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01/09/2023 09:26

ANIM 2023: Aktuelle Entwicklungen in der NeuroIntensivmedizin - Interview mit Kongresspräsident Prof. Vatter

Kerstin Aldenhoff Pressestelle
Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin

    Interdisziplinär, interprofessionell und international - die 40. Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin (ANIM) vom 19. bis 21. Januar 2023 in Berlin ist vielfältig aufgestellt. Von aktuellen Entwicklungen in der NeuroIntensivmedizin bis hin zu neuen Erkenntnisse neurologischer Auswirkungen von COVID-19 gibt es ein umfassendes Update in Vorträgen renommierter Experten, praxisorientierten Workshops, Fortbildungskursen und Symposien. Prof. Dr. med. Hartmut Vatter, Bonn, Kongresspräsident der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), gibt erste Einblicke in Themenschwerpunkte und Highlights.

    Neue Erkenntnisse in Forschung und Wissenschaft werden bei der ANIM2023 vorgestellt und Auswirkungen auf die klinische Praxis diskutiert. Welche Schwerpunkte haben Sie gesetzt? Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

    Prof. Vatter: Letztlich haben wir zwei Schwerpunkte gesetzt. Zum einen Entzündung und Immunologie in der Neuro-Intensivmedizin - ein medizinisch-wissenschaftliches Thema. Es scheint eine pathophysiologische Grundlage zu sein, die für verschiedenste Erkrankungen einen zunehmenden Stellenwert bekommen wird. Hier sind wir meines Erachtens im Augenblick an einer Schwelle zwischen Grundlagenforschung und deren möglicher Anwendung auf verschiedene neurologisch-neurochirurgische Erkrankungen einschließlich in der Neuro-Intensivmedizin. Das zweite Schwerpunktthema ist die Spezifität der Neuro-Intensivmedizin, und das vor allem vor dem Hintergrund von demographischen- und Umweltveränderungen. Hier ist natürlich ganz erheblich der massive Bettendruck im Rahmen der COVID-Pandemie Motor und Denkanstoß gewesen. Trotz Bettendruck bleibt die Frage, wie spezifisch die NeuroIntensivmedizin innerhalb der Intensivmedizin ist und welche Anteile davon strukturell belassen werden müssen beziehungsweise inwieweit sie auch durch eine internistische oder eine rein anästhesiologische Intensivmedizin abgedeckt werden können. Dies ist auch ein zentraler Punkt im Bereich des Präsidentensymposiums und soll durch die ganze ANIM hindurch diskutiert werden.

    Ein besonderes Augenmerk liegt auf der engen interdisziplinären Verzahnung der neurologischen und neurochirurgischen Notfall- und Intensivmedizin gelegt. Weshalb ist Interdisziplinarität gerade in diesen Bereichen so wichtig?

    Prof. Vatter: Gerade in einer modernen Medizin ist die Vorstellung, dass es einen ‚Alleskönner‘ geben könnte, einfach überholt. Deswegen kommt es ganz wesentlich darauf an, dass jeder das macht, was er tatsächlich am besten kann und woraufhin seine Ausbildung auch spezialisiert ist. Die NeuroIntensivmedizin ist dabei mit Sicherheit eine Schnittmenge. Hier kommt es darauf an, dass anästhesiologische, internistische, neurologische und neurochirurgische Kompetenz gebündelt werden. Das Ganze muss selbstverständlich durch eine optimale Bildgebung sowie die Möglichkeiten neuroradiologischer Interventionen unterstützt werden.

    Neben fachspezifischen Themen wie Schlaganfall einschließlich Hirn- und Subarachnoidalblutung liegt ein besonderer Fokus auf der Frage, welche Teile der hochkomplexen fachspezifischen Behandlung auf entsprechend ausgerüsteten und geschulten Neuro-Intensivstationen durchgeführt werden müssen. In welchen Fällen kann auch erfolgreich auf wesentlich breiter verfügbaren, allgemein intensivmedizinischen Stationen behandelt werden?

    Prof. Vatter: Diese Diskussion soll ein zentraler Punkt der diesjährigen ANIM werden. Dabei sind natürlich zwei Aspekte relevant, zum einen die Krankheitsbilder selbst und zum anderen deren zeitlicher Verlauf. In der ersten Phase einer Subarachnoidalblutung, eines Schlaganfalles oder eines Schädel-Hirn-Traumas steht mit Sicherheit die neurochirurgisch-neurologische Expertise im Sinne der Behandlung des Hirnödems, der zerebralen Perfusionsstörung und einiger weitere zerebraler Probleme im Mittelpunkt. Patienten in dieser frühen Phase in einer allgemeinen intensivmedizinischen Einheit behandeln zu lassen, empfinde ich persönlich als kritisch. Wie und wo in der weiteren Phase und auch in späteren Phasen Behandlungsabläufe optimal gestaltet werden können, wird innerhalb der ANIM diskutiert werden.

    Neben Forschung und Praxis der neuromedizinischen Fachrichtungen sind auch Pflege- und Therapiebereich eng verbunden, zum Beispiel bei Tutorials und Sitzungen speziell für Pflegekräfte und Therapeuten. Worin liegt die besondere Herausforderung der Zusammenarbeit?

    Prof. Vatter: Ähnlich wie die Zusammenarbeit zwischen Neurologen, Neuro-chirurgen, Internisten und Anästhesisten funktioniert eine NeuroIntensivstation selbstverständlich nur, wenn die Pflege, Physiotherapeuten und vor allem auch Logopäden zusammen gut funktionieren. Insbesondere liegt die Herausforderung in meinen Augen darin – und das unterstreicht die Wichtigkeit des gemeinsamen Kongresses –, dass die einzelnen Fachrichtungen und auch der Pflege- und Therapiebereich miteinander interagieren und sich austauschen und nicht nur nebeneinander existieren. Auch dies ist ein wesentlicher Punkt innerhalb der ANIM, welcher erarbeitet werden soll.

