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07/24/2023 13:59

Älteste in ihrer Form erhaltene Mikroorganismen gefunden

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Weltweit erstmals konnten Forschende die Form von Mikroorganismen aus der Frühzeit der Evolution vor 1,5 Milliarden Jahren studieren. Sie sind von herausragender Bedeutung für die Entwicklung des frühen Lebens

    Forschende der TU Berlin, der Akademie der Wissenschaften der Ukraine, des Museums für Naturkunde Berlin sowie des Naturhistorischen Museums in Luxemburg haben auf Mineralien aus der Volyn-Quarzmine in der Nähe der Stadt Shitomyr (Ukraine) die bis jetzt ältesten, dreidimensional erhaltenen Mikrofossilien auf der Erde gefunden. Ihre ursprüngliche Form wurde dabei durch eine mikrometerdünne Schicht aus Aluminium-Silikat erhalten, die sich nur aufgrund einer besonderen geologischen Situation bilden konnte. Die meisten der bisherigen Nachweise von urzeitlichen Mikroorganismen basierten auf indirekten Methoden wie charakteristischen Abdrücken im Gestein oder dem Nachweis von biologischen Abbauprodukten.

    „Es ist faszinierend, dass wir hier zum ersten Mal die Fossilien von Ur-Mikroorganismen unter dem Rasterelektronenmikroskop studieren können. Eigentlich wollten wir Beryll und Topas aus der Mine untersuchen. Doch was wir jetzt gefunden haben, ist viel wertvoller als alle Edelsteine“, erklärt der emeritierte Professor Dr. Gerhard Franz vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Berlin. Denn die Funde seien die ersten fossilisierten Mikroorganismen, die aus der Zeit der „boring billion“ stammen, also der ersten, scheinbar langweiligen Milliarde von Jahren vor der sogenannten Präkambischen Revolution. „Erst dann, vor etwa 600 Millionen Jahren, hat die Evolution Skelette aus Kalziumkarbonat oder Phosphat erfunden; es entstanden Wirbellose wie Muscheln, Korallen oder Schnecken und dann die Wirbeltiere mit Rückgrat. Erst diese Biomineralisation machte echte Fossilien mit erhaltungsfähigen Skeletten möglich.“

    Die boring billion hatte ihr Geheimnis bisher nicht preisgegeben

    Weil die Lebewesen vor mehr als 600 Millionen Jahren also keine Skelette hatten, konnten sie sich eigentlich auch nicht in ihrer Form erhalten – weswegen man sehr wenig über diese Zeit weiß. Meist nur in Sedimentgesteinen, also ehemaligen Ablagerungen auf Meeresböden, haben sich Kohlenstoffreste der Mikroorganismen erhalten, die von den Millionen Jahre langen mechanischen Verformungen zerstört wurden. Und nur weil Lebensformen das leichtere Kohlenstoffisotop 12C der schwereren Variante 13C vorziehen, konnte man überhaupt mutmaßen, dass es sich um ehemals biologisches Material handelt. Erst vor kurzem haben Forschende in Gesteinen in Australien erstmals biologische Verbindungen wie Cholesterin gefunden, die 1,5 Milliarden Jahre alt sind und direkt auf Ur-Lebewesen schließen lassen. In anderen Gesteinen haben die frühen Mikroorganismen nur ihre schwachen Abdrücke hinterlassen, anhand denen sich schwer ihre Form erkennen lässt.

    Die ersten Bilder der Ur-Mikroorganismen: Fäden, Kugeln und Tentakeln

    „Was wir nun unter dem Elektronenmikroskop sehen, sind meist faserige Strukturen. Entweder dünne Filamente, die sich verzweigen, oder dicke, die kleine Ausstülpungen oder Dellen aufweisen“, berichtet Franz. Die Dicke der Objekte variiert zwischen 10 und 200 Mikrometern, die Länge beträgt bis zu mehrere Millimeter, teilweise mit einem dünnen Kanal in der Mitte. Man kann die Ur-Mikroorganismen also auch schon mit bloßem Auge erkennen. Besonders spannend: Die Forschenden haben auch einige wenige, bisher unbekannte Formen von Mikroorganismen gefunden. Sie wiesen schalen- oder kugelförmige Strukturen auf oder verzweigte, tentakel-artige Äste.

    Manche der fossilisierten Organismen ähneln Pilzen

    „Über die Analyse der Kohlenstoffisotope 12C und 13C konnten auch wir den Nachweis führen, dass es sich bei unseren Funden um Lebewesen gehandelt haben muss“, erklärt Gerhard Franz weiter. Die Altersbestimmung erfolgte über eine spezielle Isotopenmethode und ergab ein Mindestalter für die Fossilien von 1,5 Milliarden Jahren. Außerdem haben die Forschenden in bestimmten fadenförmigen Objekten mit Hilfe von Infrarotspektroskopie den Stoff Chitosan nachgewiesen sowie die Elemente Wismut und Tellur mit dem Elektronenmikroskop. „Dies deutet alles auf einen pilzartigen Organismus hin“, sagt Franz. Das träfe aber nur auf einen Teil der Funde zu. „Von den anderen fossilisierten Mikroorganismen können wir zumindest vermuten, dass es sich um Ein- oder Mehrzeller mit ausgeprägten Zellstrukturen gehandelt haben muss.“ Wahrscheinlich lebten diese mit den Pilzen in einem gemeinsamen Ökosystem.

