idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
11/08/2023 14:00

Bedeutung der Prävention und Früherkennung neurodegenerativer Erkrankungen

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Dr. Eva Schäffer, Kiel, wird am 9. November beim „Presidential Symposium“ den Aspekt der Prävention bei neurodegenerativen Erkrankungen beleuchten. Denn unter gesundheitsökonomischen, aber auch unter ethischen Aspekten wird die pharmakologische Therapie allein nicht ausreichen, um mit diesen Erkrankungen als Gesellschaft umzugehen.

    Die Primärprävention richtet sich prinzipiell an die Allgemeinbevölkerung, die Sekundärprävention an Betroffene in der Frühphase, noch vor der eigentlichen Diagnosestellung, und die Tertiärprävention an die bereits Erkrankten. Das Ziel ist in allen Fällen, den künftigen Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen und langfristig die Lebensqualität zu verbessern, indem Beeinträchtigungen bzw. Behinderung vermieden, verlangsamt oder möglichst lange hinausgezögert werden.

    Parkinson-Prävention
    Beispiel Parkinson: Der große Vorteil der begleitenden bzw. präventiven Maßnahmen ist, dass Effekte für alle Erkrankungsphasen, die asymptomatische, die prodromale und die manifeste Phase, nachweisbar sind. Eine beeindruckende Datenlage gibt es zu den Aspekten Ernährung [1–4], Schlaf [5, 6] sowie Training/körperliche Aktivität [7–10].

    Eine Studie aus dem Jahr 2020 [11] analysierte 176 Publikationen zum Thema körperliche Aktivität als Intervention bei der Parkinson-Krankheit. Im Ergebnis konnten für mehrere Sportarten positive Auswirkungen auf das Risiko und die Symptome der Parkinson-Krankheit gezeigt werden. Dazu gehören Laufen, Tanzen, traditionelle chinesische Kampfsportarten, Yoga und Krafttraining. Die körperliche Aktivität verbesserte insgesamt die motorische Leistungsfähigkeit, einschließlich Kraft, Gleichgewicht und Flexibilität. Außerdem wurden positive Effekte auf die nicht motorischen Symptome (wie z.B. autonome Dysfunktion und Depressionen) gezeigt. Die Erhebung untersuchte auch, wie es zu der protektiven Wirkung von Sport kommt.

    -----------------------------------

    Exkurs: Auf welchen pathophysiologischen Mechanismen beruht die präventive Wirkung von Sport?
    Auf molekularer Ebene werden die positiven Effekte von Sport durch verschiedene Mechanismen vermittelt – teilweise abhängig von der Intensität der durchgeführten Aktivitäten. So kann bereits leichte körperliche Aktivität Inflammation und oxidativen Stress reduzieren und die Funktion der Mitochondrien, d.h. den Energiestoffwechsel der Zellen, verbessern. Diese positiven Effekte sind v. a. in der Muskulatur, dem Herzen und im Blut (Konzentration inflammatorischer Zytokine und Blutfluss) nachweisbar; klinisch kam es in den Studien u. a. zu einer besseren Regulation autonomer Funktionen (d.h. Zusammenspiel von sympathischem und parasympathischem Nervensystem) und einer besseren Schlafqualität.

    Moderate bis intensive körperliche Aktivität führt über die Herz- und Muskelfunktion hinaus zu positiven Effekten im Gehirn – es kam in den Studien zur Verbesserung von kognitiven Beeinträchtigungen und Depressionen. Biochemische und histopathologische Effekte waren eine Reduzierung der α-Synuclein-Ansammlungen, Modulation der neuronalen Autophagie und verminderte Nervenzellverluste. Auch die Expression von BDNF („brain-derived neurotrophic factor“) wurde gesteigert. Dieser neurotrophe Faktor ist ein Protein, das bei der Entwicklung und Ausdifferenzierung sowie der Regenerationsfähigkeit von Nervenzellen eine Rolle spielt und die synaptische Plastizität bzw. die kognitiven Funktionen (z. B. Gedächtnis) verbessert.

