Tel.: +41 79 355 07 58
E-Mail: joachim.frey@unibe.ch
Dr. Helmut Bürgmann
Eawag
Tel.: +41 58 765 21 65
E-Mail: helmut.buergmann@eawag.ch
Prof. Hanspeter Naegeli
Vetsuisse-Fakultät, Universität Zürich
Tel.: +41 44 635 87 61 / +41 79 630 73 90
E-Mail: naegelih@vetpharm.uzh.ch
Prof. Markus Seeger
Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universität Zürich
Tel.: +41 78 718 01 68
E-Mail: m.seeger@imm.uzh.ch
Programmresümee NFP 72 «Antimikrobielle Resistenz»
https://www.nfp72.ch/media/de/VGhtsJ2Rg29MeHil/NFP-Programmresumee-DE.pdf
H. Bürgmann et al.: NRP 72 Thematic Synthesis «Routes and reservoirs of AMR-determinants & One Health AMR-surveillance»
https://www.nfp72.ch/media/de/MRk6j1ZnWcCtHK0m/NRP-72-Thematic-Synthesis-1.pdf
H. Naegeli et al.: NRP 72 Thematic Synthesis «Optimized use of antibiotics and behavior changes»
https://www.nfp72.ch/media/de/f8o995tLQAEemUzZ/NRP72-Thematic-Synthesis-3.pdf
M. Seeger et al.: NRP 72 Thematic Synthesis «Faster diagnostics and new therapeutic approaches»
https://www.nfp72.ch/media/de/jVkxnZ7nkdDu2ngG/NRP72-Thematic-Synthesis-2.pdf
https://www.snf.ch/de/hmBr5T3yg87mh0YX/news/die-wirksamkeit-von-antibiotika-verb...
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine
transregional, national
Research results, Transfer of Science or Research
German
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