Warum nimmt die Insektenvielfalt hierzulande ab und was lässt sich dagegen tun? Dieser Frage sind acht wissenschaftliche Institutionen vier Jahre lang im Forschungsprojekt DINA (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen) nachgegangen. Koordiniert wurde das Projekt vom NABU. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) hat verschiedene Raumanalysen beigetragen. Erkenntnisse und Empfehlungen, die sich daraus ableiten lassen, sind in einen Policy Brief eingeflossen.
Bereits im Jahr 2017 haben Studien belegt, dass die Insektenvielfalt in deutschen Naturschutzgebieten* in den vergangenen 30 Jahren dramatisch abgenommen hat. Doch bisher fehlte es an Erkenntnissen zu den konkreten Ursachen dieses Insektenschwundes und damit auch an Daten, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und eine Trendumkehr zu erreichen.
Im Projekt DINA haben die Partner nun die bislang umfangreichste Datenbasis zur Anzahl und Vielfalt fliegender Insekten in ausgewählten Schutzgebieten in Deutschland geschaffen. Auch wesentliche Treiber des Biodiversitätsverlustes wurden untersucht – etwa negative Umwelteinflüsse durch den Einsatz von Pestiziden oder die Zerstörung von Lebensräumen.
Die Untersuchungen machen deutlich, dass selbst in Naturschutzgebieten und in den EU-rechtlich geschützten Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebieten Insekten mit Pestiziden belastet sind. Die Gifte nehmen sie auf Flächen außerhalb der Schutzgebiete auf, die sie durch ihren hohen Aktivitätsradius erreichen. Landwirtschaftliche Flächen, die an Schutzgebiete angrenzen, haben somit einen ebenso starken Einfluss auf die darin lebenden Insektenbestände und die Pflanzenwelt wie Ackerflächen innerhalb von Schutzgebieten.
„Unsere Raumanalysen haben gezeigt, dass eine Vielzahl von Ackerflächen mitten in Naturschutzgebieten liegt. Zudem befinden sich tausende Quadratkilometer intensiv genutzter Flächen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Schutzgebieten. Auf einer Länge von mehr als 11.000 Kilometern grenzen Naturschutz¬gebiete direkt an Ackerflächen, bei den FFH-Gebieten sind es sogar 21.100 Kilometer – eine Strecke länger als die Luftlinie zwischen Nord- und Südpol. Dies macht den Bedarf an Pufferzonen deutlich“, erläutert Lisa Eichler vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR).
So lautet eine Empfehlung des Projektverbundes auch, die Kontaktlinie von Schutzgebieten und intensiv genutzten Ackerflächen zu vermindern. Bei Risikoanalysen und der Landschaftsplanung sollten die Randeffekte, also die Einflüsse der umliegenden Landschaft auf die Naturschutzareale, berücksichtigt werden. Dabei müsse in die Betrachtung die Landschaft in einem Radius von mindestens zwei Kilometern einbezogen werden, um Gefahren für Insekten und Pflanzenwelt etwa durch die Abdrift von Pestiziden oder das Eintragen dieser Gifte durch die Insekten selbst zu minimieren.
Generell, so die DINA-Empfehlung, muss bei der Planung von Schutzgebieten der Erhalt der biologischen Vielfalt an erster Stelle stehen und die gesetzlichen Grundlagen sollten entsprechend ausgestaltet werden. Zugleich betonen die DINA-Projektpartner, dass ein Verlust von Ackerflächen in Naturschutz- und FFH-Gebieten vermieden werden sollte. Vielmehr müssten diese Flächen Raum für artenreiche Ackerbiotope bieten. Diese Biotoptypen sind wichtig für den Erhalt der Insektenvielfalt, aber selbst stark gefährdet oder gar von vollständiger Vernichtung bedroht.
Der Projektverbund empfiehlt darüber hinaus, die Datengrundlage etwa durch ein bundesweites Monitoring der biologischen Vielfalt zu erweitern, um die Risiken für Insektenbestände besser abschätzen zu können. Wichtig sei es dabei, das Monitoring so auszugestalten, dass sich Gefahren auf lokaler Ebene erkennen und Maßnahmen entsprechend prüfen lassen.
Die Arbeiten im Projekt DINA haben auch deutlich gemacht: Der Schutz der biologischen Vielfalt lässt sich nur erreichen, wenn alle relevanten Akteur*innen aus Landschaftspflege, Landwirtschaft, Naturschutz, Politik und Zivilgesellschaft beim Schutz der Insektenvielfalt zusammenwirken. Wichtig ist darüber hinaus eine passende Förderkulisse und ebenso, dass Biodiversität als wichtiger Bestandteil der Bildung für nachhaltige Entwicklung etabliert wird.
