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04/16/2024 11:30

Stille Reserve nutzen: SVR-Studie zu Motiven und Motivation in der Flüchtlingshilfe

Meike Giordono-Scholz Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR)

    Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 folgte eine Welle der Hilfsbereitschaft in Deutschland. Welche Motive und Einstellungen einer freiwilligen Tätigkeit in der Flüchtlingshilfe zugrunde liegen, hat der wissenschaftliche Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) im Rahmen einer Engagementbefragung untersucht. Auf dieser Grundlage diskutiert die Studie Handlungsempfehlungen für künftige Mobilisierungsstrategien, die sich an Politik und Verwaltung in den Kommunen sowie an Arbeitgebende, Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen vor Ort richten.

    Viele Menschen in Deutschland haben sich in den letzten zehn Jahren für Schutzsuchende engagiert, Geld oder Sachleistungen gespendet oder Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft oder bei Behördengängen angeboten. „Dass Schutzsuchende, die im Rahmen akuter Fluchtbewegungen nach Deutschland gekommen sind, hier versorgt werden konnten, ist auch freiwilligen Helferinnen und Helfern zu verdanken. Rund 13 Prozent aller Menschen, die sich freiwillig engagieren, waren unseren Daten zufolge in der Flüchtlingshilfe tätig“, berichtet Dr. Nora Storz, Co-Autorin der Studie des wissenschaftlichen Stabs des SVR. „Damit rangiert dieser Bereich – nach den Bereichen Sport, Kultur und Freizeit sowie Gesundheit und Soziales – zwar nur im unteren Mittelfeld. Die Befragung hat aber auch ergeben, dass es noch viel ungenutztes Potenzial gibt: Von allen Engagierten, die bislang nicht in der Flüchtlingshilfe tätig sind, können sich etwa drei von zehn ein solches Engagement vorstellen. Und auch bei den bisher noch gar nicht freiwillig Tätigen gibt es einen Anteil Engagementbereiter. Von allen Befragten insgesamt könnte sich damit etwa jede vierte Person ein solches Engagement vorstellen.“ Der Studie liegt eine Mehrfacherhebung zugrunde, die ab Februar 2023 über einen Zeitraum von sieben Monaten in drei Wellen durchgeführt wurde. Mehr als 2.500 Personen nahmen an allen drei Befragungen teil.

    Um herauszufinden, wie aus einer grundsätzlichen Bereitschaft tatsächliches Engagement werden kann, wurden in der Studie auch verschiedene politikrelevante Einstellungen der Befragten untersucht. Dabei zeigte sich, dass Befragte mit größerer politischer Selbstwirksamkeit sich auch mehr in der Flüchtlingshilfe engagierten oder zu einem solchen Engagement bereit waren. „Befragte, die sich für Politik interessieren, engagieren sich häufiger in der Flüchtlingshilfe oder sind eher zu einem solchen Engagement bereit als Befragte, die weniger Interesse an Politik haben. Auch bewerten Personen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder zu einem Engagement bereit sind, die Responsivität von Entscheidungstragenden besser als Nichtengagierte. Sie meinen also eher, dass sich Politikerinnen und Politiker um die Anliegen der Bevölkerung kümmern und deren Interessen aufgreifen“, so Dr. Storz.

    Die Motive für Freiwilligenarbeit sind dabei vielfältig und können je nach Ressourcen und Interessen der Ehrenamtlichen variieren. Auffällig ist aber, dass Engagierte und Engagementbereite in der Flüchtlingshilfe deutlich altruistischer eingestellt sind als Befragte, die ein solches Engagement nicht ausüben wollen. „Viele Freiwillige in anderen Bereichen suchen vor allem einen Ausgleich zu Alltag und Beruf – oder sie engagieren sich aus sozialen Motiven, etwa weil ihre Freunde auch ehrenamtlich tätig sind“, erläutert Alex Wittlif, Co-Autor der SVR-Studie. „Engagierte in der Flüchtlingshilfe ziehen ihre Motivation vor allem aus der Sorge um andere Menschen. Viele haben einen hohen politischen Gestaltungsanspruch. Gleichzeitig spielen aber auch bei ihnen eigennützige oder selbstbezogene Motive eine Rolle: Das Erlernen neuer Fähigkeiten durch Engagement in der Flüchtlingshilfe ist zum Beispiel ein solches Motiv.“

