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04/18/2024 14:30

Diabetes-Medikament kann womöglich Parkinson verlangsamen

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Bei M. Parkinson kommt es zu pathologischen Proteinablagerungen im Gehirn, zur fortschreitenden Neurodegeneration und Dopaminmangel. Bei den Pathomechanismen spielen nach heutigem Wissen aber auch chronische Inflammation, oxidativer Zellstress und Störungen des zellulären Energiehaushaltes eine Rolle. An diesen Mechanismen setzt die neuroprotektive Wirkung von manchen Diabetesmedikamenten an, insbesondere der GLP-1-(„Glucagon-like Peptid-1“)-Rezeptoragonisten: In einer Studie konnte die Substanz Lixisenatid die motorische Verschlechterung bei Parkinson-Betroffenen signifikant verlangsamen. Das ist ein interessanter Befund, zumal Diabetes mellitus ein Risikofaktor für M. Parkinson ist.

    Die Parkinson-Krankheit (PD) ist eine chronische neurodegenerative Erkrankung, die mit fortschreitender motorischer Symptomatik und Behinderungen einhergeht. Typische Symptome sind Ruhetremor, Rigor und Hypokinese, hinzu kommen vegetative Symptome und in manchen Fällen auch eine Demenz. Der Verlauf ist interindividuell sehr variabel. In Deutschland leben aktuell ca. 300.000 Betroffene.

    Histopathologisch kommt es zur Ablagerung von krankheitsspezifischen Proteinaggregaten (α-Synuclein) in den Nervenzellen in bestimmten Gehirnregionen sowie zum Nervenzelluntergang. Neben bekannten genetischen Ursachen scheint auch eine Vielzahl von „Lifestyle-Faktoren“ oder Umwelttoxinen eine Bedeutung für die Parkinsonentwicklung zu haben. Obwohl die ursächlichen komplexen molekularen Pathomechanismen immer besser erforscht und verstanden werden, ist die PD bisher noch nicht kausal behandelbar. Die symptomatische medikamentöse Therapie (z. B. mit L-Dopa und Dopaminagonisten) kann lediglich bis zu einem gewissen Grad den entstehenden Dopaminmangel im Gehirn ausgleichen. Daher wird nach Therapieansätzen geforscht, die die Erkankung aufhalten oder zumindest den Progress verlangsamen können. Dafür werden auch Medikamente, die für andere Indikationen zugelassen sind, evaluiert – wie z. B. aktuell das Diabetes-Medikament Lixisenatid. Es gehört zur Substanzklasse der GLP-1-(Glucagon-like Peptid-1) Rezeptoragonisten (auch: GLP-1-Analoga), ebenso wie das aus den Medien bekannte Semaglutid („Abnehmspritze“), das gleichfalls primär als Antidiabetikun entwickelt wurde.

    Nachdem man für Lixisenatid im Parkinson-Tiermodell neuroprotektive Eigenschaften gezeigt hatte, wurde es in einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Phase-2-Studie [1] bei Menschen mit PD im Frühstadium evaluiert. Eingeschlossen waren Betroffene, deren PD-Diagnose maximal drei Jahre zurück lag, und die stabil auf Parkinson-Medikamente eingestellt waren. Die Teilnehmenden erhielten ein Jahr lang entweder täglich subkutan 20 μg Lixisenatid (n=78) oder Placebo (n=78), gefolgt von einer zweimonatigen Auswaschphase. Der primäre Endpunkt waren die MDS-UPDRS-Werte („Movement Disorder Society – Unified Parkinson's Disease Rating Scale“ Teil III), deren initialer Score in beiden Gruppen ca. 15 betrug (0-132 Punkte, höhere Werte bedeuten eine schwerere motorische Behinderung). Zu den sekundären Endpunkten gehörten MDS-UPDRS-Subscores und die Levodopa-Äquivalenzdosen.

    Nach 12 Monaten betrugen die mittleren Scores in der Lixisenatid-Gruppe -0,04 Punkte und in der Placebo-Gruppe +3,04 Punkte (Differenz 3,08; p=0,007). Zwei Monate nach Beendigung der Studienmedikation lagen die mittleren MDS-UPDRS-Scores in der ehemaligen Placebo-Gruppe bei 20,6 und in der ehemaligen Lixisenatid-Gruppe bei 17,7. Bei den sekundären Endpunkten gab es keine signifikanten Unterschiede. Typische Nebenwirkungen von Lixisenatid waren Übelkeit (bei 46%) und Erbrechen (bei 13%).

    Die Parkinson-Erkrankung geht auf zellulärer Ebene mit Prozessen einher wie chronische Entzündung, oxidativem Stress und Störungen im Energiehaushalt (mitochondriale Dysfunktion). Die Wirkweise von GLP-1-Analoga bei M. Parkinson könnte daher mit deren bekannten Eigenschaften zusammenhängen, Entzündungen zu reduzieren und den zellulären Energiestoffwechsel und so das neuronale Überleben zu verbessern. An diesen Pathomechanismen scheinen übrigens auch andere Antidiabetika anzugreifen, wie aktuelle tierexperimentelle Daten zeigen (im einzelnen für Metformin [2], für Sitagliptin, einen Dipeptidylpeptidase 4-(DPP-4)-Inhibitor [3], und für GIP „Glucose-dependent insulinotropic polypeptide“ [4]).