„Das Forschungsprojekt leistet damit einen wichtigen Beitrag bei der Ausgestaltung politischer Rahmenbedingungen und ist richtungsweisend auch für die künftige Erforschung der Pflanzen- und Insektenwelt“, ist sich Prof. Dr. Gerlind Lehmann, DINA-Projektleiterin beim NABU, sicher.
* Begriffserläuterung
Naturschutzgebiete (NSG) sind rechtsverbindlich festgesetzte Gebiete, in denen ein besonderer Schutz von Natur und Landschaft in ihrer Ganzheit oder in einzelnen Teilen erforderlich ist. Es handelt sich um eine Schutzkategorie des gesetzlichen gebietsbezogenen Naturschutzes, der im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) geregelt ist. Naturschutzgebiete sind im Rahmen der Bauleitplanung verbindlich und müssen berücksichtigt werden. Die Schutzgebietskategorie gibt es seit 1920.
FFH-Gebiete werden zum Schutz von Tieren (Fauna), Pflanzen (Flora) und Lebensraumtypen (Habitat) nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ausgewiesen. Sie sind ein Teil des Natura 2000-Netzwerkes, eines länderübergreifenden Netzes von Schutzgebieten, das die biologische Vielfalt in Europa schützen und erhalten soll. Die FFH-Richtlinie wurde 1992 durch die europäischen Staaten beschlossen und im Jahr 2013 aktualisiert.
Beide Schutzgebietskategorien können sich räumlich überlagern oder sind in wenigen Einzelfällen sogar deckungsgleich.
Hintergrund
Das Projekt DINA (Diversity of Insects in Nature protected Areas) wurde von Mai 2019 bis April 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einer Gesamtsumme von 4,6 Millionen Euro gefördert. An bundesweit 21 repräsentativ ausgewählten Standorten wurden die Insektenvielfalt und deren Belastung aus den umliegenden landwirtschaftlich genutzten Flächen erfasst. Begleitend wurden Befragungen und Fokusgruppendiskussionen mit Landwirtinnen und Landwirten durchgeführt, um die Rahmenbedingungen für die Akzeptanz von Maßnahmen für den Insektenschutz zu untersuchen. An drei DINA-Standorten fanden vertiefende Dialogworkshops mit Akteurinnen und Akteuren aus Naturschutz und Landwirtschaft statt. Der kontinuierliche Austausch dient sowohl der Vernetzung zwischen den Akteuren als auch der Konsensfindung für Ziele und Maßnahmen für einen integrierten Naturschutz.
DINA-Projektpartner:
- Entomologischer Verein Krefeld e. V. (EVK)
- Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Internationales Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE)
- ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung Frankfurt/Main
- Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB)
- Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR)
- Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU)
- Rheinland-Pfälzische Technische Universität (RPTU) Kaiserslautern-Landau, AG Ökotoxikologie und Umwelt
- Universität Kassel
Lisa Eichler, E-Mail: L.Eichler@ioer.de
Eichler, Lisa; Meinel, Gotthard; Hörren, Thomas; Sorg, Martin; Köthe, Sebastian; Lehmann, Gerlind; Mühlethaler, Roland: Raumanalyse der ackerbaulichen Flächennutzung in Naturschutz- und FFH-Gebieten in Deutschland. Ein Beitrag zur Minderung von Biodiversitätsschäden in Schutzgebieten. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 54 (2022) 04, S. 30-36.
https://doi.org/10.1399/NuL.2022.04.03
Weitere Publikationen siehe Liste im DINA-Policy-Brief
https://www.dina-insektenforschung.de/_files/ugd/27d7a7_5d33426ad25e4357aa2e29a5... - Link zum DINA-Policy-Brief zu zentralen Projektergebnissen und Empfehlungen
https://storymaps.arcgis.com/stories/4e24dc33f079481385de35b72587186e - Online-StoryMap zu den DINA-Projektergebnissen
https://www.dina-insektenforschung.de/ - Infomationen zum Projekt DINA
Selbst in Naturschutzgebieten sind Insekten durch Pestizide und andere Umweltrisiken bedroht. – Wie ...
Heike Hensel
H. Hensel/IÖR-Media
Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
Environment / ecology, Geosciences, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Transfer of Science or Research
German
Selbst in Naturschutzgebieten sind Insekten durch Pestizide und andere Umweltrisiken bedroht. – Wie ...
Heike Hensel
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