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05/25/2004 16:32

Kreativität als eine der Stärken junger deutscher Ärzte

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    "'Wir brauchen mehr Elite an unseren Universitäten'. Dieses Thema ist gerade erst aus den Schlagzeilen der Presse, die meisten offenen Fragen dazu sind aber noch nicht beantwortet. Sind unsere Schüler und Studenten wirklich so schlecht, wie es aus den Medien klingt? Sind unsere Universitäten international nicht mehr wettbewerbsfähig?" Das fragte Professor Michael Sendtner am Anfang seiner Festrede, die er bei der Promotionsfeier der Medizinischen Fakultät am 14. Mai in der Neubaukirche hielt. Hier Auszüge aus seinem Vortrag:

    "Sind Sie im Vergleich zu anderen Ländern schlecht ausgebildet? Sind Sie schlechtere Ärzte als Ihre Kollegen in den USA, in England, Frankreich oder vielleicht auch in China oder Japan? Das glaube ich nicht. Sie haben ein sehr breites Studium hinter sich, harte Prüfungen, der eine oder andere von Ihnen bereitet sich vielleicht sogar auf das amerikanische Staatsexamen vor. Dabei wird er die Erfahrung machen, dass es eher die sprachlichen, organisatorischen und formalen Dinge sind, die er nachlernen muss, um dort zu bestehen.

    Interessanterweise und ganz im Gegensatz zur Stimmung im eigenen Land haben junge, frisch ausgebildete Mediziner, Biologen und Biomediziner aus Deutschland im Ausland einen guten Ruf. Junge deutsche Ärzte sind gern gesehen. (...) Sie sind auch hoch willkommene Mitarbeiter an amerikanischen Forschungsinstituten, zum Beispiel in Harvard und Stanford. (...) Junge deutsche Ärzte, die an einem dieser Top-Plätze wissenschaftlich arbeiten wollen - und das sind gerade die Orte, die uns von den Medien als Vorbild quasi vor die Nase gehalten werden - sind dort geschätzte Mitarbeiter, vielleicht sogar mehr als die Ärzte, die an den teuren amerikanischen Medical Schools ausgebildet werden. (...)

    Warum sind Sie denn als Mitarbeiter dort so gefragt? (...) Was mich besonders beeindruckt hat, war einmal die Antwort eines amerikanischen Kollegen. Es war Ron MacKay, einer der führenden Stammzellforscher am NIH in Bethesda. Er sagte: 'Bei den jungen deutschen Medizinern hat das Wort Bildung noch eine Bedeutung, und zwar als Bildung in einem Sinn, der über das Wissen hinausgeht.'

    Ich halte diesen Gedanken für sehr wichtig und nachdenkenswert. Das bedeutet doch, dass man, wenn man Erfolg in der Forschung und in der praktischen Medizin haben möchte, mehr als nur detailliertes Wissen braucht. Eigentlich heißt das, dass die Struktur und Dynamik des Wissens und insbesondere des Denkens mindestens so wichtig oder vielleicht noch viel wichtiger sind. Und anscheinend, so habe ich jedenfalls Ron McKay verstanden, kann das deutsche Schul- und Universitätssystem besser Bildung vermitteln als andere Ausbildungssysteme. (...)

    Aus der Diskussion der Medien über Elite oder über das Fehlen von Elite an den deutschen Hochschulen bekommt man oft den Eindruck, Wissen sei nur ein Instrument, das nötig ist, um erfolgreich zu sein. Wissen definiert den technologischen Fortschritt, der wiederum den wirtschaftlichen Erfolg. Wirtschaftlicher Erfolg ist der Motor der Konjunktur, und eine gute Konjunktur löst alle aktuellen Prob-leme.

    Diese Art, Wissen zu vermitteln - möglichst schnell und effizient - führt dazu, dass Hochschulen, Professoren und auch Sie dazu gebracht werden, das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer solchen Maschine noch mehr zu verbessern. Leistung wird in diesem Zusammenhang erfasst wie die PS-Zahlen eines Formel-1-Motors. Ich glaube, man muss diesen Gedanken nicht bis zum Rennsport weiterspielen, um die Absurdität zu erkennen und vor allem Widerspruch zu erzeugen. Bildung ist kein Mittel zum Zweck, und Wissen bis an die Schwelle des aktuellen Forschungsstands ist zwar notwendig, aber nicht alles.

