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03/21/2024 09:32

Wehrhafte Demokratie: Parteiverbotsverfahren und gesellschaftliches Engagement

Rimma Gerenstein Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

    Seit Veröffentlichung der Correctiv-Recherche zu einem Treffen von rechtsextremen Akteur*innen und Mitgliedern der AfD und CDU demonstrieren seit Wochen Menschen bundesweit gegen rechtsextreme Tendenzen. Im Interview geben der Freiburger Politikwissenschaftler Marius Fröhle und der Rechtswissenschaftler Dr. Rodrigo Garcia Cadore ihre Einschätzung, was die Gesellschaft gegen antidemokratische Bewegungen tun kann.

    Wie kann sich eine Demokratie vor demokratiefeindlichen Tendenzen schützen?

    Marius Fröhle: Generell müssen demokratische Institutionen und Prozesse gestärkt und demokratiefeindliche Tendenzen bekämpft werden. Im Sinne einer „wehrhaften Demokratie“ die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegen demokratiefeindliche Einflussnahme zu schützen, scheint mir somit ebenso eine gute Idee, wie der verstärkte Fokus auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Hier halte ich insbesondere die Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser für sinnvoll, erstens Finanzermittlungen gegen rechtsextreme Netzwerke zu erleichtern, um diese „auszutrocknen“, und zweitens internationale Vernetzungen von Rechtsextremen besser in den Blick zu nehmen.

    Rodrigo Garcia Cadore: Aus rechtlicher und vergleichender Sicht sind Parteiverbotsverfahren wohl das typischste Mittel der „wehrhaften Demokratie“. Da das Grundgesetz die Parteien als entscheidend für die politische Willensbildung ansieht, gilt das Parteiverbot als eine der schärfsten Waffen im Arsenal des Verfassungsrechts – hier greift das Parteienprivileg: Nur das Bundesverfassungsgericht darf über ein Verbot entscheiden und die Hürden dafür sind hoch. Auch wenn man sich nicht scheuen muss, über die konkrete Anwendung dieses Instruments nachzudenken, bedarf es einer intensiven gesellschaftlichen Debatte über die politische Angemessenheit eines solchen Verbots, insbesondere im Fall der Alternative für Deutschland (AfD), die mittlerweile die stärkste Oppositionspartei ist.

    Halten Sie ein Parteiverbot der AfD aus juristischer Sicht für möglich?

    Garcia Cadore: Die rechtliche Komponente dieser Diskussion scheint mir nicht die problematischste zu sein. Aus meiner Sicht ist es jetzt an der Zeit für eine so breite wie vertiefte gesellschaftliche Diskussion, begleitet von Experten aus verschiedenen Bereichen wie Geschichte, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaften und Soziologie, über die Chancen und Risiken eines Parteiverbotsverfahrens in einer Konstellation, in der die betreffende Partei die wichtigste Oppositionskraft darstellt. Die Entscheidung, ob ein Antrag gestellt wird, bleibt eine politische. Die Correctiv-Recherche und weitere Folgeuntersuchungen haben den Ernst der Lage stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt; auch wenn das Potsdamer Treffen trotz der Beteiligung von AfD-Führungskräften noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Vorbereitung eines umfassenden Verbotsantrags liefert, hat dieses Ereignis die Diagnose verstärkt, dass Strömungen in der AfD die freiheitlich-demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen wollen. Rechtlich problematisch ist vor allem die Zurechenbarkeit der verfassungsfeindlichen Äußerungen und Verhaltensweisen entweder zur Partei insgesamt oder zu den Parteiverbänden, die sich auf eine aussagekräftige und breite Materialsammlung stützen sollte. Es muss ein planmäßiges Vorgehen feststellbar sein: Qualifizierte Vorbereitungshandlungen zur Beeinträchtigung oder Beseitigung des Kerns der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind nachzuweisen, die auf etwas Systematisches und nicht bloß Zufälliges oder Isoliertes hindeuten.

    Welche weiteren Maßnahmen könnten helfen und was können Bürger*innen tun?

    Fröhle: Dass rechtsradikale und rechtsextreme Akteur*innen auf Social Media Hass, illiberale und demokratiefeindliche Positionen verbreiten, sollten die Plattformen und gegebenenfalls die Justiz häufiger und konsequenter verhindern und bestrafen. Die demokratische Kultur würde aber auch davon profitieren, wenn sich die demokratischen Bürger*innen wieder vermehrt politisch und gesellschaftlich engagieren. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, beispielsweise indem man Parteien und Vereinen beitritt oder wichtige Ehrenämter, wie das der Schöffin oder des Schöffen übernimmt. Ganz allgemein lebt eine Demokratie von Streit und Kompromissen. Eine solche konstruktive Streitkultur im Privaten wie im Öffentlichen ist also essenziell und muss regelmäßig geübt werden.
    Was die Proteste angeht, ist es natürlich erstmal für alle Demokrat*innen ein schönes und sicherlich auch beruhigendes Gefühl, wenn sich so viele unterschiedliche Menschen für den Schutz der Demokratie mobilisieren lassen. Insgesamt wäre ich aber eher skeptisch einen Einfluss der Demonstrationen auf zukünftige Wahlergebnisse vorherzusagen – bis zu den Landtagswahlen und der Europawahl ist noch etwas Zeit und ein mittel- bis langfristiger Effekt der Recherche im Allgemeinen und der Demonstrationen im Speziellen zumindest fragwürdig.

    Garcia Cadore: Eine in Erwägung zu ziehende Maßnahme, die die Stabilität und Widerstandskraft der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erhöhen könnte, wäre etwa die ausführlichere Verankerung der Zusammensetzung und Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts im Text des Grundgesetzes durch eine gesetzgeberische Verfassungsänderung. Das scheint sinnvoll zu sein, weil Verfassungsgerichte häufig von systemfeindlichen Akteur*innen, die an die Macht kommen, angegriffen werden. Solche Akteure haben an solchen Spitzenpositionen sehr gerne Richter*innen, die sie als ihre eigenen Richter*innen betrachten und behandeln können.

    Marius Fröhle promoviert seit 2020 am Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre bei Prof. Dr. Uwe Wagschal an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Natur- und Umweltschutz im Rechtsextremismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

    Dr. Rodrigo Cadore ist seit 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Staatswissenschaften und Rechtsphilosophie, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seit 2022 ist er Post-Doktorand mit Habilitationsvorhaben im Bereich der Verfassungsvergleichung unter der Betreuung von Prof. Dr. Matthias Jestaedt (Rechtswissenschaftliche Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg). Cadore ist zudem Principal Investigator und Co-Koordinator der Exzellenzclusterinitiative Constitution as Practice in Times of Transformation (ConTrans).

    Kontakt:

    Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
    Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
    Tel.: 0761/203-4302
    E-Mail: kommunikation@zv.uni-freiburg.de


    More information:

    https://kommunikation.uni-freiburg.de/pm/expertendienst/wehrhafte-demokratie-par...


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Law, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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