    ------------------------------

    Demenz-Prävention
    Prävention spielt auch bei Demenz-Erkrankungen eine große Rolle. Insgesamt könnten 35 % aller Demenzen durch den Lebensstil und die Korrektur verschiedener Risikofaktoren verhindert werden. Neben zu wenig Bewegung und „schlechter“ Ernährung sind das die Abnahme der Hörfähigkeit, Bluthochdruck, Übergewicht, Rauchen, Diabetes mellitus, Depression und geringer sozialer Kontakt. Bereits früh im Leben scheint die Bildung Einfluss zu nehmen, in den mittleren Lebensjahren dann die Abnahme der Hörfähigkeit, Bluthochdruck, Fettleibigkeit, später dann Rauchen, körperliche Inaktivität, Diabetes mellitus, Depression [12].

    Im Hinblick auf die Ernährung wird die MIND-Diät, eine Kombination aus mediterraner Diät und der DASH-Diät, empfohlen. Letztere ist eine salz- und fettarme Kost, die speziell für Bluthochdruck-Betroffene entwickelt wurde. Beobachtungsstudien deuteten auf einen positiven Effekt für die Hirngesundheit [2]. Ähnlich vitamin-, ballaststoff- und polyphenolhaltig wie die MIND-Diät ist die in Skandinavien entwickelte Nordische Diät, die den Ernährungsgewohnheiten und dem Sortiment in nordischen Ländern und Bundesländern entgegenkommt und für die ebenfalls positive Effekte auf wesentliche Krankheitsmechanismen neurodegenerativer Erkrankungen beschrieben sind [13].

    Früherkennung von großer Bedeutung
    Beide Erkrankungen, Alzheimer wie Parkinson, entstehen viele Jahre, bevor die typischen klinischen Symptome zutage treten. Das ist wertvolle Zeit, die für Präventionsmaßnahmen genutzt werden kann. Somit gewinnen die Primär- und die Sekundärprävention durch die immer besser werdenden Möglichkeiten der Früherkennung an Bedeutung. „Aus ethischer Sicht ist die Beratung von Menschen in der Prodromalphase, für die noch keine Medikamente zur Verfügung stehen, zu Präventionsmöglichkeiten besonders relevant. Sie ist eine zunehmend wichtige Aufgabe von Neurologinnen und Neurologen“, erklärt Dr. Schäffer.

    Noch liegen keine „einfachen Bluttest“ zur Frühdiagnose von Alzheimer oder Parkinson vor, aber die Forschung arbeitet auf Hochtouren daran. Federführend in Deutschland ist auf dem Gebiet der Parkinson-Früherkennung die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Daniela Berg von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel (CAU). Im Juni letzten Jahres berichteten Mitarbeiterinnen der Gruppe in Zusammenarbeit mit der Biochemie in Kiel in der Zeitschrift „Brain“ über einen großen Forschungserfolg. Es war erstmals gelungen, in Patientenblut sogenannte α-Synuclein-Seeds in neuronalen Vesikeln nachzuweisen [14]. Neuronale Vesikel sind von Nervenzellen abgeschnürte kleinste Bläschen, die vom Gehirn ins Blut abgegeben werden. Auf dieser Grundlage wurde der Nachweis von fehlgefaltetem α-Synuclein aus Blut entwickelt. Aktuell werden Bestätigungsstudien und die weitere Entwicklung des Tests vorangebracht. Ist die Entwicklung abgeschlossen, müssen weitere klinische Prüfungen erfolgen. „Es ist wichtig, dass alle Tests vor dem routinemäßigen Einsatz in der Klinik zunächst an großen Kohorten evaluiert werden, um die Sicherheit im Hinblick auf die Diagnosestellung nachzuweisen. Denn gerade bei schwerwiegenden Erkrankungen ist die Zuverlässigkeit eines Bluttests von größter Bedeutung“, erklärt Dr. Schäffer.

