idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
05/12/2023 12:12

Quasi-Teilchen in der Natur: zwei Welten treffen sich endlich

Dipl.-Ing. Mario Steinebach Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Technische Universität Chemnitz

    Forscherinnen und Forscher der Universität Leipzig, der TU Chemnitz und der Universität Augsburg berichten in „Chemical Science“, dem Flagship-Journal der Royal Society of Chemistry, von einem Phänomen der Festkörperphysik, das sie in einem biologischen System entdeckten

    In der Festkörperphysik führen energetische Anregungen, zum Beispiel Licht-Absorption an Molekül-Kristallen, zu Verzerrungen der räumlichen Struktur oder zu einer Verschiebung von elektrischer Ladung. Diese angeregten Zustände werden oftmals als sogenannte „Quasi-Teilchen“ beschrieben. Ein „Polaron“ ist zum Beispiel eine positive Ladung mit samt seiner Umgebung, in der sich negative Ladungen formiert haben. Wie aber ist das bei biologischen Photorezeptoren?

    Die Funktion von Photorezeptoren wird in der Photobiologie erforscht. Diese enthalten immer ein Pigment, das das Licht absorbiert. Wie funktioniert das lichtempfindliche Rezeptormolekül Rhodopsin im Auge? Wieso können Bakterien in Richtung einer Lichtquelle wandern? Woher wissen Zugvögel ihre gewünschte Flugrichtung so genau? Die Photobiologie beantwortet diese Fragen mit Konzepten der theoretischen organischen Chemie. Das Rhodopsin enthält als Pigment Vitamin A (Retinal), in dem eine C=C-Doppelbindung photochemisch gedreht wird. Flavin-Proteine, so vermutet man, erlauben den Augen der Zugvögel unter Belichtung chemische Prozesse zu starten, die Magnetfeld-abhängig sind und als „Radikalpaar-Mechanismus“ bezeichnet werden.

    Und was machen Pflanzen? Deren „Auge“ ist ein Photorezeptor namens Phytochrom. Er teilt den Pflanzen und Cyanobakterien mit, wie hell es ist und ob sich Photosynthese lohnt. Dieses Photorezeptor-Protein enthält einen offenkettigen Tetrapyrrol-Kofaktor als Pigment, dass das Licht absorbiert. Auch beim Phytochrom erkannte man zuerst, dass Licht eine C=C-Doppelbindung umdreht, wodurch eine Kaskade von kleinen Bewegungen in der Umgebung ausgelöst wird. Das sind alles Begriffe aus der organischen Chemie, die in die Strukturbiologie aufgenommen wurden.

    Eine neue Studie, deren Ergebnisse nun in der Zeitschrift „Chemical Science“ veröffentlicht wurden, untersuchte diesen durch Licht ausgelösten Schaltprozess in einem cyanbakteriellen Phytochrom. Mit Hilfe einer besonderen neuen Probenpräparationsmethode, von Doktorandin Lisa Köhler (Universität Leipzig) eingeführt, konnten auch die Zwischenschritte des Reaktionsverlaufs beobachtet werden. Im Arbeitskreis von Prof. Dr. Jörg Matysik (Institut für Analytische Chemie der Universität Leipzig) konnte auf diese Weise mit der Methode der Kernspinresonanz (NMR) von allen Reaktionsschritten detaillierte Daten aufgenommen werden. „Tatsächlich zeigen die Daten eine C=C-Doppelbindungsisomerisierung. Die führt zu einer Störung des Doppelbindungssystems, einem positiv geladenen Defekt, der sich eigentlich entlang des Doppelbindungssystems bewegen können sollte“, sagt Matysik. Durch seine Ladung ziehe er aber negative Ladung an und wird so auf einer bestimmten Stelle fixiert. Hier liegt also ein Polaron, wie man es aus der Festkörper-Physik kennt, und es ist „selftrapped“ (lokalisiert).

    Prof. Dr. Georgeta Salvan von der Professur Halbleiterphysik der Technischen Universität Chemnitz, die an der Interpretation der Daten beteiligt war, erläutert: „Die molekulare Struktur des offenkettigen Tetrapyrrols ähnelt einigen Molekülen, wie dem α-Sexithiophen, die als organische Halbleiter verwendet werden. Daher konnte man schon vermuten, dass auch in diesem Photorezeptor ähnliche Phänomene beobachtet werden können. Es stellt sich uns die Frage, ob Phänomene der Festkörperphysik in biologischen Systemen nicht häufiger vorkommen, aber nicht gefunden werden, weil man nicht nach ihnen sucht“.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Georgeta Salvan, Professur Halbleiterphysik (TU Chemnitz), Telefon +49 (0)371 531-33137, E-Mail salvan@physik.tu-chemnitz.de, und Prof. Dr. Jörg Matysik, Institut für Analytische Chemie (Universität Leipzig), Telefon +49 (0)341 9736112, E-Mail joerg.matysik@uni-leipzig.de


    Original publication:

    Lisa Köhler, Wolfgang Gärtner, Georgeta Salvan, Jörg Matysik, Christian Wiebeler, Chen Song; “Photocycle of a cyanobacteriochrome: Charge defect on ring C impairs conjugation in chromophore”; Chemical Science, online (2023).; DOI: 10.1039/D3SC00636K
    https://pubs.rsc.org/en/content/articlepdf/2023/SC/D3SC00636K?page=search


    Images

    Prof. Dr. Georgeta Salvan, Professur Halbleiterphysik (TU Chemnitz), und Prof. Dr. Jörg Matysik, Institut für Analytische Chemie (Universität Leipzig), waren an der Studie beteiligt.
    Prof. Dr. Georgeta Salvan, Professur Halbleiterphysik (TU Chemnitz), und Prof. Dr. Jörg Matysik, Ins ...
    Fotografik: Jacob Müller


    Criteria of this press release:
    Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students
    Biology, Chemistry, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Prof. Dr. Georgeta Salvan, Professur Halbleiterphysik (TU Chemnitz), und Prof. Dr. Jörg Matysik, Institut für Analytische Chemie (Universität Leipzig), waren an der Studie beteiligt.


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).