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07/22/2024 11:00

Auch nach Schlaganfall weniger kardiovaskuläre Ereignisse durch eine intensivere Blutdrucksenkung

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Eine aktuelle Studie [1] zeigt, dass Menschen mit Bluthochdruck und hohem kardiovaskulärem Risiko von einer restriktiven Blutdrucksenkung mit Zielwerten unter 120 mm Hg (gegenüber unter 140 mm Hg) profitieren. Die intensive Blutdrucksenkung führte zu weniger kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen als die Standardbehandlung. Der therapeutische Nutzen war auch bei Personen mit einem Schlaganfall in der Vorgeschichte vorhanden. Die neuen Erkenntnisse könnten somit die Schlaganfallnachsorge nachhaltig verändern, da hier bisher nur eine Senkung auf Werte unter 140 mm Hg angestrebt wird.

    Bluthochdruck führt zu kardiovaskulären Erkrankungen. Wichtigstes Therapieziel bei Menschen mit arterieller Hypertonie ist daher die Absenkung der Blutdruckwerte in den Normbereich. Die Nationale Versorgungsleitlinie Hypertonie empfiehlt eine individuelle Blutdruckeinstellung auf Werte unter 140/90 mm Hg [2].

    Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren diskutiert, ob eine Senkung auf Werte unter 120 mm Hg besser ist als eine Senkung „nur“ auf Werte unter 140 mm Hg. Besonders wichtig ist diese Frage für Risikopopulationen, z. B. bei Diabetes mellitus oder früherem Schlaganfall. Die SPRINT-Studie [3] hatte gezeigt, dass eine Senkung des systolischen Blutdrucks auf Werte unter 120 mm Hg bei hohem kardiovaskulärem Risiko (ohne bisherigen Schlaganfall oder Diabetes) wirksamer ist als die Senkung auf Werte unter 140. Die ACCORD-Studie [4] verglich die beiden systolischen Blutdruckziele bei Diabetikern und die RESPECT-Studie [5] bei Personen, die zuvor einen Schlaganfall erlitten hatten, – beide Studien konnten keine Vorteil für die restriktivere Blutdrucksenkung zeigen.

    Nun erschien in der renommierten Zeitschrift „The Lancet“ die ESPRIT-Studie („Effects of Intensive Systolic Blood Pressure Lowering Treatment in Reducing Risk of Vascular Events“) [1]. Sie verglich die Wirksamkeit und Sicherheit einer intensiven Blutdrucksenkung (Zielwert unter 120 mm Hg) mit der Standardbehandlung (Zielwert unter 140 mm Hg) bei Menschen mit hohem kardiovaskulärem Risiko – darunter Personen mit Diabetes mellitus, mit früherem Schlaganfall oder mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren. Es war die bisher größte randomisierte kontrollierte Studie zu den Auswirkungen einer Blutdrucksenkung auf Werte unter 120 mm Hg auf schwerwiegende vaskuläre Ereignisse. Es ist außerdem die erste randomisierte Studie, die dies bei Personen mit hohem kardiovaskulärem Risiko untersuchte, ohne jene mit Diabetes oder früherem Schlaganfall auszuschließen.

    Von den 11.255 Teilnehmenden mit einem mittleren Alter von 64,6 ± 7 Jahren hatten 4.359 einen Diabetes mellitus und 3.022 einen Schlaganfall in der Vorgeschichte. 5.624 erhielten eine intensive Blutdrucksenkung (unter 120 mm Hg) und 5.631 die Standardbehandlung (unter 140 mm Hg). Der primäre kombinierte Endpunkt umfasste Ereignisse wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Klinikaufenthalt wegen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulärer Tod. Während der Nachbeobachtungszeit von median 3-4 Jahren betrug der mittlere systolische Blutdruck in der Gruppe mit intensiver Behandlung 119 mm Hg (SD 11,1) und in der Gruppe mit Standardbehandlung 134,8 mm Hg (SD 10,5). Es gab bei den Ergebnissen insgesamt keine Abhängigkeit vom Diabetesstatus, der Diabetesdauer oder der Schlaganfallanamnese. Der primäre Endpunkt trat bei 547 (9,7 %) der Personen mit intensiver Blutdrucksenkung und bei 623 (11,1 %) unter Standardbehandlung auf. Der Unterschied zwischen den Gruppen bzw. die Risikoreduktion (HR 0,88; 95 % KI 0,78-0,99) war statistisch signifikant (p=0,028). Unerwünschte Ereignisse wie Hypotonie und Synkopen traten in der Intensivbehandlungsgruppe zwar häufiger auf als in der Standardbehandlungsgruppe (0,4% vs. 0,1 %), doch hinsichtlich schwerwiegender unerwünschter Ereignissen wie Elektrolytveränderungen, Stürzen oder akuter Nierenschädigung gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.