    Ein wichtiges Thema wird auch Corona sein. Wenn das Coronavirus das Nervensystem befällt, wird eine Vielzahl neurologischer Manifestationen beobachtet. Welche COVID-assoziierten Störungen wie etwa Verlust des Geruchssinns werden diskutiert?

    Prof. Vatter: Ein wesentlicher Gesichtspunkt scheint ja das sogenannte Long-COVID-Syndrom mit unterschiedlichen neuropsychologischen Aspekten zu sein. Dies ist allerdings mit Sicherheit nichts, was im Zentrum der NeuroIntensivmedizin steht, sondern erst im weiteren Verlauf auftritt und vermutlich – auch aufgrund der großen Anzahl Betroffener – eine soziologische Bedeutung erhalten wird.

    Der Einfluss von demographischem Wandel und Umweltfaktoren auf die Anzahl der Patienten, die neurointensivmedizinisch zu versorgen sind, spielt eine immer größere Rolle. Welche Konzepte werden diskutiert, die Versorgungsstrukturen nachhaltig zu optimieren?

    Prof. Vatter: Der zentrale Punkt des demographischen Wandels ist vor allem das Älterwerden der Bevölkerung. Dementsprechend ist mit einer immer größeren Anzahl von Schlaganfallpatienten zu rechnen, die entsprechend behandelt werden müssen. Zudem sind die intensivmedizinischen Herausforderungen auch bei älteren Schädel-Hirn-Trauma Patienten und allen anderen Erkrankungen erheblich größer. Es geht um die Mischung einer flächendeckenden qualitativ hochwertigen Versorgung von relativ häufigen Erkrankungen, wie dem Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma, und einer hoch spezialisierten Behandlung von aneurysmatischen Subarachnoidalblutungen oder Gefäßmalformationen, die einfach aufgrund der Menge nur an wenigen Zentren durchgeführt werden können, die mit ihrer Fallzahl eine ausreichende Expertise haben. Dies soll durch neurovaskuläre Netzwerke und neurovaskuläre Spitzenzentren aufgefangen werden, die miteinander interagieren und so eine räumliche Versorgung auf hohem Niveau ermöglichen.

    Inwieweit könnten virtuelle Schulungsmaßnahmen und Simulationstrainings geeignet sein, eine neurointensivmedizinische Versorgung auf hohem Niveau zu unterstützen?

    Prof. Vatter: Virtuelle Konferenzen haben sicherlich den Austausch vereinfacht, weil es leichter geworden ist, sich – zumindest virtuell – zu treffen. Aber bei virtuellen Schulungsmaßnahmen muss ich gestehen, dass ich eher etwas skeptisch bin, weil sie die Interaktion nicht unbedingt fördern. Eine Maßnahme, die die Qualität der neuro-intensivmedizinischen Versorgung in einem gewissen Rahmen verbessert, ist sicherlich eine Tele-Radiologie. Aber bei einer Tele-Neurologie oder der klinischen Beurteilung von Patienten mittels Videoübertragung bin ich ein wenig skeptisch. Dies ist allerdings lediglich eine persönliche Einschätzung und diese Verfahren sind bisher ja auch nicht flächendeckend verfügbar.

    Das Präsidentensymposium, das traditionell thematisch frei vom Kongresspräsidenten gestaltet wird, ist wieder ein besonderes Kongress-Highlight…

    Prof. Vatter: Das Präsidentensymposium beschäftigt sich vor allem mit der Spezifität der NeuroIntensivmedizin und ich freue mich besonders darüber, herausragende Vertreter der internistischen und anästhesiologischen Intensivmedizin, der Schlaganfallmedizin und jeweils einen Vertreter der deutschen NeuroIntensivmedizin und der internationalen Intensivmedizin auf eine Bühne zu bekommen. Ich hoffe, dass nach den Impulsreferaten, die die jeweilige Sicht der Fachdisziplin darstellt, eine breite Diskussion stattfinden wird.

    Von der präklinischen Notfallversorgung bis zu den ersten Reha-Maßnahmen gibt es ein großes Fort- und Weiterbildungsangebot. Inwieweit ist der medizinische und wissenschaftliche Nachwuchs mit eingebunden?

    Prof. Vatter: Der medizinisch-wissenschaftliche Nachwuchs ist schon allein deswegen eingebunden, weil es eine große Zahl, nämlich über 100 Abstracts von verschiedenen Kollegen und Kolleginnen gab, die neben ihren Arbeiten, ihren Erkenntnissen und ihren aktuellen Themen auch ihre speziellen Fälle präsentieren werden. Weiterhin ist ganz besonders schön an dieser ANIM, dass sie wieder in Präsenz stattfinden kann, sodass ein reger Austausch stattfinden kann, der naturgemäß in Präsenz erheblich einfacher ist als in virtuellen Konferenzen.

    Herzlichen Dank für das Interview!


    More information:

    https://anim.de/ Hier finden Sie weiterführende Informationen und das komplette Programm zur ANIM 2023


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    Prof. Dr. med. Hartmut Vatter, Kongress-Präsident der ANIM 2023
    Prof. Dr. med. Hartmut Vatter, Kongress-Präsident der ANIM 2023

    Universitätsklinikum Bonn


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Scientific conferences
    German


     

    Prof. Dr. med. Hartmut Vatter, Kongress-Präsident der ANIM 2023


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