Ulrike Stein sucht nach Schlüsselmolekülen der Metastasierung, um sie für die Therapie solider Tumore zu nutzen und die Prognose für Krebspatient*innen zu verbessern. Die Metastasis Research Society ehrt sie dafür mit dem diesjährigen Women in Science Achievement Award.
Die meisten Krebspatient*innen sterben nicht am Primärtumor, sondern daran, dass sich bösartige Tumorzellen im Körper ausbreiten und Metastasen bilden. Wie die Zellen das bewerkstelligen, ist nur teilweise bekannt. Die molekularen Mechanismen der Metastasierung zu verstehen, um neue Angriffsziele für Krebstherapien zu finden, ist das Ziel von Professorin Ulrike Stein. Sie leitet am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung des Max Delbrück Centers und der Charité – Universitätsmedizin Berlin die Arbeitsgruppe „Translationale Onkologie solider Tumore“. Für ihre herausragenden Leistungen auf diesem Gebiet ehrt die renommierte Metastasis Research Society (MRS) die Wissenschaftlerin mit dem diesjährigen Women in Science Achievement Award. Ulrike Stein ist seit 2020 die zweite Krebsforscherin, die diesen Preis erhält.
Ihre wichtigste Entdeckung machte Ulrike Stein vor etwas mehr als zehn Jahren: Zusammen mit Professor Peter M. Schlag vom Comprehensive Cancer Center der Charité (CCCC) und Professor Walter Birchmeier vom Max Delbrück Center identifizierte sie das Metastasis-Associated in Colon Cancer 1-Gen (MACC1), ein bis dato völlig unbekanntes Gen. Krebszellen exprimieren MACC1, um sich zu vermehren, fortzubewegen und in anderes Gewebe einzudringen. Diese Rolle von MACC1 als Schlüsselfaktor und prognostischem und prädiktivem Biomarker für Tumorwachstum und vor allem Metastasierung haben mittlerweile viele andere Forscher*innen weltweit untersucht und in mehr als 300 Veröffentlichungen bestätigt – nicht nur bei Darmkrebs, sondern bei mehr als 20 weiteren soliden Tumorarten, etwa Magen-, Leber- oder Brustkrebs.
Ein Kind der DDR
Aufgewachsen ist Ulrike Stein in Naumburg in Sachsen-Anhalt. Bereits in der siebten Klasse wusste sie, dass sie Krebsforscherin werden will. Doch so fest entschlossen sie war, so steinig war der Weg dorthin. Nach dem Abitur bewarb sie sich um einen von fünf Genetik-Studienplätzen in der DDR. Dürfte kein Problem sein bei einem Schnitt von Eins Komma Null, dachte sie –wurde jedoch aufgrund unzureichender gesellschaftlicher Aktivitäten abgelehnt.
Zum Ausgleich bot man ihr einen Studienplatz in Biochemie an der Martin-Luther-Universität in Halle an. Sie nahm ihn zähneknirschend an – und stellte bei Studienbeginn überrascht fest, dass es sich dabei um die Biochemie der Pflanzen handelte. Sie zog es trotzdem durch und schaffte es auf den letzten Metern ihres Studiums, zur Krebsforschung abzubiegen: Sie fertigte ihre Diplomarbeit am Zentralinstitut für Krebsforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR an, also einem der drei Institute, aus dem heraus später das Max Delbrück Center gegründet wurde.
Auch für ihre Promotion war sie an der Akademie der Wissenschaften eingeschrieben. Doch als sie kurz nach dem Fall der Mauer im November 1989 die geforderten 16 Exemplare ihrer Doktorarbeit einreichen wollte, hatte die Akademie das Promotionsrecht verloren. Erst ein Jahr später, nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, war es an der Humboldt-Universität zu Berlin wieder möglich zu promovieren. „Ich war nach der Wende die allererste Wissenschaftlerin, die ihre Promotion an der Humboldt-Uni verteidigt hat“, erinnert sich Ulrike Stein. Sie war dann drei Jahre Postdoktorandin am Max Delbrück Center, bevor sie 1994 zusammen mit ihrem Mann ans National Cancer Institute (NCI) in Frederick, USA, ging. Sie beschäftigte sich dort mit der Frage, wie Krebszellen resistent gegen Medikamente einer Chemotherapie werden.