    In der Intensivbehandlungsgruppe kam es bei 4,7 % der Patientinnen und Patienten zu Schlaganfällen, in der Standardgruppe bei 5,4 % (HR 0,86; 95% KI 0,73-1,02); diese Reduktion verfehlte statistisch das Signifikanzniveau (p=0,083). „Die Studie war für den kombinierten primären Endpunkt gepowert, nicht für die Auswertung der einzelnen Teilkomponenten“, kommentierte Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Essen. „Weiterführende Studien zur Fragestellung, inwieweit eine intensive Blutdrucksenkung auch das Schlaganfallrisiko senken kann, sind sinnvoll. Doch allein die Beeinflussung des kombinierten primären Endpunkts ist eindrucksvoll.“

    Auch die Subgruppenanalyse führte nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen, alle Risikogruppen profitierten gleichermaßen von der intensiveren Blutdrucksenkung, Patientinnen und Patienten mit stattgehabten Schlaganfall ebenso wie die anderen Studienteilnehmenden, deren kardiovaskulären Risiko aus anderen Gründen erhöht war.

    Aktuell empfiehlt die Leitlinie zur Sekundärprophylaxe von ischämischen Schlaganfällen [6] eine langfristige Blutdrucksenkung auf Werte unter 140/90 mm Hg. Wenn es im Hinblick auf Vorerkrankungen, das Alter und die Verträglichkeit möglich ist, könne auch auf Werte von 120-130 mm Hg gesenkt werden. Kritisch ist dabei natürlich die Frage, ob der niedrige Blutdruck toleriert wird.

    „Die aktuellen Studienergebnisse legen nahe, dass Patientinnen und Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, darunter auch Menschen, die einen Schlagfall erlitten hatten, von einer intensiveren systolischen Blutdrucksenkung auf Werte unter 120 mm Hg profitieren. Zwar geben sie keinen Beleg dafür, dass es zu weniger Folgeschlaganfällen kommt, aber das Risiko für das Eintreten der im primären kombinierten Endpunkt erfassten Ereignisse reduzierte sich um 12 %. Dieses Studienergebnis wird die derzeit gängige Praxis der Nachsorge von Schlaganfallpatientinnen und -patienten nachhaltig ändern und dafür sorgen, dass eine ambitioniertere Blutdrucksenkung als bisher angestrebt wird“, ergänzt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.


    [1] Liu J, Li Y, Ge J, Yan X, Zhang H, Zheng X, Lu J, Li X, Gao Y, Lei L, Liu J, Li J; ESPRIT Collaborative Group. Lowering systolic blood pressure to less than 120 mm Hg versus less than 140 mm Hg in patients with high cardiovascular risk with and without diabetes or previous stroke: an open-label, blinded-outcome, randomised trial. Lancet. 2024 Jun 27:S0140-6736(24)01028-6. doi: 10.1016/S0140-6736(24)01028-6. Epub ahead of print. PMID: 38945140.

    [2] Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Hypertonie – Langfassung, Version 1.0. 2023 [cited: 2024-07-19]. DOI: 10.6101/AZQ/000502. www.leitlinien.de/hypertonie.

    [3] Wright JT Jr, Williamson JD, Whelton PK, et al. A randomized trial of intensive versus standard blood-pressure control. N Engl J Med 2015; 373: 2103–16.

    [4] Cushman WC, Evans GW, Byington RP, et al. Effects of intensive blood-pressure control in type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med 2010; 362: 1575–85.

    [5] Kitagawa K, Yamamoto Y, Arima H, et al. Effect of standard vs intensive blood pressure control on the risk of recurrent stroke: a randomized clinical trial and meta-analysis. JAMA Neurol 2019; 76: 1309–18

    [6] Hamann GF, Sander D, Röther J, Grau A et al. Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft und Deutsche Gesellschaft für
    Neurologie. Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke: Teil 1, S2k-Leitlinie, 2022, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der
    Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Leiterin der DGN-Pressestelle: Dr. Bettina Albers
    Tel.: +49(0)30 531 437 959
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 12.300 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
    Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Daniela Berg
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Friedrichstraße 88, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Original publication:

    doi: 10.1016/S0140-6736(24)01028-6


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Scientific Publications, Transfer of Science or Research
    German


     

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