    Ursachen, die ein Engagement verhindern, gibt es viele. „Zeitmangel ist einer der häufigsten Gründe, den Personen dafür angeben, warum sie sich nicht engagieren; zudem geben immerhin 20 Prozent der Engagementbereiten an, dass sie nicht wissen, wie sie sich engagieren können“, berichtet Alex Wittlif. Viele Befragte sehen sich den Umfrageergebnissen zufolge aber auch nicht in der Verantwortung: Jede fünfte Person unter den Befragten, die sich nicht in der Flüchtlingshilfe engagieren wollen, sagt, es sei Aufgabe des Staates, sich um Flüchtlinge zu kümmern. Bei den Engagementbereiten sind dies 13 Prozent.

    Um die vorhandenen Potenziale besser zu nutzen, empfiehlt der wissenschaftliche Stab des SVR, auf die besonders relevanten Motive der Engagierten und Engagementbereiten einzugehen. „Freiwilligenarbeit kann sich positiv auf das Selbstwertgefühl auswirken und ermöglicht, eigene Talente zu entfalten. Das sind wichtige Motive für ein Engagement und diese Motive sollten die Beteiligten auf kommunaler Ebene auch ansprechen, wenn sie das Hilfepotenzial besser ausschöpfen wollen“, resümiert Dr. Jan Schneider, Leiter des Bereichs Forschung beim SVR. In der Praxis müssten Engagement- und Demokratieförderung außerdem stärker als bisher verzahnt werden; auch gelte es, Kooperationsstrukturen und Koordinierungsmaßnahmen vor Ort zu stärken. „Unsere Daten zeigen, dass sich viele Engagementbereite nicht ausreichend informiert fühlen. Hier braucht es also mehr Aufklärung darüber, wie sich Menschen konkret einbringen können – etwa durch persönliche Ansprache, Informationsveranstaltungen oder die Bereitstellung einer digitalen Plattform, auf der Hilfsgesuche gesammelt werden. Auch Menschen, die selbst einen Fluchthintergrund haben, sollten aktiv angesprochen werden. Zudem können Unternehmen wertvolle Unterstützung leisten: Es gibt bereits Arbeitgebende, die gemeinwohlorientierte Projekte fördern – etwa indem sie ihren Mitarbeitenden erlauben, ein gewisses Kontingent an Arbeitszeit für ehrenamtliche Tätigkeiten zu nutzen“, so Dr. Schneider.

    Die Studie des wissenschaftlichen Stabs des SVR entstand im Rahmen des Projekts „Solidarität in der Aufnahmegesellschaft: Wahrnehmung Geflüchteter und Determinanten für Engagement und Hilfsbereitschaft“, das von der Stiftung Mercator gefördert wird. „Erstmals haben Forschende in Deutschland systematisch die Motive von Menschen in und außerhalb der Flüchtlingshilfe untersucht, die sich heute schon engagieren, die es nicht tun und solche, die künftig dazu bereit wären. Die Ergebnisse helfen uns, zu verstehen, was Engagement letztlich antreibt und wie es sich fördern lässt. Vor allem Politikerinnen und Politiker, aber auch Mitarbeitende in Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Organisationen können von den Befunden profitieren und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter fördern“, sagt Violaine Dobel, Projektmanagerin der Stiftung Mercator.

    Über den Sachverständigenrat
    Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Hans Vorländer (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Leyendecker (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Birgit Glorius, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Winfried Kluth, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph.D., Prof. Panu Poutvaara, Ph.D.
    Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige, anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integration und Migration. Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen. Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und Policy Briefs veröffentlicht.

    Weitere Informationen unter: https://www.svr-migration.de


    Contact for scientific information:

    Dr. Nora Storz, Alex Wittlif


    Original publication:

    https://www.svr-migration.de/publikation/motive-und-motivation-in-der-fluechtlin...


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    Criteria of this press release:
    Journalists, all interested persons
    Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results, Transfer of Science or Research
    German


     

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