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11/08/2023 14:00

Therapieoptionen bei M. Parkinson: THS und Hochfrequenzultraschall

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Für die Parkinson-Erkrankung stehen verschiedene orale Medikamente gegen die Symptome zur Verfügung, die insbesondere in den frühen Erkrankungsphasen sehr hilfreich sind, im längeren Verlauf aber auch an Grenzen stoßen. In bestimmten Situationen stellt heute daher die Tiefe Hirnstimulation, oft Hirnschrittmacher genannt, eine zusätzliche Möglichkeit dar, die bei vielen Betroffenen die Symptome weiter verbessern und Lebensqualität zurückgeben kann. Es handelt sich aber um eine Operation, bei der die Sonden durch die Schädelkalotte eingeführt werden. Der MRT-gesteuerte fokussierte Ultraschall stellt dagegen ein innovatives Verfahren dar, bei dem die Schädelkalotte nicht eröffnet wird.

    Die Parkinson-Erkrankung kann unbehandelt schnell zu einer stark verminderten Lebensqualität führen. Die etablierte medikamentöse Therapie (BMT „best medical therapy“) hat langfristig jedoch oft ihre Grenzen wegen möglicher Nebenwirkungen und Wirkungsverlust. In bestimmten Situationen (fortgeschrittene Stadien, aber auch bei frühen motorischen Komplikationen) ist daher die tiefe Hirnstimulation (THS) eine zusätzliche Option, die seit Jahren erfolgreich durchgeführt wird. Sie kann in Kombination mit dem BMT die Symptome deutlich lindern und die Lebensqualität über viele Jahre stabil halten. Dabei werden Elektroden in einem chirurgischen Eingriff dauerhaft implantiert. Anschließend erfolgt die elektrische Stimulation im Rahmen eines vorab festgelegten Protokolls. Ob der Einsatz der THS einen signifikanten Mehrwert gegenüber der alleinigen BMT darstellen kann, muss für jeden Einzelfall in einem spezialisierten Zentrum unter Einbeziehung eines multidisziplinären Teams aus Neurochirurgie und Neurologie sowie weiterer Teammitglieder eingeschätzt werden.

    Für die Wirkung der elektrischen Impulse ist die korrekte Lage der Elektroden in bestimmten Hirnregionen, wie z. B. im Subthalamus (bzw. Nucleus subthalamicus /STN, unterhalb des Thalamus), entscheidend. Das Verfahren der THS wird seit Jahren weiterentwickelt, um die Elektrodenlokalisation individuell zu optimieren und die Effektstärke auf die verschiedenen Symptome (z. B. Tremor oder Gangblockade „Freezing of Gait“ /FOG) und eventuelle Nebenwirkungen möglichst genau vorherzusagen. So erfolgte in einer Studie [1] eine videodokumentierte Ganganalyse mit Levodopa-Test, um den erwartbaren FOG-Effekt der THS präoperativ einzuschätzen. Dabei zeigte sich der „Wendetest“ (Verbesserung Körperdrehung um die eigene Achse nach Levodopa-Gabe) als besonders prädiktiv. Der FOG-Vorhersagetest soll nun in einer prospektiven Studie evaluiert werden. Neben klinischen Prädiktoren wurde auch untersucht, ob genetische Variablen günstige oder ungünstige Ergebnisse der THS vorhersagen können [2]. Es stellte sich heraus, dass mehrere genetische Marker (Gen-Polymorphismen), die zuvor in einer genomweiten Assoziationsstudie identifiziert wurden, motorische Ergebnisse oder Lebensqualitätsverbesserungen vorhersagten.

    Bezüglich Nebenwirkungen gab es Beobachtungen in THS-Studien bei fortgeschrittener Parkinson-Krankheit, dass sich unter einer THS die Sprachverständlichkeit und Kommunikationsfähigkeit im ersten Jahr verschlechtern kann. Eine Sprachanalyse (mittels verblindeter Beurteilung) im Rahmen der prospektiven EARLYSTIM-Studie [3] untersuchte diese Fragestellung bei Parkinson-Erkrankten mit frühen motorischen Komplikationen. Es zeigte sich, dass in diesem frühen Krankheitsstadium die THS plus BMT (versus alleinigem BMT) nicht zu einer konsistenten Verschlechterung der Sprachverständlichkeit und der selbst berichteten Kommunikation führte.

    Ein relativ neues Verfahren zur Behandlung der Parkinsonerkrankung sowie bei essenziellem Tremor ist der MRT-gesteuerte, fokussierte Ultraschall (MRgFUS), der von außen durch die geschlossene Schädeldecke zur Anwendung kommt. Die gebündelten hochintensiven Ultraschallwellen addieren sich in dem zuvor berechneten bzw. ausgetesteten Punkt. Je nach Subtyp der Erkrankung werden unterschiedliche Kerngebiete läsioniert, beim Tremor-dominanten Subtyp ist dies z. B. die untere Thalamusgrenze. Durch eine Läsionierung in diesem Areal wird das schwingende Tremornetzwerk unterbrochen, was zu einer ca. 80%igen Abnahme des Zitterns einer Körperseite führt. Insgesamt dauert die Prozedur ca. 3-4 Stunden. Eine Verbesserung des Zitterns tritt meistens sofort ein und nach wenigen Tagen können die Behandelten die Klinik wieder verlassen. Nach ca. drei Monaten erfolgt eine erste Kontrolle. Für die Behandlung der zweiten Körperseite liegt die CE-Zertifizierung bereits vor; Nutzen und Risiko werden derzeitig in größeren Studien untersucht.

