Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Um das zu erreichen, will die Bundesregierung in einigen Bereichen die unterirdische Speicherung von CO2 erlauben. Dies sehen die Eckpunkte der sogenannten Carbon-Management-Strategie vor, die das Kabinett im August beschloss. Noch in den 2000er Jahren waren Pläne für den Einsatz von Carbon Capture and Storage (CCS) auf massiven Widerstand gestoßen. Wie kam es zu dem Kurswechsel und welche gesesllschaftspolitischen Gefahren sind damit verbunden? Das haben Forschende des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS) und der Universität Wien untersucht.
„Die Verschärfung der Klimakrise, ihre zunehmende Politisierung und die Verabschiedung ambitionierterer Klimaziele rücken die Frage in den Vordergrund, wie wir mit schwer vermeidbaren Emissionen umgehen wollen, also zum Beispiel Methanemissionen aus der Landwirtschaft oder CO2-Emissionen aus dem Zementproduktionsprozess. CCS feiert vor diesem Hintergrund eine Renaissance“, sagt Tobias Haas (RIFS), Erstautor der Studie, die in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift Prokla erschienen ist.
Die Forschenden nutzen die Methode der „Historical-Materialist Policy Analysis (HMPA)“, um die Auseinandersetzungen um die Etablierung dieser Technologie als Schlüsselkonflikt in der Transformation zur anvisierten Klimaneutralität zu beschreiben. Mit der HMPA kann analysiert werden, wie eine spezifische Politik vor dem Hintergrund von konkurrierenden und widersprüchlichen Interessen verschiedener sozialer Kräfte formuliert wird.
Konfliktpotenzial unterschätzt
In den 2000er Jahren wurde das CCS-Projekt in Deutschland in erster Linie von Kohleunternehmen vorangetrieben, RWE und Vattenfall waren die zentralen Akteure. Im parteipolitischen Spektrum positionierten sich Bündnis 90/Die Grünen und die Partei Die Linke klar gegen CCS. Die FDP und die CDU/CSU sprachen sich hingegen zunächst für CCS aus. Auch die SPD war für die Technologie überwiegend aufgeschlossen.
Die Befürworter hatten allerdings das politische und gesellschaftliche Konfliktpotenzial unterschätzt. Besonders deutlich wurde das 2009 in Schleswig-Holstein, wo RWE vor der Küste mittels Sprengungen potenzielle Speicherstandorte erkundete, ohne die lokale Bevölkerung darüber zu informieren. Anhaltende Proteste führten dazu, dass die CDU-geführte Landesregierung ihre Unterstützung für CCS aufgab.
Eine neue Dynamik
Bei den politischen Auseinandersetzungen um CCS standen die Risiken der Speicherung im Vordergrund. „Diese bezogen sich in erster Linie auf die Gefahr der möglichen, wenn auch unwahrscheinlichen Entweichung von CO2 aus Speicherstätten. Eine solche hätte nicht nur zur Folge, dass die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre anstiege, sondern würde auch gesundheitliche Gefahren bergen“, erläutert Haas. In der Kritik standen auch die hohen Kosten einer CCS-Infrastruktur.
In den letzten Jahren entwickelte sich eine neue politische Dynamik um CCS. Die Autoren nennen vier wesentliche Veränderungen im Vergleich zu den 2000er Jahren: Erstens hat sich die Klimakrise deutlich zugespitzt - abgesehen von einem kurzzeitigen pandemiebedingten Rückgang sind die globalen Treibhausgasemissionen weiter jährlich gestiegen. Zweitens ging mit der Zuspitzung des Klimawandels auch dessen wachsende Politisierung einher, getrieben durch die Klimawissenschaft und seit den späten 2010er Jahren auch durch Bewegungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Letzte Generation.
Klimaschutzgesetz erhöht den Druck
Drittens ebnete die Zuspitzung des Klimawandels und dessen Politisierung den Weg für eine wesentlich ambitioniertere internationale Klimapolitik. Und viertens erfasste die klimapolitische Konfliktdynamik Bereiche, die in den 2000er Jahren noch nicht umkämpft waren, wie Haas erläutert: „Damals ging es in der Diskussion um CCS vor allem darum, die Stromversorgung zu dekarbonisieren. Der Druck, in anderen Branchen die Emissionen zu reduzieren, war hingegen noch relativ gering.“
Das änderte sich mit dem Klimaschutzgesetz von 2019, das die Bundesregierung 2021 noch einmal nachschärfte: Es schreibt eine CO2-Emissionsreduktion um 65 Prozent bis zum Jahr 2030 und die Erreichung von Netto-Null-Emissionen bis 2045 fest. Um das zu erreichen, müssen auch Branchen wie die Zement-, Stahl- oder Chemieindustrie sowie der Mobilitätssektor ihre Emissionen massiv verringern.
Schlüsselkonflikt für die Klimapolitik
Der Umgang mit CCS und schwer vermeidbaren Emissionen stelle einen Schlüsselkonflikt in der Klimapolitik dar, so die Forschenden. Hierbei gehe es nicht zuletzt um die Frage, inwiefern CCS dafür genutzt wird, Formen der Naturbeherrschung auf eine neue Stufe zu heben, um Wirtschaftswachstum mit der anvisierten Klimaneutralität kompatibel zu machen. Besonders problematisch erscheine vor diesem Hintergrund, dass sowohl die einschlägigen Klimaneutralitätsszenarien für Deutschland als auch die Carbon-Management-Strategie an der Orientierung an kontinuierlichem Wirtschaftswachstum unhinterfragt festhalten.
„Hier laufen wir Gefahr, die Weichen falsch zu stellen. Statt einseitig auf neue Technologien zu setzen, sollten wir viel mehr über Suffizienz, also über ein genügsameres Wohlstandsmodell, diskutieren. Wenn wir den Bedarf an klimaschädlicher Produktion reduzieren, können wir unsere Emissionen senken, und entsprechend würde auch die Menge an Restemissionen sinken, die es auszugleichen gilt“, sagt Haas. CCS dürfe nicht dazu dienen, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern weiter zu verschleppen – weder in Deutschland noch global.
Dr. Tobias Haas
tobias.haas@rifs-potsdam.de
Haas, T., Brad, A., & Schneider, E. (2024). Mit CCS zur Klimaneutralität? Die Renaissance einer umstrittenen Technologie. PROKLA. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft, 54(216), 431–450. https://doi.org/10.32387/prokla.v54i216.2134
Criteria of this press release:
Journalists
Economics / business administration, Energy, Environment / ecology, Politics
transregional, national
Research results
German
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