    Stellen Sie sich vor, unsere Universität oder die Medizinerausbildung würde entsprechend der momentanen Diskussion über Elite umgebaut: Die Universitäten wählen selbst die Studenten, natürlich die besten, die Kurszahl und Kursstunden pro Woche werden erhöht, natürlich mit mehr Personal und Ausstattung. Man erwartet von Ihnen einen Einsatz von mindestens 40 bis 60 Stunden pro Woche. Es wird hart geprüft, noch härter als jetzt. Muss man sich nicht fragen, ob in einem solchen System ein Wilhelm Conrad Röntgen oder ein Rudolf Virchow überhaupt Bestand gehabt hätten? Hätte nicht vielleicht ein Röntgen schon als Student die Lust verloren, sich auf eine solche Mühle einzulassen? (...)

    Mit dem Stichwort Kreativität knüpfe ich an das an, was ich vor einigen Jahren von William Mobley, dem Direktor des Neuroscience-Programms aus Stanford gehört habe, was aus seiner Sicht die jungen deutschen Ärzte auszeichnet. Kreativität - das scheint also eine Stärke von Ihnen zu sein, und es ist wichtig, dass Sie sich dieser Stärke bewusst sind. Es genügt nicht, nur Wissen und Fakten zu pauken, (...) es braucht mehr. Deshalb halte ich es für richtig und notwendig, dass Sie während Ihres Studiums und auch in Zukunft Zeit für sich selbst haben, um neue Menschen kennen zu lernen und sich mit ihnen und ihren Ideen auseinanderzusetzen, um das Fachwissen Ihres Berufs in Beziehung zu setzen mit anderen Wissensgebieten, und sich Zeit für Ihre Hobbys zu nehmen, um so die Wurzeln von Kreativität zu pflegen, die Sie brauchen um den Fortschritt unseres Fachs mitzugestalten. (...)

    Wissen ist mehr als Mittel zum Zweck, um Geld zu verdienen und Steuern zu zahlen, es muss vernetzt sein, und vielleicht werden in Zukunft nicht die Universitäten und Bildungssysteme am erfolgreichsten sein, die am meisten Wissen vermitteln, sondern diejenigen, die es am besten schaffen, ihre Studenten dabei zu unterstützen, kreativ zu sein. (...)

    Lassen Sie nicht zu, Teil einer Effizienzmaschine zu sein, die in der Schule beginnt, die in acht Jahren die gleichen Wissenspunkte in Kinder hineinstopft, die bisher in neun Jahren vermittelt wurden, die noch mehr Leistung herauspresst. 10 oder 15 Prozent mehr Leistung, alles ist denkbar, aber das ist auf keinen Fall die Lösung, um im internationalen Wettbewerb auf Dauer erfolgreich zu sein. (...)

    Die Diskussion über die angeblich fehlende Elite, vielleicht sollte man besser sagen, den fehlenden Mut zur Elite oder das fehlende Selbstbewusstsein, ist nicht neu. Tatsächlich muss mehr getan werden. Wir brauchen mehr Geld an unseren Universitäten. (...) Freilich war und ist Geld nicht alles. Ich würde mir wünschen, dass alle den gleichen Mut haben, eine solche Reform durchzuziehen: Die Politiker den Mut, notwendige Mehrinvestitionen für Bildung zu tätigen, trotz knapper öffentlicher Kassen, die Universitäten den Mut, sich nicht zu hoch effizienten 'Wissens-Hineinstopf-Maschinen' umfunktionieren zu lassen, die wirklichen Stärken unserer Fachbereiche zu verteidigen und nicht nachzugeben, wenn nur der reine Nutzenaspekt von Bildung in der Vordergrund gestellt wird, und zum Schluss Ihnen und unseren jungen Studenten den Mut, kreativ zu sein, sich weiter breit zu bilden und sich der Stärke einer Bildung bewusst zu sein, die mehr ist als nur das Anhäufen von Wissen als bloßer Zweck zu wirtschaftlichem Erfolg."

    Prof. Dr. Michael Sendtner ist Leiter des Instituts für Klinische Neurobiologie an der Universität Würzburg.


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Studies and teaching
    German


     

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