    Unterirdisches Leben, konserviert von einem Geysir

    Der Fundort der fossilierten Ur-Mikroorganismen auf Granitgestein in einer Quarz-Mine lässt sowohl auf ihre Lebensweise wie auch die Gründe für ihren außergewöhnlich guten Erhaltungszustand schließen. „Auch heute leben Mikroorganismen bis zu drei Kilometer tief in der Erdkruste“, erklärt Franz. Sie leben dort – ohne Sonnenlicht – von Stoffen wie Phosphor, Stickstoff oder Kohlendioxid, die teils in Wasser gelöst von oben durch Klüfte und Spalte nach unten wandern oder dort schon vorhanden sind. Die Energie für ihren Stoffwechsel beziehen die Mikroorganismen aus chemischen Prozessen an Mineralen. In den Granitkavernen der Volyn-Quarzmine waren nun offenbar schon vor 1,5 Milliarden Jahren solche Kolonien von Mikroorganismen nahe an der Erdoberfläche vorhanden. Und weil Granit viel Fluor enthält, bildete sich im Zusammenspiel mit Wasser und Hitze im Untergrund stark ätzende Flusssäure, die viel Aluminium und Silizium gelöst hat. Wie bei einem Geysir schoss diese Lösung von Zeit zu Zeit in die Kavernen und überzog die Mikroorganismen mit einer mikrometerdünnen Schicht aus Aluminium-Silikat. „Natürlich waren die Mikroorganismen danach tot – aber eben auch perfekt konserviert“, sagt Gerhard Franz.

    Die Geschichte des Fundes

    „Die Geschichte unseres Fundes ist wie so oft in der Wissenschaft von Zufällen geprägt“, berichtet er. „Eigentlich hat mein Vorgänger, Professor Klaus Langer, die Zusammenarbeit mit der Ukraine schon zur Zeit der Perestroika vor allem deshalb angestoßen, weil er die Forschenden in der noch jungen, unabhängigen Ukraine unterstützen wollte. Da kamen der Arbeitsgruppe die interessanten Edelsteinfunde in der Volyn-Quarzmine gerade recht.“ Doch irgendwann wunderte sich der neue Lehrstuhlinhaber Gerhard Franz über komische Fasern auf dem untersuchten Beryll unter dem Elektronenmikroskop. Über die Jahre und mit Hilfe von Gesteinsproben aus Museen kam so die Entdeckung ins Rollen. „Dennoch stehen wir heute erst am Anfang. Weitere Untersuchungen und gegebenenfalls neue Funde werden uns noch mehr über die Ur-Mikroorganismen erzählen können, vor allem auch über die bisher unbekannten Formen auf den Kontinenten, und nicht nur im Meer“, sagt Franz. Dies könne neue Einsichten zur frühen Entwicklung des Lebens auf der Erde, aber vielleicht auch zur Entwicklung des Lebens unter extremen Bedingungen auf anderen Planeten liefern.

    Zusätzliche Informationen

    Highlight paper
    The Volyn biota (Ukraine) – indications of 1.5 Gyr old eukaryotes in 3D preservation, a spotlight on the “boring billion”
    Gerhard Franz, Vladimir Khomenko, Peter Lyckberg, Vsevolod Chournousenko, Ulrich Struck, Ulrich Gernert, and Jörg Nissen
    Biogeosciences, 20, 1901–1924, https://doi.org/10.5194/bg-20-1901-2023 , 2023

    Fossilization of Precambrian microfossils in the Volyn pegmatite, Ukraine
    Gerhard Franz, Peter Lyckberg, Vladimir Khomenko, Vsevolod Chournousenko, Hans-Martin Schulz, Nicolaj Mahlstedt, Richard Wirth, Johannes Glodny, Ulrich Gernert, and Jörg Nissen
    Biogeosciences, 19, 1795–1811, https://doi.org/10.5194/bg-19-1795-2022 , 2022

    Link zur Pressemitteilung mit Bildern: https://www.tu.berlin/go230134/

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:

    Prof. Dr. i.R. Gerhard Franz
    Technische Universität Berlin
    Institut für Angewandte Geowissenschaften
    Fachgebiet Angewandte Geochemie
    E-Mail: gerhard.franz@tu-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Chemistry, Geosciences
    transregional, national
    Research results
    German


     

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