Wissenschaftler:innen am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien haben eine neue Methode entwickelt, die es ermöglicht, wichtige Laktat-Transporter, die mit Krebs und zahlreichen anderen Krankheiten in Verbindung gebracht werden, gezielt zu hemmen. Dies könnte insbesondere für die Behandlung von Krebs einen neuen Ansatzpunkt bieten. Die Studie wurde jetzt in Cell Chemical Biology veröffentlicht.
Transporterproteine, darunter die größte Gruppe, die Familie der Solute Carrier Transporter (SlCs), sind jene Proteine, die zumeist in der Zellmembran liegen und über die die Aufnahme und Abgabe von Nährstoffen wie Aminosäuren, Zuckern und Nukleotiden einer Zelle abgewickelt wird. Damit zeichnen sie sich auch für den Zellstoffwechsel mitverantwortlich und spielen für Gesundheit also auch Krankheit eine wesentliche Rolle. Trotz ihrer bedeutenden physiologischen Rolle und obwohl sie als attraktive therapeutische Angriffspunkte gelten, sind die meisten SLCs pharmakologisch noch nicht ausreichend erforscht. Genau daran arbeiten zahlreiche Wissenschaftler:innen der Forschungsgruppe von Giulio Superti-Furga, Wissenschaftlicher Direktor am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin sowie Professor an der Medizinischen Universität Wien. Sie entwickelten nun eine Methode, um die zentralen Laktat-Transporter SLC16A1 und SLC16A3 gezielt zu hemmen, die im Zusammenhang mit Krebs und weiteren Erkrankungen stehen.
Laktat, ein Endprodukt der Glykolyse, ist hauptsächlich als Stoffwechselabfallprodukt bekannt, wird jedoch auch als Energiequelle genutzt. So wurde gezeigt, dass in vielen Geweben stark glykolytische Zellen Laktat abgeben, das dann von benachbarten Zellen aufgenommen und als Energiequelle genutzt wird. Dies wurde beispielsweise in der Skelettmuskulatur, im Gehirn, in Hodenzellen oder in der Tumormikroumgebung beobachtet. Laktat wird vorwiegend durch Gene der SLC16 Familie durch die Zellmembran transportiert. Von den vier bedeutenden Laktat-Transportern nehmen die Gene SLC16A1 (MCT1) und SLC16A3 (MCT4) eine zentrale Rolle ein.
Studienleiter Giulio Superti-Furga erklärt: „Seit mehr als einem Jahrhundert wissen wir, dass Tumorzellen dazu neigen, stark glykolytisch zu sein, und dass die Laktatkonzentration in Tumoren extreme Werte erreichen kann. Aber erst in letzter Zeit beginnen wir zu verstehen, welche Folgen dies hat. So sind die hohen Laktatwerte beispielsweise für die Unterdrückung von Immunzellen in den Tumoren oder für die Entwicklung von Resistenzen gegen medikamentöse Behandlungen verantwortlich. Laktat-Transporter spielen dabei eine Schlüsselrolle, insbesondere SLC16A1 und SLC16A3, die als die wichtigsten Laktat-Importeure und -Exporteure bekannt sind. Beide Transporter werden als vielversprechende Angriffspunkte für Medikamente angesehen".
Studienerstautor Vojtech Dvorak, PhD-Student im Labor von Superti-Furga, fügt hinzu: "Eines der größten Hindernisse für die Entwicklung neuer Medikamente, die auf SLCs abzielen, sind die häufigen funktionellen Redundanzen zwischen Transportern, die in den meisten Zellen vorhanden sind. Dies macht es sehr schwierig, die Auswirkungen eines potenziellen Wirkstoffkandidaten auf einen bestimmten Transporter zu finden und somit die Selektivität zu erzielen. In einem unserer vergangenen Studien haben wir eine synthetische Letalität zwischen SLC16A1 und SLC16A3 festgestellt, die in mehreren Zellmodellen vorhanden ist. Das heißt, die Zelle hat normalerweise beide Transporter, und wenn einer von ihnen entweder durch einen Wirkstoff gehemmt wird oder das Gen für einen von ihnen verloren geht, kann dies der andere Transporter kompensieren. Wenn beispielsweise das SLC16A1-Gen verloren geht, ist die Zelle für ihr Überleben auf SLC16A3 angewiesen und umgekehrt. Uns wurde klar, dass wir nun mehrere Zelllinien erzeugen können, die von einzelnen Laktat-Transportern abhängig sind, und mit ihnen die Suche nach hochselektiven Medikamenten beginnen können."
In der Studie, die im Fachjournal Cell Chemical Biology veröffentlicht wurde, beschreiben die Wissenschaftler:innen die Entwicklung des Testsystems, das sie Paralog-dependent isogenic cell assay oder kurz PARADISO nennen, und das sie zur Entwicklung eines hochselektiven chemischen Wirkstoffs mit der Bezeichnung slCeMM1 für SLC16A3 verwenden. Superti-Furga schlussfolgert: „Das Fehlen spezifischer zellbasierter Assays ist ein Problem für viele vielver-sprechende Arzneimittelziele, nicht nur für SLCs. Die Logik des PARADISO-Assay-Systems ist allgemein anwendbar sein und hilft dabei, neue therapeutische Ansatzpunkte zu identifizieren."
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Giulio Superti-Furga ist Wissenschaftlicher Direktor des CeMM sowie Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien. Er wurde an der Universität Zürich, bei Genentech, am IMP Wien und am EMBL Heidelberg zum Molekularbiologen ausgebildet. Er erhielt vier Förderungen des Europäischen Forschungsrates, ist Mitglied fünf wissenschaftlicher Akademien und hat mehr als 250 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. CeMM, dem er seit 2005 als Direktor vorsteht, bringt Superti-Furga, zusammen mit etwa 300 Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen, der klinischen Welt eine genomische und systemische Sicht näher, um die medizini-sche Praxis zu verbessern. Zudem trieb er einen einzigartigen Modus der Super-Kooperation voran, in dem Biologie mit Medizin, Experimente mit Computertechnologie, Entdeckung mit Translation und Wissenschaft mit Gesellschaft und Kunst verbunden werden. Zu den aktuellen Interessensgebieten zählen Möglichkeiten zur Schaffung funktioneller Ansätze in der Präzisionsmedizin und die Rolle der menschlichen Membran-Transporter in der Pathophysiologie und der Arzneimittelentdeckung. Zudem ist auch wissenschaftlicher Koordinator von „RESOLUTE“, einem Konsortium der „Innovative Medicine Initiative“, das sich der Deorphanisierung von SLC-Transportern verschreibt.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at
Die Medizinische Universität Wien ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit mehr als 6.000 Mitarbeiter:innen, 30 Universitätskliniken und zwei klinischen Instituten, 13 medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. Die Medizinische Universität Wien besitzt mit dem Josephinum auch ein medizinhistorisches Museum. www.meduniwien.ac.at
Die Studie „Paralog-dependent isogenic cell assay cascade generates
highly selective SLC16A3 inhibitors” erschien am 28. Juli 2023 im Fachjournal Cell Chemical Biology, DOI: 10.1016/j.chembiol.2023.06.029
Studienleiter Giulio Superti-Furga und Erstautor Vojtech Dvorak
Franzi Kreis
CeMM
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Medicine
transregional, national
Research results
German
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