Forschen in Amerika – „ich war im Himmel“
Hätten sie und ihr Mann nicht irgendwann festgestellt, dass ihr Sohn begann, Probleme mit der deutschen Sprache zu haben, „dann wäre ich nie nach Deutschland zurückgekehrt“, sagt sie. Die technische und finanzielle Ausstattung des Instituts, die Zusammenarbeit mit ihren Kolleg*innen hatten es ihr angetan, „ich hab geglaubt, ich bin im Himmel“, schwärmt sie noch heute. Nach ihrer Rückkehr wurde sie Forschungsgruppenleiterin, zunächst am Max Delbrück Center, dann in der damaligen Robert-Rössle-Klinik der Charité. 2003 habilitierte sie an der Charité, seit 2007 leitet sie ihre Gruppe am ECRC. Amerika blieb sie verbunden: Etwa 15 Jahre verbrachte sie jeweils die Sommerferien mit ihrem Mann am NCI in Frederick, wo sie in einem Alumni-Programm der Alexander-von-Humboldt-Stiftung weiter mit ihren altbekannten Kolleg*innen forschte. Als Ulrike Steins Gruppe am ECRC wuchs, fehlte ihr dafür irgendwann die Zeit.
An der Krebsforschung reizt sie die intellektuelle Herausforderung, sagt Ulrike Stein, „mit den eigenen Gedanken etwas bewegen zu können, was anderen Menschen hilft.“ Dabei sucht sie stets nach Themen, die wirklich neu sind: „Wenn sich Wissenschaftler*innen bereits mit etwas beschäftigen, muss meine Gruppe das nicht auch noch tun“, erklärt sie. Diese Suche nach Neuland hat sie zur Metastasierungsforschung gebracht, ein Gebiet, das ihrer Meinung nach etwas vernachlässigt wird.
„Ich wollte immer in die Krebsforschung“
Derzeit sucht sie mit ihrem Team nach Inhibitoren für MACC1. Mit Dr. Robert Preißner von der Charité hat sie herausgefunden, dass Statine, die als Cholesterinsenker verschrieben werden, die MACC1-Expression in Tumorzellen hemmen können. Nach experimentellen Untersuchungen an Zelllinien und Mausmodellen und einer retrospektiven Datenanalyse humaner Proben ist nun eine klinische Studie geplant. Man brauche einen langen Atem, bis ein Ergebnis aus der Grundlagenforschung in der klinischen Praxis ankommt.
Der ist ihr noch nie ausgegangen. Weder damals bei der Biochemie der Pflanzen noch heute beim Schreiben von Forschungsanträgen oder Publikationen. Wenn sie eine Auszeit braucht, fährt sie mit ihrem Mann ins reetgedeckte Wochenendhaus an der Ostsee – im Gepäck ein gutes Buch oder auch mal Fachliteratur. Zurück kommt sie mit unzähligen neuen Ideen. „Ich wollte immer in die Krebsforschung. Das würde ich nie aufgeben“, sagt sie im Brustton der Überzeugung.
Der Women in Science Achievement Award reiht sich ein in eine Liste hochrangiger Auszeichnungen: So verlieh ihr die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften im Jahr 2010 für die Entdeckung von MACC1 den Preis der Monika-Kutzner-Stiftung zur Förderung der Krebsforschung. 2014 erhielt sie zusammen mit Professor Ulrich Rohr von der Firma Hoffmann-La Roche und Professor Peter M. Schlag den Felix Burda Award für die „beste Präventionsidee“ gegen Darmkrebs. Die Krebsforscherin und ihre Kolleg*innen hatten einen Bluttest entwickelt, der auf dem MACC1-Gen basiert. Mit diesem Bluttest ist es bereits in einem sehr frühen Stadium einer Darmkrebserkrankung möglich, Patient*innen mit hohem Risiko für lebensbedrohliche Metastasen zu erkennen. Ulrike Stein ist glücklich darüber, dass ihre Arbeit auf diese Weise Anerkennung erfährt. „Aber was ich wirklich will“, sagt sie, „ist, diese MACC1-Inhibitoren und auch die Diagnostik in die klinische Anwendung zu bringen. Ich bin überzeugt davon, dass die Patient*innen länger leben würden.“
http://Weitere Informationen
http://AG Stein, Translationale Onkologie solider Tumore
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Medicine
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