idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
10/10/2023 08:00

Schädeltraumata zeugen von Konflikten bei Entstehung der ersten Städte

Antje Karbe Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

Internationales Forscherteam wertete über 3.500 Schädelfunde aus dem Nahen Osten aus – In den 12.000 Jahren vor der Zeitenwende stieg die Rate gewaltsamer Tode zuerst und sank dann wieder

Die Entstehung der frühesten Städte im Zweistromland und dem Nahen Osten ließ die Gewalt zwi-schen ihren Bewohnern steigen. Durch Gesetze, eine zentrale Verwaltung, Handel und Kultur sank die Rate gewaltsamer Tode aber wieder in der frühen und mittleren Bronzezeit (3.300 bis 1.500 v.Chr). Zu diesem Befund kommt ein internationales Forscherteam der Universität Tübingen, Barcelona und Warschau. Ihre Ergebnisse wurden am Montag in der Fachzeitschrift Nature Human Behaviour veröffentlicht.
Die Forscher haben 3.539 Skelette aus dem Gebiet des heutigen Iran, Irak, Jordanien, Syrien, Libanon, Israel und der Türkei auf Knochentraumata untersucht, die nur durch Gewalt zustande kommen konnten. So konnten sie ein differenziertes Bild der Entwicklung der interpersonellen Gewalt in der Zeit von 12.000 bis 400 Jahre v.Chr. zeichnen. In diesen Zeitraum fallen so grundlegende Veränderungen in der Menschheitsgeschichte wie die Erfindung des Ackerbaus, die Sesshaftwerdung des Menschen und das Entstehen der ersten Städte und Staaten.
„Die Mordrate erreichte im Zeitraum von 4.500 bis 3.300 Jahre vor unserer Zeitenwende einen Höhepunkt und sank dann wieder im Laufe der folgenden 2.000 Jahre“, sagte Jörg Baten vom Lehr-stuhl für Wirtschaftsgeschichte der Universität Tübingen und Projektleiter der Studie. Die Forschenden sprechen auch von „interpersoneller Gewalt“. „Mit der Klimakrise, steigender Ungleichheit und dem Kollaps wichtiger Staaten in der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit (1.500 – 400 v. Chr.) steigt die Gewaltanwendung erneut.“ Der Anteil der gewaltsamen Todesfälle, der sich an Schä-deltraumata und Waffenverletzungen wie zum Beispiel Pfeilspitzen in Skeletten ablesen lässt, ist dabei ein gängiger Indikator für interpersonelle Gewalt.
Die Forschung zu dem Thema teilt sich bisher in zwei Lager. Das erste um den amerikanischen Psychologen Steven Pinker behauptet eine stetige Abnahme der Gewaltanwendung über die Jahrtausende seit der Zeit vorstaatlicher Jäger- und Sammlergesellschaften bis heute. Das zweite Lager sieht in der Entstehung von Städten und einer Zentralgewalt überhaupt erst die Voraussetzung für Kriege und massive Gewaltanwendung, die sich seither fortsetze. Die Studie aus Tübingen, Barcelona und Warschau zeichnet nun ein differenziertes Bild.
Als Gründe für das Ansteigen der Gewalt im 5. und 4. Jahrtausend v. Chr. sehen die Forscher die Zusammenballung der Menschen in den ersten Städten, die aber noch nicht gut organisiert waren. Erst durch die Entwicklung von Rechtssystemen, einer zentral kontrollierten Armee und religiöser Feste konnte die Gewaltrate merklich gesenkt werden. Auch der Handel nahm in der frühen und späten Bronzezeit im östlichen Mittelmeerraum und Mesopotamien zu, was durch Tontafeln in Keilschrift belegt werden kann, die als Lieferscheine und Rechnungen dienten. „Die höhere Sicherheit in dieser Zeit war zunächst sogar trotz abnehmender landwirtschaftlicher Erträge und zunehmender Ungleichverteilung der Einkommen in der Mittleren Bronzezeit möglich“, sagte Giacomo Benati von der Universität Barcelona und Co-Autor der Studie.
Ein erneuter Wendepunkt ist der Zusammenbruch zahlreicher Hochkulturen in der späten Bronze-zeit. In diese Phase um 1.200 v.Chr. fällt auch eine 300 Jahre andauernde Klimakatastrophe und damit zusammenhängende Migrationsbewegungen. Dadurch stieg auch die Rate gewaltsamer Tode wieder.
Die Studie ist im Rahmen des von der DFG geförderten Sonderforschungsprojekt 1070 „Ressour-cenKulturen“ an der Universität Tübingen entstanden.


Contact for scientific information:

Jörg Baten
Universität Tübingen
Tel: +49 (0)7071-2672985
E-Mail: joerg.baten@uni-tuebingen.de

Giacomo Benati
Universitat de Barcelona
E-Mail: giacomo.benati@ub.edu


Original publication:

Joerg Baten, Giacomo Benati, Arkadiusz Soltysiak: Violence Trends in the Ancient Middle East be-tween 12,000 and 400 BCE. Nature Human Behaviour, https://www.nature.com/articles/s41562-023-01700-y.


Images

Ein gespaltener Schädel zeugt von einem gewaltsamen Tod.
Ein gespaltener Schädel zeugt von einem gewaltsamen Tod.
Joachim Wahl
Universität Tübingen

Verteilung der Fundorte von Schädeln und Knochen, die für die vorliegende Studie analysiert wurden.
Verteilung der Fundorte von Schädeln und Knochen, die für die vorliegende Studie analysiert wurden.

Joerg Baten et al, Nature Human Behaviour. (Base map adapted from Ryan, W. B. F. et al. Global multi-resolution topography


Addendum from 10/10/2023

Korrektur der Telefonnummer von Prof. Dr. Jörg Baten: +49 7071 29-72985


Criteria of this press release:
Journalists
Economics / business administration, History / archaeology
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German


 

Ein gespaltener Schädel zeugt von einem gewaltsamen Tod.


For download

x

Verteilung der Fundorte von Schädeln und Knochen, die für die vorliegende Studie analysiert wurden.


For download

x

Help

Search / advanced search of the idw archives
Combination of search terms

You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

Brackets

You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

Phrases

Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

Selection criteria

You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).