    Bei der Entstehung des Typ-2-Diabetes ist neben Adipositas und Insulinresistenz ebenfalls eine chronische subklinische Inflammation von Bedeutung. Interessanterweise zeigen epidemiologische Daten, dass Diabetes mellitus ein Risikofaktor für Parkinson ist [5] und den Parkinson-Verlauf verschlechtert [6]. Diabetes erhöhte in einer Studie das PD-Risiko um 34 %. In der GBD-Studie [7] steht der Diabetes mellitus an zehnter Stelle der Risikofaktoren für neurologische Erkrankungen.

    Bei der Progression der PD spielt nach aktuellem Wissenstand auch die Ernährung eine Rolle. So werden z. B. durch die sogenannte mediterrane Ernährung antiinflammatorische Mechanismen aktiviert [8]. Die mediterrane Diät ist auch reich an mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren („PUFAs“ wie Eicosapentaensäure/EPA und Docosahexaensäure/DHA), enthalten z. B. in Fisch und Nüssen. PUFAs schützen nicht nur das kardiovaskuläre System und vor Krebserkrankungen, sondern weisen auch neuroprotektive Eigenschaften auf [9].

    „Dass Diabetes-Prävention auch eine Parkinson-Prävention zu sein scheint, ist eine relativ neue Erkenntnis. Der Verlauf beider Erkrankungen lässt sich durch eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung zusätzlich günstig beeinflussen“, erklärt DGN-Präsident Prof. Dr. med. Lars Timmermann.

    [1] Meissner WG, Remy P, Giordana C et al. Trial of Lixisenatide in Early Parkinson’s Disease. N Engl J Med 2024; 390: 1176-85 DOI: 10.1056/NEJMoa2312323
    [2] Wang M, Tian T, Zhou H, Jiang SY, Jiao YY, Zhu Z, Xia J, Ma JH, Du RH. Metformin normalizes mitochondrial function to delay astrocyte senescence in a mouse model of Parkinson's disease through Mfn2-cGAS signaling. J Neuroinflammation. 2024 Apr 2;21(1):81. doi: 10.1186/s12974-024-03072-0. PMID: 38566081; PMCID: PMC10986112.
    [3] Yu SJ, Wang Y, Shen H, Bae EK, Li Y, Sambamurti K, Tones MA, Zaleska MM, Hoffer BJ, Greig NH. DPP-4 inhibitors sitagliptin and PF-00734,200 mitigate dopaminergic neurodegeneration, neuroinflammation and behavioral impairment in the rat 6-OHDA model of Parkinson's disease. Geroscience. 2024 Apr 2. doi: 10.1007/s11357-024-01116-0. Epub ahead of print. PMID: 38563864.
    [4] Li Y, Vaughan KL, Wang Y, Yu SJ, Bae EK, Tamargo IA, Kopp KO, Tweedie D, Chiang CC, Schmidt KT, Lahiri DK, Tones MA, Zaleska MM, Hoffer BJ, Mattison JA, Greig NH. Sitagliptin elevates plasma and CSF incretin levels following oral administration to nonhuman primates: relevance for neurodegenerative disorders. Geroscience. 2024 Mar 27. doi: 10.1007/s11357-024-01120-4. Epub ahead of print. PMID: 38532069.
    [5] Manuello J, Min J, McCarthy P, Alfaro-Almagro F, Lee S, Smith S, Elliott LT, Winkler AM, Douaud G. The effects of genetic and modifiable risk factors on brain regions vulnerable to ageing and disease. Nat Commun. 2024 Mar 27;15(1):2576. doi: 10.1038/s41467-024-46344-2. PMID: 38538590; PMCID: PMC10973379.
    [6] Komici K, Femminella GD, Bencivenga L, Rengo G, Pagano G. Diabetes Mellitus and Parkinson's Disease: A Systematic Review and Meta-Analyses. J Parkinsons Dis. 2021;11(4):1585-1596. doi: 10.3233/JPD-212725. PMID: 34486987.
    [7] GBD 2021 Causes of Death Collaborators. Global burden of 288 causes of death and life expectancy decomposition in 204 countries and territories and 811 subnational locations, 1990-2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet. 2024 Apr 3:S0140-6736(24)00367-2. doi: 10.1016/S0140-6736(24)00367-2. Epub ahead of print. PMID: 38582094.
    [8] Gardener H, Caunca MR. Mediterranean Diet in Preventing Neurodegenerative Diseases. Curr Nutr Rep. 2018 Mar;7(1):10-20. doi: 10.1007/s13668-018-0222-5. PMID: 29892785; PMCID: PMC7212497.
    [9] Dyall SC. Long-chain omega-3 fatty acids and the brain: a review of the independent and shared effects of EPA, DPA and DHA. Front Aging Neurosci. 2015 Apr 21;7:52. doi: 10.3389/fnagi.2015.00052. PMID: 25954194; PMCID: PMC4404917.

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Leiterin der DGN-Pressestelle: Dr. Bettina Albers
    Tel.: +49(0)30 531 437 959
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 12.300 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
    Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Daniela Berg
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Friedrichstraße 88, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Original publication:

    DOI: 10.1056/NEJMoa2312323


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Scientific Publications, Transfer of Science or Research
    German


     

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