Experiment zur Konflikterfahrung und - verarbeitung bei Gehorsam gegenüber Autorität: Eine Forschungsgruppe aus der Psychologie mit Mitgliedern der Universitäten Regensburg, Göttingen und Würzburg untersuchte das Konflikterleben von gehorsamen Versuchspersonen mit Hilfe der so genannten „Käferzerstörungsaufgabe“.
Fast alle Menschen lehnen Gewalt gegen andere Menschen oder aber andere Lebewesen ab. Gleichzeitig stellt der Umstand, dass im Kontext von Gehorsamssituationen Versuchspersonen zu eben solchen Taten gedrängt werden, die moderne psychologische Forschung vor eine kaum lösbare ethische Herausforderung. Eine Forschungsgruppe der Psychologie mit Mitgliedern aus Regensburg, Göttingen und Würzburg stellte sich dieser Herausforderung und untersuchte das Konflikterleben von gehorsamen Versuchspersonen mit Hilfe der so genannten „Käferzerstörungsaufgabe“.
Ein Experimentator wies dabei die Teilnehmer*innen an, Käfer in einer manipulierten elektrischen Kaffeemühle zu zermahlen. Selbstverständlich kam kein Käfer tatsächlich zu Schaden. Die Forschungsgruppe baute dabei auf den Befunden anderer Forschender auf, die zeigten, dass Menschen bei Gewalt gegenüber Tieren und insbesondere Insekten deutlich weniger Skrupel haben als bei Gewalt gegenüber anderen Menschen. Dennoch löst das sinnlose Töten von Käfern bei vielen Menschen einen (vergleichsweise kleineren) moralischen Konflikt aus.
Gehorsam und Zerstörung
In der Psychologie wird Gehorsam als Bereitschaft verstanden, den Forderungen einer Autoritätsperson selbst dann nachzukommen, wenn diese mit den eigenen Wertvorstellungen in Konflikt stehen. So zeigte der Sozialpsychologen Stanley Milgram in den 1960er Jahren, dass eine große Mehrheit von Versuchspersonen dazu bereit war, einer anderen Person (vermeintlich) lebensbedrohliche Elektroschocks zu verabreichen, solange Sie auf Anweisung einer legitimen Autorität handelten. Selbstverständlich kam dabei niemand tatsächlich zu schaden. Doch diese schwer nachzuvollziehende Spannung zwischen dem Konflikterleben vieler Versuchspersonen auf der einen und dem Nachgeben gegenüber der Autorität auf der anderen macht Gehorsam zu einem der faszinierendsten Phänomene der Psychologie.
Um das Gehorsam zugrunde liegenden Konflikterleben sichtbar zu machen, umfassten die beiden Experimente der Forschungsgruppe neben der „Käferzerstörungsaufgabe“ je zwei weitere Zerstörungsaufgaben, in denen andere Objekte (u. a. Kaffeebohnen) zerstört werden sollten. Zudem untersuchten die Experimente jeweils eine Experimentalgruppe und eine Kontrollgruppe: In der Experimentalgruppe wurden die Versuchspersonen angewiesen, die Objekte ebenso wie die Käfer in der Kaffeemühle zu „zerstören“; in der Kontrollgruppe wurden die Versuchspersonen immer wieder daran erinnert, dass die finale Entscheidung (zerstören oder nicht zerstören?) bei ihnen selbst lag. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr Teilnehmer*innen in der Experimentalbedingung dazu bereit waren, die Käfer (vermeintlich) zu töten. Zudem berichteten alle Versuchspersonen mehr Aufregung und Unbehagen nach der Käferzerstörungsaufgabe relativ zu den anderen.
Konfliktlösung
In Experiment 2 nahmen die Forschenden auch den Konfliktlösungsprozess unter die Lupe. Als physiologisches Maß für Aufgeregtheit wurde die Hautleitfähigkeit der Versuchspersonen gemessen. Dabei zeigten gehorsame Teilnehmer*innen nach der vermeintlichen Käferzerstörung einen Anstieg der Hautleitfähigkeit; ungehorsamen Versuchspersonen hingegen zeigten keinen solchen Anstieg. Zudem wurde das Kontroll- und Verantwortungsgefühl der Versuchspersonen hinsichtlich ihrer Taten abgefragt. Im Widerspruch zu einer der prominentesten Gehorsamstheorien der Psychologie bekannten sich die allermeisten Gehorsamen zu ihrer Verantwortung für den vermeintlichen Tod der Käfer. Damit konnte Verantwortungsdiffusion bzw. -unklarheit als Erklärung für Gehorsam ausgeschlossen werden.
Take-Home-Messages
Auch wenn die Frage, warum Menschen gehorsam sind, mit den Experimenten noch nicht geklärt werden konnte, boten die Forschenden eine neue Erklärung an. Diese basiert auf der Hypothese, dass Menschen dazu neigen mit anderen zusammenarbeiten, selbst wenn sie dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im Kontext der Käferzerstörungsaufgabe ringen die Versuchspersonen daher mit einem doppelten Pflichtgefühl: Einerseits fühlen sie sich moralisch den Käfern verpflichtet; andererseits wollen sie ihre Zusagen an den Experimentator nicht enttäuschen. Wies der Experimentator in der Kontrollgruppe auf die individuelle Entscheidung der Versuchsperson hin, so schien die moralische Verpflichtung gegenüber den Käfern zu dominieren und die meisten Versuchspersonen verweigerten die Gefolgschaft. Tat er das nicht, so dominiert das Pflichtgefühl gegenüber dem Experimentator und die meisten Versuchspersonen zerstören widerwillig die Käfer.
Die Forschenden formulierten auch zwei Take-Home-Messages für ihre Leser*innen: Menschen scheinen sich einer anfänglichen Zustimmung gegenüber selbst dann verpflichtet zu fühlen, wenn deren Konsequenzen zulasten ihre eigenen Interessen (wenn nicht sogar ihres Wohlbefindens) gehen. Zweitens sollte man das Ausbleiben von Verweigerung bei anderen nicht mit einem Ausdruck von deren individuellen „freien Willen" verwechseln.
Dr. Felix Götz
Institut für Psychologie
Universität Regensburg
Telefon: +49 941 943 2233
E-Mail: Felix-Johannes.Goetz@ur.de
Götz, F.J., Mitschke, V. & Eder, A.B. Conflict experience and resolution underlying obedience to authority. Sci Rep 13, 11161 (2023). https://doi.org/10.1038/s41598-023-38067-z
https://www.uni-regensburg.de/humanwissenschaften/psychologie-dreisbach/staff/dr...
Den Käfer mahlen? Oder doch nicht?
Grafik: Dr. Felix Götz
Universität Regensburg
Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
Biology, Media and communication sciences, Medicine, Psychology, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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