    Neben der Anwendung beim Tremor-dominanten M. Parkinson wird die MRgFUS-Behandlung auch in der Behandlung des M. Parkinson mit Wirkfluktuationen bzw. bei deutlich einseitig betontem Parkinson untersucht. In einem Nachbeobachtungszeitraum von drei Jahren zeigte sich ein guter, anhaltender Effekt der einseitigen Subthalamotomie in dieser Indikation. Anhaltend beeinträchtigende Nebenwirkungen traten nicht auf [4].

    MRgFUS ist bei besonders schwerem Tremor geeignet oder wenn das BMT nicht ausreicht oder wenn eine Operation für die Anlage einer THS nicht möglich ist oder abgelehnt wird. Vorteile gegenüber der THS sind fehlende Operationsrisiken wie eine Blutung oder eine Infektion und dass kein permanentes elektronisches System implantiert wird (und somit auch keine regelmäßigen Batteriewechsel notwendig oder Fehlfunktionen möglich sind). Mögliche Nebenwirkungen des MRgFUS sind während der Prozedur kurzzeitige Übelkeit oder mögliche Missempfindungen, Hitze- oder Druckgefühl. Außerdem können vorübergehend oder selten auch dauerhaft Taubheit oder Kribbeln in Körperregionen, Muskelschwäche, Gleichgewichts- oder Gangstörungen auftreten. Diese Nebenwirkungen waren in Studien über die Monate rückläufig.

    Ein Vorteil der THS gegenüber dem MRgFUS ist, dass die Stimulation sich an individuelle Veränderungen anpassen lässt. Dies ist insbesondere bei jüngeren Patientinnen und Patienten mit einer potenziell relevanten Krankheitsprogression ein großer Vorteil. Weiterhin erfolgt bei der THS standardmäßig eine beidseitige Implantation von Elektroden, so dass Symptome wie ein Kopf-, Stimm- oder Rumpftremor ebenso positiv beeinflusst werden können und im Falle des Morbus Parkinson eine deutlichere Reduktion der dopaminergen Medikation möglich ist. Die Erstattung der Kosten erfolgt in beiden Fällen über die Krankenkasse.

    „Studien werden künftig viele weitere Fragen klären, beispielsweise zur optimalen Patientenauswahl für die beiden Verfahren“, so Dr. Steffen Paschen, Kiel, Oberarzt und Leiter der Arbeitsgruppe Tiefe Hirnstimulation und MRT-gesteuerter, fokussierter Ultraschall an einem der wenigen deutschen Zentren, die bislang MRgFUS anbieten. „Auch wird beispielsweise der Einsatz von KI künftig die THS weiter verbessern und eine individuell bedarfsangepasste Stimulation ermöglichen.“

    „Insbesondere die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus Neurochirurgie und Neurologie ist bei der Beratung der Patientinnen und Patienten und für die Auswahl des bestmöglichen Verfahrens entscheidend, um eine optimale Behandlung zu erreichen“, ergänzt Frau Prof. Ann-Kristin Helmers, welche von neurochirurgischer Seite in Kiel für die Verfahren verantwortlich ist.

    [1] Gavriliuc O, Paschen S, Andrusca A, Schlenstedt C, Deuschl G. Prediction of the effect of deep brain stimulation on gait freezing of Parkinson's disease. Parkinsonism Relat Disord. 2021 Jun;87:82-86. doi: 10.1016/j.parkreldis.2021.04.006. Epub 2021 Apr 20. PMID: 34015693.

    [2] Weiss D, Landoulsi Z, May P et al. Genetic stratification of motor and QoL outcomes in Parkinson's disease in the EARLYSTIM study. Parkinsonism Relat Disord. 2022 Oct;103:169-174. doi: 10.1016/j.parkreldis.2022.08.025. Epub 2022 Sep 8. PMID: 36117018.

    [3] Pinto S, Nebel A, Rau J et al.; EARLYSTIM Study Group. Results of a Randomized Clinical Trial of Speech After Early Neurostimulation in Parkinson's Disease. Mov Disord. 2023 Feb;38(2):212-222. doi: 10.1002/mds.29282. Epub 2022 Dec 3. PMID: 36461899.

    [4] Martínez-Fernández R, Natera-Villalba E, Máñez Miró JU et al. Prospective Long-term Follow-up of Focused Ultrasound Unilateral Subthalamotomy for Parkinson Disease. Neurology. 2023 Mar 28;100(13):e1395-e1405. doi: 10.1212/WNL.0000000000206771.

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 12.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
    Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Daniela Berg
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


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    https://www.dgnvirtualmeeting.org/home/dgn/dgn2023/de-DE


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    Criteria of this press release:
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    Medicine
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    German


     

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