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06/21/2004 14:11

Innovatives Sprachkonzept für die internationale Hochschule an der TU Kaiserslautern

Thomas Jung Universitätskommunikation
Technische Universität Kaiserslautern

    Die Graduate School im Fachbereich Mathematik der TU Kaiserslautern setzt mit diesem neuen Ansatz auf folgende drei wichtige Aspekte:

    · Internationalisierungskonzept
    · Neue Methode Deutsch zu lernen
    · Sprachpolitische Umsetzung

    Wie bringt man das Unmögliche in den Bereich des Möglichen? Wie bringt man 60 Anfängern aus 30 Ländern in acht Wochen alltagstaugliches Deutsch bei? Wie können sie - neben einem anspruchsvollen Studium auf Englisch - schließlich so viel Deutsch lernen, dass sie nach ein bis zwei Semestern nun auch in dieser Fremdsprache studieren können? Diese Aufgabe stellte sich mit der Einführung der internationalen Studiengänge 1997 im Fachbereich Mathematik der TU Kaiserslautern und sie erforderte radikale Neuerungen. Denn mit traditionellen Kursen dauert es bekanntlich viele hundert Kursstunden, bis ein solches Ziel erreicht wird. Gerade dieser Zeitaufwand durch die "schwere deutsche Sprache" gilt aber als Barriere vor dem Studienstandort Deutschland und die galt es durch die Einführung der neuen Studiengänge abzubauen.

    "Ein gutes Konzept für Deutsch in internationalen Programmen haben wir im Fachbereich Mathematik in den letzten Jahren entwickelt und ausgebaut", so Dr. Gunde Kurtz. Und es funktioniert: Deutsch ist eine leicht und schnell erlernbare Sprache geworden. Das Kaiserslauterer Modell macht inzwischen Schule, wird auch an anderen Hochschulen, in Graduate-Schools und Sprachenzentren, eingeführt und mit Begeisterung aufgenommen.

    Was überzeugt, ist nicht nur der Lernerfolg in Deutsch als Fremdsprache, sondern auch die "Nebenwirkungen". Denn Rahmenbedingungen wie der extrem anspruchvolle Studien- und damit enge Zeitplan, die auf den ersten Blick schier unüberwindbare Probleme darstellten, mauserten sich zu Pluspunkten: Der Deutschkurs musste sich für die ehrgeizigen neuen Programme eben sparsam in diesen dichten Zeitplan einfügen lassen. Aus der Not haben die wissenschaftlichen Mitarbeiter eine Tugend gemacht und setzen den Deutschkurs als Betreuungsinstrument ein, wodurch viele Zeitfenster doppelt genutzt werden können, weil Betreuungsaufgaben, die als Inhalte im Sprachkurs dienen, anderswo (wenn überhaupt) eigene, zusätzliche Einheiten darstellen.

    Mit der Realisierung weitergehender Betreuung ist übrigens ein zweiter wichtiger Punkt der Internationalisierungskampagne getroffen: die "Betreuungswüste Deutschland" der Vergangenheit zu überlassen. Eine klassische Win-Win-Situation: auch der Sprachkurs wird interessanter und relevanter, da die Inhalte nützlich sind. Die Inhalte wiederum können in aller Ruhe auf Deutsch bearbeitet und auch diskutiert werden und müssen nicht in Form von "do & don't-Katalogen", langen Infolisten bzw. englischsprachigen Informationsveranstaltungen abgehakt werden, zumal deren Wirkungsgrad häufig sehr gering ist. Betreuungsaufgaben meint: Einleben in Deutschland ("interkultureller Faktor"), Einleben in der neuen Stadt ("Informationsfaktor") und Einleben in der deutschen Hochschule (Information, wissenschaftskulturelle Orientierung, Vorbereitung).

    Zu diesem Zweck sieht der "Sommerkurs" - so der Name für Betreuung, Deutschkurs und fachliche Einführung - einen bis ins Detail durchdachten Plan für die Bearbeitung dieser Ziele vor. Nach dieser Phase sind die Neuen dann soweit orientiert, dass sie den Kopf für ihr erstes (meist schwerstes) Semester in Deutschland frei haben. Wichtig auch: die einheimischen Studierenden sind intensiv am Programm beteiligt, um nicht durch die gesonderte Betreuung, die Trennung in "Einheimische" und "Ausländer", zu verschärfen. Sie sind nicht nur als freiwillige Helfer und freundliche Kontaktpersonen eingebunden, sondern sie können auch in gezielt international zusammengesetzten Arbeitsgruppen und bei internationalen Workshops begehrte "Soft-skills" erwerben, indem sie nicht "über", sondern mit anderen Kulturen lernen.

    So wird Erfolg erreicht: Nicht nur der Internationali-sierungsgrad (50 Prozent Ausländer), sondern auch der Studienerfolg an der Graduate School liegt weit über dem Durchschnitt: Absolventenquoten von über 90 Prozent, beste Werte auch bei der Einhaltung der Regelstudienzeit (Hochschulranking von CHE und Stern 2003), ein hoher Anteil an Absolventen, die begehrte Arbeitsplätze in Industrie und Forschung finden und wirklich herzlich verbundene Alumni sprechen eine deutliche Sprache.

