Wer gefragt wird, bevor man ihn berührt, empfindet die Interaktion als angenehmer, wie LMU-Forschende herausgefunden haben.
Stellen Sie sich einen Arzt vor, der eine Routineuntersuchung bei Ihnen durchführt: In einem Fall haben Sie die Möglichkeit anzugeben, wo Sie während der Untersuchung am Arm berührt werden möchten. In einem anderen Szenario fährt der Arzt mit der Untersuchung fort, ohne Sie vorher zu fragen. Wie wirkt sich dieser kleine Unterschied auf Ihre Wahrnehmung aus?
Forschende der LMU, der Universität der Bundeswehr München und der TU Dresden haben Hinweise darauf gefunden, wie sehr selbst bei unbedeutenden Berührungen das vorherige Einverständnis der Betroffenen darüber entscheidet, ob sie den Kontakt als angenehm empfinden. Die Ergebnisse ihrer Experimente haben sie nun in einer Studie veröffentlicht, die kürzlich im Fachmagazin Attention, Perception & Psychophysics erschienen ist. „Normalerweise verstehen wir unter Einwilligung eher umfassendere Handlungen, wie die Zustimmung zu einer gesamten Untersuchung, und nicht zu einzelnen Gesten“, sagt die Doktorandin Lenka Gorman vom Cognition, Values, Behaviour Lab an der LMU. „Unsere Versuche legen den Fokus hingegen vor allem auf kleinere, unmittelbare Interaktionen.“
Dafür streichelte die Person, die das Experiment durchführte, sanft den Arm der Probanden. In einem Durchgang wählten diese selbst aus, wo am Arm sie berührt werden wollten. Um Entscheidungsfreiheit und Berührung voneinander trennen zu können, ging es bei einer weiteren Versuchsreihe darum, ob die Personen mit einem blauen oder einem weißen Handschuh berührt werden wollten. Die angebotene Wahl bezog sich in diesem Fall also nicht darauf, ob und wo die Versuchspersonen grundsätzlich berührt werden wollten. In einem dritten Versuchsablauf schließlich wurden diese Details vorgegeben, die Teilnehmerinnen hatten kein Mitspracherecht wo und mit welchem Handschuh sie angefasst werden wollten.
Qual der Wahl? Keineswegs!
Die Ergebnisse sind eindeutig: Wenn die Teilnehmenden die Wahl hatten, selbst bei irrelevanten Faktoren wie der Farbe des Handschuhs, nahmen sie dieselbe Berührung als wesentlich angenehmer wahr. Die Ergebnisse ließen sich für verschiedene Arten von Berührungen wiederholen, die in der Regel grundsätzlich als wohltuend empfunden werden.
Untersuchungen der Pupillenaktivität zeigten außerdem, dass die Entscheidungsfreiheit die physiologische Erregung der Menschen steigerte, wenn sie eine Berührung erwarteten. „Es scheint, dass der bloße Akt des Wählens sich positiv darauf auswirkt, wie unser Körper und unser Geist auf intimen Kontakt reagieren", meint Gorman. Die Möglichkeit zu wählen und zuzustimmen sei damit eine Strategie, die mit geringem Aufwand das Erleben fürsorglicher Berührungen verbessert. Nicht nur im privaten Umgang miteinander, sondern auch im klinischen Bereich könne diese Strategie Anwendung finden, beispielsweise bei berührungsbasierten Therapien. „Wenn Patientinnen und Patienten mehr Kontrolle über ihre Behandlung haben, könnte dies einen noch größeren Nutzen bringen als bisher angenommen", so Gorman.
Professorin Ophelia Deroy, Leiterin des LMU-Lehrstuhls für Philosophy of Mind und eine der leitenden Forscherinnen, erklärt: „Wahlfreiheit und Einverständnis sind nicht nur ethische Fragen, sondern auch von grundlegender Bedeutung dafür, wie wir Dinge erleben. Wir wissen, dass die Möglichkeit zu wählen das gleiche Dopaminsystem anspricht wie Geld, Essen, Sex und andere Belohnungen, die wir aktiv suchen.“ Wie wichtig die Entscheidungsfreiheit selbst bei passiven Erfahrungen sei, zeige, wie wesentlich sie für den Aufbau starker persönlicher Beziehungen ist.
„Unsere Forschung hat aber auch ergeben, dass selbst kleine Entscheidungen wie die Wahl einer Farbe die Menschen offener für eine Erfahrung machen können“, sagt Deroy. „Das bringt uns zum Nachdenken darüber, warum diese Wahlmöglichkeiten insbesondere im Marketing-Kontext angeboten werden, wo sie dazu benutzt werden können, uns auszutricksen".
Insgesamt bietet die Studie neue Einblicke in die Art und Weise, wie Wahlmöglichkeiten unsere Erfahrungen auf einer grundlegenden Ebene prägen, mit direkten Auswirkungen auf Beziehungen, Wohlbefinden und eine effektive Kommunikation.
Lenka Gorman, M.Sc.
Philosophy of Mind
Ludwig-Maximilians-Universität München
Lenka.Gorman@lrz.uni-muenchen.de
Lenka Gorman, Wenhan Sun, Jyothisa Mathew, Zahra Rezazadeh, Justin Sulik, Merle Fairhurst & Ophelia Deroy: Choice Enhances Touch Pleasantness. Attention, Perception, & Psychophysics (2024)
https://doi.org/10.3758/s13414-024-02887-6
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Philosophy / ethics, Psychology, Social studies
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Scientific Publications
German
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