idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
10/11/2024 11:30

So erkennen wir die Gefühle anderer Personen

Dr. Julia Weiler Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Der Gesichtsausdruck einer Person liefert eine Kerninformation für das Erkennen von Emotionen. Aber zu diesem Prozess gehört noch viel mehr. So lautet das Fazit der Arbeit von Dr. Leda Berio und Prof. Dr. Albert Newen vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum. Das Team beschreibt die Emotionserkennung nicht als abgegrenzte Teilfähigkeit, sondern als Teil eines umfassenden Prozesses, mit dem Menschen sich einen Gesamteindruck einer Person machen. Dazu gehören auch physische oder kulturelle Merkmale sowie Hintergrundinformationen. Die Arbeit ist am 24. September 2024 in der Zeitschrift „Philosophy and Phenomenological Research” erschienen.

    In den 1970er-Jahren wurde die Theorie entwickelt, dass das Gesicht das Fenster zu unseren Gefühlen darstellt. Der Forscher Paul Ekman beschrieb Basisemotionen wie Angst, Ärger, Ekel, Freude und Traurigkeit über typische Gesichtsausdrücke, die über alle Kulturen hinweg als gleichartig entdeckt wurden. „Allerdings wurde in den vergangenen Jahren zunehmend deutlich, dass in vielen Lebenssituationen ein typischer Gesichtsausdruck nicht die zentrale Information sein muss, die unsere Einschätzung von Gefühlen anderer leitet“, sagt Newen und gibt ein Beispiel: „Menschen schätzen einen typischen Gesichtsausdruck von Angst fast durchgängig als Ärger ein, wenn sie das Hintergrundwissen haben, dass die Person gerade von einem Kellner abgewiesen wurde, obwohl sie nachweislich einen Tisch reserviert hatte.“ In einer solchen Situation erwarten Menschen, dass die Person sich ärgert, und diese Erwartung bestimmt die Wahrnehmung der Emotion, auch wenn der Gesichtsausdruck typischerweise einer anderen Emotion zugeschrieben wird.

    „Wir können Emotionen manchmal auch erkennen, ohne überhaupt das Gesicht zu sehen. Zum Beispiel die Angst einer Person, die von einem bissigen Hund attackiert wird und die wir nur in einer Haltung von Erstarrung und Erschrecken von hinten sehen“, veranschaulicht Berio.

    Eine Emotion erkennen ist ein Teil des Gesamteindrucks von einer Person

    Berio und Newen entwickeln die These, dass Emotionen erkennen ein Teilprozess der Fähigkeit ist, einen Gesamteindruck einer Person zu formen. Dafür stützen Menschen sich zum einen auf Merkmale des Gegenübers, zum Beispiel Merkmale des physischen Erscheinens wie Hautfarbe, Alter oder Geschlecht, kulturelle Merkmale wie Kleidung oder Attraktivität sowie situationale Merkmale wie Gesichtsausdruck, Gestik oder Körperhaltung.

    Aufgrund solcher Merkmale können Menschen andere rasch einschätzen und verbinden unmittelbar einen sozialen Status oder sogar Persönlichkeitsmerkmale mit ihnen. Die Wahrnehmung der Gefühle wird von diesen Assoziationen stark bestimmt. „Wenn wir eine Person als Frau wahrnehmen und sie eine negative Emotion zeigt, schätzen wir die Emotion eher als Angst ein, bei einem Mann eher als Ärger“, gibt Berio ein Beispiel.

    Hintergrundinformationen fließen in Einschätzung mit ein

    Zusätzlich verfügen Menschen neben der Wahrnehmung von Merkmalen und ersten Assoziationen über reiche Personenbilder, die für einzelne Personen – Familienmitglieder, Freunde und Kolleg*innen – als Hintergrundinformation angelegt sind. „Wenn ein Familienmitglied unter Parkinson leidet, lernen wir den üblichen Gesichtsausdruck dieser Person, der eher ärgerlich aussieht, als neutralen Ausdruck einzuschätzen, weil wir wissen, dass der starre Gesichtsausdruck Teil der Erkrankung ist“, so Berio.

    Zu den Hintergrundinformationen gehören auch Personenmodelle von typischen Berufsgruppen. „Wir haben stereotypische Annahmen von Ärzten, Studierenden, Handwerkern zu ihren sozialen Rollen und Aufgaben“, sagt Newen. „Wir nehmen Ärzte etwa allgemein als weniger emotional wahr, und daher ist die Gefühlseinschätzung verändert.“

    Menschen machen also, um die Emotion einer anderen Person einzuschätzen, von dem großen Reichtum der Merkmale und des Hintergrundwissens Gebrauch. Nur in seltenen Fällen lesen sie die Emotion alleine vom Gesichtsausdruck einer Person ab. „Das hat auch Konsequenzen für das Emotionserkennen mit künstlicher Intelligenz (KI), die erst dann zuverlässig möglich sein wird, wenn sich die KI nicht nur auf den Gesichtsausdruck stützt, wie es die meisten Systeme gegenwärtig tun“, so Newen.

    Förderung

    Die Arbeiten fanden im Rahmen der vom Land NRW geförderten Profillinie „Interact! New forms of social interaction with intelligent systems“ statt.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Albert Newen
    Institut für Philosophie II
    Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft
    Ruhr-Universität Bochum
    Tel.: +49 234 32 22139
    E-Mail: albert.newen@ruhr-uni-bochum.de

    Dr. Leda Berio
    Institut für Philosophie II
    Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft
    Ruhr-Universität Bochum
    E-Mail: leda.berio@ruhr-uni-bochum.de


    Original publication:

    Leda Berio, Albert Newen: I Expect You to Be Happy, So I See You Smile: A Multidimensional Account of Emotion Attribution, in: Philosophy and Phenomenological Research, 2024, DOI: 10.1111/phpr.13113


    Images

    Das Bochumer Forschungsteam: Albert Newen und Leda Berio
    Das Bochumer Forschungsteam: Albert Newen und Leda Berio

    RUB, Kramer


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Philosophy / ethics
    transregional, national
    Scientific Publications
    German


     

    Das Bochumer Forschungsteam: Albert Newen und Leda Berio


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).