    Säulen des Erfolgs sind erstens die Idee der Internationalen Hochschule als Ort geistiger Anstrengung, wo übergreifende Systeme entwickelt werden, um gegensätzliche Strömungen in ein hochinspirierendes, lebendiges Umfeld zu münzen, die über mehrere Stufen dann auch in die Praxis umgesetzt wird. Zweitens die Energie, die hier in die stetige Weiterentwicklung der Praxis gesteckt wird. Das gilt auch für den Deutschkurs - denn: WIE funktioniert das alles, was sich so gut anhört, aber für viele Praktiker "unrealistisch" klingt?

    Der Deutschkurs ist auf mehreren Ebenen innovativ konzipiert. Leitgedanken sind:

    1. Lernbeschleunigung: Zum schnellen Einstieg in eine neue Sprache braucht es eine leicht zugängliche Variante dieser Sprache. Wie kann ich Deutsch als Fremdsprache leicht machen, was ist an unserer Sprache für Ausländer leicht? Nicht alles, aber vieles: der Wortschatz z.B., der im internationalen Vergleich mit Transparenz und Systematizität hervortritt, die Tatsache, dass "Fehler" in den schwierigen Bereichen wie Deklination oder Artikel die Kommunikation kaum stören. Leichter wird es auch, wenn wir mit einem Deutsch zufrieden sind, das nicht mehr vom "near-native"-Standard ausgeht, sondern sich mit dem Niveau des "Internationalen Englisch" begnügt.

    2. Konzentrisches Fremdsprachenlernen: Wer beginnt, eine Fremdsprache zu lernen, dem muss es möglich bleiben, später auch "perfekt" zu werden: Die Leichtigkeit und Geschwindigkeit des Einstiegs darf nicht um dem Preis eines sich verfestigenden Fehlerdeutschs erkauft werden. Die Lösung heißt hier konzentrisch Aufbauen. Bisher wurde einer festen "Progression folgend" über längere Zeit Deutsch gelernt, um eines Tages soweit zu sein, sich unterhalten zu können. Dabei geht viel Zeit und Energie verloren. Dagegen nutzt der konzentrische Ansatz die Tatsache, dass man mit recht geringen Mitteln bereits kommunikationsfähig ist, WENN diese Mittel keinen Sprachbereich aussparen, sondern überall den "Kern" schon von Anfang an beinhalten, was dann weiter und weiter ausgebaut werden kann.

    3. Bedeutungsbasierung: Wer nur um zu reden redet, verliert Zeit. Kommunikation im Sprachkurs muss ebenso authentisch und sinnorientiert sein wie "draußen". Aufgaben und Arbeitsformen, Unterrichtsmaterialien und Themen, Lehrerkorrekturen und Arbeitsfokus - all das untersteht nicht Fragen und Zielen der Detailkorrektheit, sondern Maximen der Sinnhaftigkeit. Bedeutung der Inhalte, der Umgangsformen und der "Zwischentöne" können auch von Anfängern erfasst und ansatzweise produziert werden, wenn der Unterricht in diese Richtung abzielt. Es gibt keinen Grund "hätte - würde - könnte" oder "allerdings - überhaupt - eigentlich", die so enorm wichtig sind (z.B. für die Höflichkeit), auf den "Fortgeschrittenenkurs" zu vertagen. Es gibt keinen Grund, "Grammatikfehler" zu korrigieren und völlig verschrobene Formulierungen - weil "richtig" - zu akzeptieren.

    4. Objektorientiert arbeiten: Ein Sprachkurs soll in die Lage versetzen, einen sehr komplexen Gegenstand (natürliche Sprache) handhaben zu können. Dazu benötigt man geeignete Werkzeuge, die ähnlich wie bei der objektorientierten Programmierung gezielt die Handhabung kompletter Objekte unterstützen und eine Gesamtgestaltung möglich machen, die - seitens des Programmierers/ Lehrers - auf gestalterischem Mitdenken beruhen muss. Das verlangt vom Lehrer mehr Verständnis der Zusammenhänge im Fach und bereitet anfangs mehr Aufwand, bietet aber insgesamt große Vorteile. Unser "Baukasten" aus Daten und Methoden sind Materialien, Kurspläne, geeignete Aufgaben- und Arbeitsformen.

    5. Strikte lokale und praktische Verankerung: Alle Personen, Straßen, Daten in den Unterrichtsmaterialien sind real. Sie kennen zu lernen, ihre Namen aussprechen zu lernen lohnt sich. Dazu kommt die Erprobung des neuen Kurswissens in einem Sprachpraktikum, das "in freier Wildbahn" stattfindet und wo die neue Umgebung bis in die Studentenwohnungen und Kneipen hinein erkundet wird.