    Im Bereich der Alzheimer-Früherkennung ist der Nachweis der veränderten Proteine im Blut möglich und wird derzeit weiterentwickelt. Nach Ansicht der Expertin ist es somit nur noch eine Frage der Zeit, bis Früherkennungsbluttests für Parkinson und Alzheimer auch in der Routine vorliegen.

    [1] Kujawska M, Jodynis-Liebert J. Polyphenols in Parkinson’s disease: a systematic review of in vivo studies. Nutrients 2018; 10 (5): 642
    [2] Gardener H, Caunca MR. Mediterranean diet in preventing neurodegenerative diseases. Curr Nutr Rep 2018; 7 (1): 10-20
    [3] Dyall SC. Long-chain omega-3 fatty acids and the brain: a review of the independent and shared effects of EPA, DPA and DHA. Front Aging Neurosci 2015; 7: 52. doi: 10.3389/fnagi.2015.00052.
    [4] Ross GW, Abbott RD, Petrovitch H et al. Association of coffee and caffeine intake with the risk of Parkinson disease. JAMA 2000; 283 (20): 2674-2679
    [5] Sabia S, Fayosse A, Dumurgier J et al. Association of sleep duration in middle and old age with incidenceof dementia. Nat Commun 2021; 12 (1): 2289
    [6] Schreiner SJ, Imbach LL, Werth E et al. Slow-wave sleep and motor progression in Parkinson disease. AnnNeurol 2019; 85 (5): 765-770
    [7] Chen H, Zhang SM, Schwarzschild MA et al. Physical activity and the risk of Parkinson disease. Neurology 2005; 64 (4):664-669
    [8] Yang F, Trolle Lagerros Y, Bellocco R et al. Physical activity and risk of Parkinson’s disease in the Swedish nationalmarch cohort. Brain 2015; 138 (Pt2): 269-275
    [9] Xu Q, Park Y, Huang X et al. Physical activities and future risk of Parkinson disease. Neurology 2010; 75 (4): 341-348
    [10] Hamer M, Chida Y. Physical activity and risk of neurodegenerative disease: a systematic review of prospective evidence. PsycholMed 2009; 39 (1): 3-11
    [11] Fan B, Jabeen R, Bo B, Guo C, Han M, Zhang H, Cen J, Ji X, Wei J. What and How Can Physical Activity Prevention Function on Parkinson's Disease? Oxid Med Cell Longev. 2020 Feb 13;2020:4293071. doi: 10.1155/2020/4293071. PMID: 32215173; PMCID: PMC7042542.
    [12] Livingston G, Sommerlad A, Orgeta V et al. Dementia prevention, intervention, and care. Lancet. 2017 Dec 16;390(10113):2673-2734. doi: 10.1016/S0140-6736(17)31363-6. Epub 2017 Jul 20. PMID: 28735855.
    [13] Jafari RS, Behrouz V. Nordic diet and its benefits in neurological function: a systematic review of observational and intervention studies. Front Nutr. 2023 Aug 14; 10: 1215358. doi: 10.3389/fnut.2023.1215358. PMID: 37645628; PMCID: PMC10461010.
    [14] Annika Kluge A, Bunk J, Schaeffer E et al. Detection of neuron-derived pathological α-synuclein in blood. Brain 2022 Sep 14; 145 (9): 3058-3071



    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 12.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
    Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Daniela Berg
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    More information:

    https://www.dgnvirtualmeeting.org/home/dgn/dgn2023/de-DE


    Images

    Auf welchen pathophysiologischen Mechanismen beruht die präventive Wirkung von Sport?
    Auf welchen pathophysiologischen Mechanismen beruht die präventive Wirkung von Sport?

    Modifiziert nach: Fan B et al What and How Can Physical Activity Preventio


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Scientific conferences, Transfer of Science or Research
    German


     

    Auf welchen pathophysiologischen Mechanismen beruht die präventive Wirkung von Sport?


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).