    6. Synthetisch lernen: Dinge im Ganzen erfassen ist wesentlich leichter, als sie analytisch zu studieren. Da die Zielgruppe Mathematik studiert, darf sie Sprache ruhig "unwissenschaftlich" lernen. (Siehe Beispiel 1 unten).

    Neu ist beim konzentrisch-bedeutungsbasierten Ansatz vor allem die konsequente Umsetzung von vorliegenden Forschungsergebnissen aus verschiedenen Bereichen der angewandten und theoretischen Linguistik, die bisher weitgehend unterblieben ist. Man kann sich das so vorstellen, als ob die Forschung im Bereich Humanmedizin immer neue Krankheitserreger finden würde, diese auch genau beschreiben und ihre Funktionsweise erklären könnte, sich aber nicht weiter um die Entwicklung entsprechender Medikamente kümmern wollte.

    "Was ich in den letzten 15 Jahren getan habe, war, diese Ergebnisse sichten, für meine Zwecke interessante auswählen und sie (soweit mit geringen Mitteln möglich) in der Praxis überprüfen, um dann daraus "Medikamente", praktikable Unterrichts- und Aufgabenformen sowie angemessene Lehrmaterialien, zu entwickeln", erläutert Gunde Kurtz. Um zu veranschaulichen, wie verschieden die zugrundeliegenden Annahmen und der sich daraus ergebende Handlungsbedarf aussehen können, wie unterschiedlich die Wege zum zufriedenstellenden Produkt verlaufen, hier einfach zwei Beispiele:
    Ergebnisse aus der kognitiven Linguistik zeigen, dass Einheiten wie "auf den Tisch" als Ganzes abgespeichert sind und als Ganzes abgerufen werden. Traditionelle Sprachkurse konzentrieren ihre ganze Energie auf die Analyse dieser Einheiten. "Wechselpräpositionen" "Wohin mit Akkusativ" und andere Erklärungsmonster müssen da herhalten. Entsprechende Übungen verlangen dann auch : "Er stellt die Vase auf ____ Tisch." Das macht Stress, ist zeitaufwändig und trägt nicht zu besserer Kommunikation bei. Wir gehen den umgekehrten Weg: kurzweilige Massen von Beispielen, in denen die komplette Einheit sinnvoll verwendet werden muss. Das prägt sich ein und funktioniert auf jeden Fall um Klassen besser als das alte Modell.
    Ebenso wurde längst nachgewiesen, dass Sprachwissen zumindest teilweise nicht regelgeleitet, sondern analogisch ist (der Fuzzy Logic folgt). Das hilft uns, das nervtötende Konstrukt "Regel mit vielen Ausnahmen" loszuwerden. Gute Kandidaten dafür sind im Deutschen Artikelzuweisung (der-die-das), Ablaute (finden-fand-gefunden) und die Pluralbildung (Apfel-Äpfel), die eher durch analoge Generalisierungen als durch Pauken erfasst werden können. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass mit Analogiebildungen eine deutlich höhere Trefferquote bei wesentlich geringerem Aufwand erzielt wird.

    Ein weites strukturelles Wissen beim Lehrer dient in diesem Ansatz nicht mehr dazu, an den Lerner weitergegeben zu werden, sondern vielmehr, Unterricht und Materialien so weit wie möglich zu optimieren, um den Kurs von "Ballast" zu befreien. Denn was eigentlich bedeutet "wohin mit Akkusativ"? Gehen Sie zu den Doktor?? Ich nicht. Wenn jede Regel durch Zusatzregeln und Ausnahmen zum Gesellschaftsspiel für Besserwisser wird, lieber keine Regel.

    Umgekehrt kann die Kenntnis übergreifender Phänomene viel Spaß machen und zugleich den Widerstand gegen Eigenheiten einer neuen Sprache senken. So z.B. ein grundlegendes Phänomen des Deutschen, das "vom Ende her Aufbauen", das die Lerner normalerweise als wirre Ansammlung von 17 disparaten Einzelphänomenen schlucken müssen. Das fängt damit an, dass unsere Zahlen "verkehrt herum" funktionieren (siebenundvierzig - nicht vierzigundsieben) und endet bei Regeln für die Wortstellung im Satz. Dr. Gunde Kurtz hat das Phänomen "Coca-Cola-Effekt" getauft, da man allerorten eine Coca bestellt, hier aber eine Cola, was durch genau diejenigen Sprachmechanismen bedingt ist, die dafür verantwortlich sind, dass wir nicht "Ich aufmache die Tür" sagen, sondern "Ich mache die Tür auf", nicht "Können verstehen Sie das?", sondern "Können Sie das verstehen?" und dass Kuhmilch ein Getränk und kein Tier, eine Milchkuh ein Tier und kein Getränk ist.
    Weitere Informationen bei Dr. Gunde Kurtz unter Tel.: 0631/205-4414 oder per e-mail: gkurtz@rhrk.uni-kl.de


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    Criteria of this press release:
    Language / literature, Mathematics, Media and communication sciences, Physics / astronomy, Teaching / education
    transregional, national
    Organisational matters, Studies and teaching
    German


     

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